Altes Land. Herde bei Jork war für den Deichschutz im Einsatz. Schäfer und seine Frau entdeckten die verendeten Tiere: „Geschockt und verängstigt“.
Selbst eine Gefängnisinsel kann den Wolf nicht abhalten: Auf der abgeriegelten Elbinsel Hahnöfersand, auf der sich eine Justizvollzugsanstalt der Hansestadt Hamburg befindet, hat es einen Wolfsangriff auf Deichschafe gegeben, die für den Küstenschutz eingesetzt werden. Dabei wurden zwei Schafe getötet und acht verletzt – eines so schwer, dass es eingeschläfert werden musste.
Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts vom Deichverband der II. Meile Alten Landes ist erschüttert: „Jetzt hat der Wolf erstmals auch in der Gemeinde Jork zugeschlagen – direkt am Eldeich im Alten Land. Für unseren Deichschäfer sind damit aus Befürchtungen ein Angsthema geworden. Die Bedrohung ist ab jetzt latent.“
Wolf attackiert Schafherde bei Hamburg: Wolfsberater bestätigt Angriff
Der Angriff habe zwischen Freitagabend und Sonnabendmittag stattgefunden, so Ulferts. Der Wolfsberater war am Sonnabend vor Ort. „Nach seiner Aussage handelt es sich definitiv um einen Wolfsangriff. Entsprechende DNA-Proben sind genommen worden“, bestätigt der Oberdeichrichter.
Der Wolfsberater habe auch bestätigt, dass die die Herde auf dem Deichgelände mit einem 1,06 Meter hohen mobilen Flechtzaun unter 3000 Volt Strom geschützt war. „So ist es bei der mobilen Schafshaltung richtig. Das wurde uns bestätigt, und der Zaun wurde sogar vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz bezahlt.“ Wolfssicher sei so ein mobiler Zaun natürlich eigentlich nicht: „Auf dem Deich können wir die Schafe aber gar nicht wolfssicher einzäunen“, so Ulferts.
Vermutung: Wolf könnte über Binnenelbe auf die Insel geschwommen sein
Aufgrund des Rissbildes und der Tatsache, dass „nur“ zwei Tiere getötet wurden, handelte es sich wahrscheinlich um einen einzelnen Wolf, so Ulferts. Er müsste entweder durch die Borsteler Binnenelbe geschwommen sein oder durch das zeitweise offenstehende Tor zur Justizvollzugsanstalt am Deich zur Herde gekommen sein, um die ansonsten hermetisch abgeriegelte Gefängnisinsel zu erreichen.
Der Oberdeichrichter äußert sich für den Deichschäfer zu dem Vorfall. Der Schäfer möchte lieber im Hintergrund bleiben, weil er – wie viele Weidetierhalter, deren Tiere Opfer einer Wolfsattacke wurden – eine Hetzkampagne gegen seine Person und seine Familie fürchtet.
Der Schäfer und seine Frau hatten die toten und verletzten Tieren entdeckt und seien geschockt von dem schrecklichen Anblick und der neuen Situation, so Ulferts. Es war die erste Wolfsattacke in der Gemeinde Jork auf Deichschafe. Der Deichschäfer ist mit seinen 250 Schafen auf dem Elddeich der II. Meile im Auftrag des Deichverbands für die Deichpflege zuständig.
