Stade. Befürchtete Eskalation im Süden von Hamburg tritt ein. Stimmung im Landkreis Stade kippt. Warum der Landwirt offenbar leer ausgeht.
- Die Region südlich der Elbe hat ein massives Wolfsproblem: Schwere Attacken haben in den vergangenen Wochen Dutzenden Weidetieren das Leben gekostet.
- Besonders betroffen ist der Landkreis Stade.
- Die meisten Landwirte, deren Herden Opfer eines Angriffs geworden sind, bekommen vom Land Niedersachsen keine Entschädigung ausbezahlt.
Wieder ein Wolfsriss mit sechs toten Schafen im Landkreis Stade: Die befürchtete Eskalation im anstehenden Winter, die ein Wolfsberater vor kurzem im Abendblatt geäußert hatte, scheint sich zu bestätigen. Die Wolfsattacken auf Weidetiere in der Region gehen offenbar unvermindert weiter – während in der Politik über ein vereinfachtes Abschussverfahren diskutiert wird.
Diesmal traf es die Schafherde eines Landwirts aus Oldendorf im Landkreis Stade. Nach Informationen der Jägerschaft des Landkreises Stade sind dort am vergangenen Wochenende sechs Schafe durch einen Wolfsangriff zu Tode gekommen, fünf wurden tot aufgefunden, eines musste aufgrund schwerer Verletzungen von seinem Leid erlöst werden.
Gerissene Schafe im Kreis Stade: Wolfsberater zweifelt an Medien-Darstellung
Die Herde soll aus insgesamt 25 Schafen bestanden haben. Die Jägerschaft verkündet in ihrer Pressemitteilung, dass es einen 1,80 Meter hohen Zaun gegeben habe und liefert entsprechende Fotos. Daraus zogen verschiedenen Medien den Schluss, dass das Raubtier den Zaun in dieser Höhe überwinden konnte. Das halten Experten allerdings für unmöglich. „Noch können Wölfe nicht fliegen“, sagt der für die Region zuständige Wolfsberater Michael Ohlhoff.
Der Vorfall reiht sich ein in eine Serie von Wolfsrissen im Landkreis Stade und im „Grenzgebiet“ zum Nachbarkreis Harburg. Dabei wurden in wenigen Wochen zahlreiche Schafe und mehrere Rinder Opfer von Wolfsattacken. Für die meisten Schlagzeilen hatte die Attacke in Gräpel Ende August gesorgt, bei der allein 55 Schafe getötet und weitere 30 verletzt wurden. Auch auf Landes- und Bundesebene hatte dieser Wolfsangriff die Debatte über das richtige Wolfsmanagement befeuert.
Vorschläge von Umweltministerin Lemke greifen frühestens zum 1. Januar 2024
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) machte in der vergangenen Woche den Vorschlag, dass Wölfe künftig innerhalb von 21 Tagen nach einem Riss im Umkreis von 1000 Metern um die betroffenen Weiden ohne DNA-Nachweis und ohne Sondergenehmigung entnommen, also erschossen werden dürfen. Bei der Konferenz der Umweltminister Ende November soll darüber beraten werden, so dass ein entsprechender Beschluss zum 1. Januar 2024 umgesetzt werden könnte.
Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die für die Rissbegutachtung zuständig ist, bestätigte dem Abendblatt, dass es sich in Oldendorf zweifelsfrei um eine Wolfsattacke handelte. „Ein Überklettern oder Überspringen des Zauns kann aber nicht bestätigt werden, da nicht an allen Seiten ein ausreichender Untergrabeschutz vorhanden war. Das heißt also, es gab auch Stellen, wo der Wolf unter dem Zaun hätte durchgehen können“, so Jantje Ziegeler, Pressereferentin bei der Kammer.
