Landkreise Harburg/Stade. Gerissene Schafe, zerfleischte Rinder: Region südlich der Elbe hat ein Wolfsproblem. Wie die Vorschläge aus Berlin aufgenommen wurden.
Zunehmende Wolfsrisse in den Landkreisen südlich der Elbe beschäftigen Anwohner wie Weidetierhalter – umso höher waren die Erwartungen an den von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) angekündigten Punkteplan zur Erleichterung von Wolfsabschüssen. Einen Tag nach der Bekanntgabe des Plans sind die Reaktionen in den Landkreisen Harburg und Stade eher verhalten.
Wendelin Schmücker etwa gehen Lemkes Vorschläge nicht weit genug. „Das ist keine Verbesserung für uns Weidetierhalter. Nach wie vor muss erst Tierleid passieren, bevor ein Wolf abgeschossen werden darf“, sagt der Vorsitzende des Fördervereins der Deutschen Schafhaltung. „Von einer Bestandsregulierung, wie wir sie fordern, ist Lemkes Vorschlag weit entfernt. Er hilft uns nicht weiter“, so der Winsener Hirte weiter. Er fordert weiterhin, „eine Bestandsobergrenze zu definieren und alles zu erschießen, was über das Maß geht“.
Der Plan aus Berlin: Abschuss muss 21 Tage nach Riss erfolgen
Laut Bundesministerin Lemke soll ein Wolf ohne Nachweis der Genetik nach einem Riss und in einer Region mit hohen Schäden sofort geschossen werden dürfen, ohne dass es dazu das bisher erforderlichen langwierigen und bürokratischen Antragsverfahrens bedarf. Die Entnahme, also der Abschuss, muss allerdings in einem Zeitraum von 21 Tagen geschehen, der Entnahmeradius beträgt einen Kilometer um den aktuellen Riss. Die weitere Ausgestaltung der Details obliegt laut Lemke den Ländern.
Schmücker hält dieses Vorgehen und die Begrenzung auf einen Radius von einem Kilometer für nicht praktikabel. „Was ist, wenn der Hirte mit seinen Schafen weiterziehen muss?“, fragt Schmücker. Auch die Begründung für die räumliche Begrenzung leuchtet dem Hirten nicht ein – Lemke begründete sie mit der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass Wölfe nach einem Riss häufig an den Ort ihres erfolgreichen Risses zurückkehren, um dort erneut nach Beute zu suchen. Dies jedoch sei praxisfern: „Das wird in den seltensten Fälle passieren. Wenn es einen Riss gegeben hat, laufen dort so viele Menschen herum, und es herrscht solche Unruhe – da hält sich der Wolf fern.“
In Niedersachsen leben aktuell 50 Wolfsrudel und vier Wolfspaare
Lemkes Pläne weise Eckpunkte auf, „mit denen wir als Aktionsbündnis weiterarbeiten können“, sagt dagegen Jörn Ehlers, Sprecher des Aktionsbündnisses Aktives Wolfsmanagement und Landvolk-Vizepräsident in Niedersachsen. „Uns ist wichtig, dass nicht mehr Einzelfälle als Bewertungsgrundlage dienen, sondern der Gesamtbestand an Wölfen in Niedersachsen eingedämmt und ein regional differenziertes Wolfsmanagement eingeführt wird“, so der Chef des Bauernverbandes.
Nach aktuellen Zahlen gibt es in Niedersachsen 50 Wolfsrudel, vier Wolfspaare und einen residenten Einzelwolf. Dem Abendblatt gegenüber bezifferte Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) die Anzahl der Wölfe in Niedersachsen auf 500 bis 600. „Jetzt muss unser Umweltminister Meyer Farbe bekennen und bis zur Umweltministerkonferenz Ende November die Details klären“, fordert Ehlers.
Gerissene Schafe, zerfleischte Rinder: Landkreis Stade ist von Wolfsattacken besonders betroffen
Landesumweltminister Meyer hat angekündigt, Lemkes Vorschlag für einen leichteren Abschuss von Wölfen in Niedersachsen zügig umsetzen zu wollen, möglichst schon 2024. „Das ist unser Ziel. Ein einstimmiger Beschluss der Umweltministerkonferenz für dieses Verfahren – und dann werden wir das so schnell wie möglich auch in Niedersachsen in die Praxis umsetzen und dann auch realiseren”, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag im Landtag in Hannover.