Herdenschutzhunde könne man hier nicht einsetzen – wegen der Touristen
Er hat die Herde zunächst in den Innenbereich der Haftanstalt in Sicherheit gebracht, sagt Ulferts. „Dort reicht das Gras aber höchstens für zwei Tage.“ Der Deichschäfer wolle seine Herde anschließend in die Nähe des Lühesperrwerks bringen – in der Hoffnung, dass sie dort wegen des erhöhten Menschenaufkommens sicherer seien. „Herdenschutzhunde können wir dort aber nicht einsetzen, weil das wegen der vielen Touristen und ihrer Hunde viel zu gefährlich wäre“, so Ulferts. „Und wenn da was passiert, sind wir schuld.“
„Wir hoffen, dass uns der Schäfer nicht von der Stange geht“, sagt Ulferts. „Ich registriere eine gewisse Mutlosigkeit. Die Menschen fühlen sich im Stich gelassen.“ An der Oste, wo es bereits mehrere tödliche Wolfsangriffe gegeben hat, habe bereits die Hälfte aller Tierhalter gekündigt, die für den dort zuständigen Deichverband die Deichpflege übernommen hatten. Ulferts wiederholte gegenüber dem Abendblatt seine Forderung nach wolfsfreien Zonen: „Das halte ich für alternativlos. Mit normalen Mitteln sind die Schafe an den Deichen nicht zu schützen.“
Das Hamburger Deichschutzgesetzt schreibt den Einsatz von Schafen vor
Die Schafe seien unerlässlich für den Deichschutz, sagt Ulferts. „Sie beißen das Gras kurz ab, was gut für die Wurzel ist, und sie treten den Deich fest. Das Hamburger Deichschutzgesetzt schreibt den Einsatz von Schafen vor.“ Maschinen seien keine Alternative zu den Weidetieren, so Ulferts. Er hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass von Seiten des zuständigen niedersächsischen Umweltministeriums eine Reaktion erfolgt. „Aber wahrscheinlich wird wieder alles auf die lange Bank geschoben.“
Stades Landrat Kai Seefried (CDU) teilt die Sorgen des Oberdeichrichters. Er hat am Morgen nach Bekanntwerden des tödlichen Wolfsangriffs auf der Knastinsel an den Niedersächsischen Umweltminister Christian Meyer (Grüne) geschrieben und um Unterstützung gebeten.
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„Mehrfach und mit Nachdruck habe ich in der Vergangenheit auf die Bedeutung des Küstenschutzes und die damit verbundene Notwendigkeit der sicheren Bewirtschaftung mit Schafen hingewiesen. Jetzt hat es einen Schäfer und einen Deichverband an der Elbe und damit den wichtigsten Bereich im Hinblick auf den Küstenschutz und die Sicherheit für unsere Region getroffen“, schrieb Seefried.
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Er wolle den Betroffenen etwas anbieten: „Nur die Sorgen und auch den damit verbundenen Schmerz aufzunehmen, reicht nicht aus.“ Nach Seefrieds Einschätzung könne der Landkreis aber nach wie vor nichts tun. „Wir haben keine Verordnung. Wir befinden uns noch nicht in einem definierten Wolfsgebiet. Letzte bekannte Risse liegen Monate zurück und es gibt auch noch keine Regelung für eine schnelle Reaktion. Vermutlich müssen wir jetzt erstmal wieder auf die DNA-Analyse warten“, so der Landrat, der das Ministerium um eine Handlungsempfehlung bittet.
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Seefried bezieht sich auf neue Regelungen im Wolfsmanagement, die die Umweltministerkonferenz der Länder im Oktober 2023 für den Jahresanfang 2024 angekündigt hatte und die unter anderem die Möglichkeit für einen schnelleren Abschuss von Wölfen beinhalten sollten. Die dazu notwendige Verordnung ist derzeit aber noch nicht bekannt.
Deshalb steigt der Unmut in der Region gegenüber dem Umweltministerium. Der Landkreis Stade hat gemeinsam mit den Landkreisen Aurich, Celle, Friesland, Gifhorn, Lüneburg, Rotenburg (Wümme), Wittmund und Uelzen die Initiative ergriffen und erneut um ein Gespräch mit dem Umweltminister gebeten. Ein Termin für Mitte März im Ministerium in Hannover war schon vereinbart, wurde vom Minister aus Termingründen aber wieder abgesagt. Nun warten die Landkreise auf einen neuen Termin.