Dem Landwirt wird demnach keine Entschädigung für seine durch die Wolfsrisse entstandenen Verluste gezahlt. Gerüchte, nach denen es außerdem ein Loch in dem betreffenden Zaun gegeben haben soll, konnte Ziegeler nicht bestätigen: „Zu einem etwaigen Loch im Zaun können wir Ihnen keine Angaben machen.“
Bei der Wolfsattacke in Gräpel wurde der Herdenschutz als unzureichend eingestuft
Sowohl die Wolfsrisse in Gräpel als auch die Attacke in Wiepenkathen mit zwei toten Rindern konnten per DNA-Proben dem männlichen Wolf GW1582m zugeordnet werden. Ein Antrag des Landkreises auf Abschuss des Wolfes wurde abgelehnt, weil auch der Herdenschutz in Gräpel als unzureichend eingestuft wurde.
Die aktuelle Rechtslage sieht vor, dass ein Wolf bei einem Riss nachweisbar mindestens zweimal ausreichenden Herdenschutz überwunden haben muss und durch entsprechende DNA-Proben „überführt“ werden konnte. Ob auch die Risse in Oldendorf dem Wolf GW1582m zugeordnet werden können, muss erst die Auswertung der aktuellen DNA-Proben ergeben.
Landrat Kai Seefried: „Irrsinn der jetzigen rechtlichen Rahmenbedingungen“
„Das, was wir hier gerade erleben, zeigt den Irrsinn der jetzigen rechtlichen Rahmenbedingungen“, sagt Stades Landrat Kai Seefried. „Es vergeht wertvolle Zeit für eine intensive Prüfung, ob der Herdenschutz ausreichend war. Wir warten zum Teil Wochen auf DNA-Analysen. In dieser Zeit gibt es aber schon weitere Risse. Als Untere Naturschutzbehörde können wir aber derzeit nicht mehr tun als abzuwarten, uns sind die Hände gebunden.“
Die Stimmung vor Ort sei angespannt, nicht nur die betroffenen Tierhalter seien massiv verunsichert. „Wir haben jetzt die Wolfsrisse vor Ort und benötigen jetzt eine Möglichkeit einzugreifen“, so Seefried. Die Ankündigungen der Bundesumweltministerin Steffi Lemke gehen nach Ansicht des Stader Landrates zwar in die richtige Richtung, doch für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen seien sie ganz konkret keine Hilfe. Seefried setzt darauf, vom niedersächsischen Umweltministerium bei seinen Bemühungen, eine Abschussgenehmigung zu erwirken, unterstützt zu werden.
Rudel bei Oldendorf besteht aus zwei erwachsenen Wölfen und fünf Welpen
„Problemwolf“ GW1582m ist offenbar der Leitwolf des erst vor wenigen Wochen festgestellten Rudel im Hohen Moor bei Oldendorf. Das Rudel besteht nach Angaben des Wolfsberaters Michael Ohlhoff lediglich aus zwei erwachsenen Tieren – einer Fähe und einem Rüden – und ihren mindestens fünf Welpen, wie aus Aufzeichnungen einer Wildkamera hervorgehe.
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Die in Oldendorf attackierte Schafherde weidete laut Ohlhoff in ihrem weitläufigen Wolfsterritorium. Für solch ein Gebiet sei ein funktionierender Herdenschutz unbedingt vonnöten. Zumal die Wölfe derzeit besonders viel Hunger haben: „Die beiden Leittiere müssen im Moment für ihre heranwachsenden Welpen sehr viel Futter heranschaffen. Sie haben einen sehr hohen Bedarf“, sagt Ohlhoff.
Wolfsberater nimmt Wölfe in Schutz: „Nur vier bis sechs Prozent bauen Mist“
Das werde für die Wölfe allerdings zunehmend schwieriger, weil der Nachwuchs der Rehe ebenfalls herangewachsen und schneller geworden ist und aus diesem Grund für die Raubtiere schwerer zu erlegen sei. „Wölfe decken ihren Fleischbedarf etwa zu 60 Prozent aus Rehwild und lediglich zu 0,5 Prozent aus Nutztieren“, sagt der akademische Jagdwirt.
„Es sind außerdem nur vier bis sechs Prozent aller Wölfe, die so einen Mist bauen und Weidetiere reißen. Die allermeisten verhalten sich ordentlich“, sagt Ohlhoff. In Niedersachsen gibt es etwa 500 bis 600 Wölfe. Zum Vergleich: Für ganz Schweden, wo die Tiere zu bestimmten Zeiten zur Jagd freigegeben sind, gilt eine Obergrenze von 300.