„Ich bin froh, dass jetzt endlich auch in der Bundesregierung erkannt wurde, dass es kein ‚weiter so‘ mehr geben darf“, sagte Stades Landrat Kai Seefried (CDU). Die angekündigten Regelungen zur Vereinfachung der Abschussgenehmigung gingen in die richtige Richtung, so Seefried, dessen Landkreis aktuell von schweren Wolfsattacken vor allem auf Schafe und Rinder und betroffen ist.
Landrat hofft auf konstruktive Abstimmung zwischen Bund und Ländern
„Allerdings steckt der sogenannte Teufel wie so oft im Detail“, sagt Seefried. „Ich hoffe, dass die weiteren Abstimmungen zwischen Bund und Ländern auch wirklich zu anwendbaren Lösungen führen.“ Die klare Absage der Bundesumweltministerin an sogenannte wolfsfreie Zonen könne ihn als Landrat eines Küstenlandkreises allerdings nicht zufriedenstellen. „Für uns ist die Unterhaltung der Deiche mit Schafen von besonderer Bedeutung. Hierfür brauchen wir Rahmenbedingungen, die den Schäfern eine sichere Haltung ihrer Tiere gewährleistet.“
Für die die aktuelle Lage im Landkreis Stade heiße es in den nächsten Wochen daher, weiterhin abzuwarten. „Unter den derzeitigen Voraussetzungen werden wir keine Zustimmung für eine Abschussgenehmigung erhalten. Dies ist für mich nach wie vor sehr unbefriedigend“, sagt Seefried.
Jäger im Landkreis Harburg „wollen keine Hatz auf Wölfe machen“
Harburgs Kreisjägermeister Norbert Leben sieht in Lemkes Ankündigungen „einen allerersten Schritt in die richtige Richtung“. „Es fehlt aber nach wie vor ein regionales Wolfsmanagement, das auf die Besonderheiten der Landschaft eingeht“, so Leben. Es müsse Wolfsgebiete und wolfsfreie Zonen geben, um Konflikte zu vermeiden. „Wir Jäger haben überhaupt kein Interesse daran, den Wolf auszurotten“, betont Leben. „Wir wollen keine Hatz auf Wölfe machen. Aber wir können auch nicht so tun, als ob nichts passiert wäre und brauchen daher klare Vorgaben und gesetzliche Regelungen.“
Obwohl die Grünen über Jahre als die entschiedensten Verfechter des Wolfsschutzes aufgetreten sind, gibt es für den Plan der grünen Bundesumweltministerin in der Partei auch regional große Zustimmung. So begrüßt die grüne Landtagsabgeordnete Nadja Weippert aus dem Landkreis Harburg die Vorschläge der Bundesumweltministerin für den künftigen Umgang mit Wölfen – und besonders den Punkt, dass Wölfe, die für Nutztierrisse verantwortlich sind, künftig auch ohne langwierige DNA-Nachweise entnommen werden können.
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„Es erhöht schlicht die Chance, auch tatsächlich die Problemwölfe ausfindig zu machen und zu entnehmen, wenn die Abschussgenehmigung zügig erteilt wird“, sagt Weippert. Das werde auch im Landkreis Harburg dazu beitragen, die Zahl der Nutztierrisse wirksam zu begrenzen, ist die Abgeordnete überzeugt. Die Pläne der Bundesumweltministerin würden den Weidetierhaltern helfen und ihre wichtige Arbeit stärken. „Sie bringen uns dem Ziel eines regional differenzierten Bestandsmanagements beim Wolf einen wichtigen Schritt näher“, stellt die Tostedterin fest. Auf der Konferenz der Umweltminister und -ministerinnen der Länder im November, so hofft die grüne Landtagsabgeordnete, sollten dazu einstimmige Beschlüsse gefällt werden.
Wolfsrisse bei Hamburg: Zügig handeln, wenn Schafe oder Ziegen gerissen worden sind
Auch Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte von den Grünen meint, dass der Vorschlag von Bundesumweltministerin Steffi Lemke „einen großen Fortschritt für mehr Schnelligkeit und Praxistauglichkeit bei der Entnahme von Wölfen bringt, die landwirtschaftliche Schäden verursachen“.
Es sei zu begrüßen, dass Wölfe in der betroffenen Region künftig im Umkreis von 1000 Metern um betroffene Weiden innerhalb eines befristeten zeitlichen Rahmens schnell entnommen werden können, wenn Schafe oder Ziegen trotz Herdenschutz oder Pferde und Rinder gerissen würden.
„Nun wird es allerdings darum gehen, die Grundlagen zu schaffen, um zügig diesen weiteren Schritt in die Richtung eines regionalen Wolfsmanagements zu gehen“, so Staudte.