Wistedt/Dohren. Züchter im Süden Hamburgs setzen auf besondere Hunde im Kampf gegen Wolfsangriffe. Doch was, wenn es tatsächlich dazu kommt?

  • Wolfsrisse sind im Süden von Hamburg keine Seltenheit mehr
  • Für Weidetierhalter wird es immer schwieriger, die eigene Herde vor Attacken zu schützen
  • Herdenschutzhunde leben rund um die Uhr bei den Tieren, die sie beschützen sollen

Nicole Benning betreibt mit ihrem Mann Holger Benning die Schäferei Wümmeniederung in Scheeßel-Sothel im Landkreis Rotenburg (Wümme). Doch hier züchtet das Paar nicht nur Schafe und Ziegen zur Biotoppflege, sondern auch Herdenschutzhunde – und zwar die ursprünglich aus der Türkei stammenden Kangals.

Mittlerweile hat das Paar 25 bis 30 Hunde, die ein Dutzend Herden mit etwa 1600 Schafen bewachen. Unterwegs sind sie im Raum Scheeßel, Tostedt, Schneverdingen, Hollenstedt und Hamburg. Die Schafe werden eingesetzt, um in der Vegetation aufzuräumen, etwa Pflanzen wie Kiefernschösslinge oder Brombeeren zu vertilgen, die die Heide verdrängen könnten.

Wolfsrisse bei Hamburg: Kehlbiss bei einer Hündin zeugt vom nächtlichen Kampf

Nach einem Sommer im Naturschutzgebiet übernehmen die Schafe im Winter die Nachbeweidung von Grünlandflächen von Milchviehbetrieben und sorgen mit ihrem sogenannten „goldenen Tritt“ für eine Verdichtung des Bodens und eine Verbesserung der Bodenqualität.

Züchterin Nicole Benning mit ihren Kangals „Josie“ und „Iwan“. Zwei Wolfsübergriffe hatten die Bennings in diesem Jahr schon zu verzeichnen.
Züchterin Nicole Benning mit ihren Kangals „Josie“ und „Iwan“. Zwei Wolfsübergriffe hatten die Bennings in diesem Jahr schon zu verzeichnen. © HA | Marion Wenner

Die beiden Kangals „Iwan“ und „Josie“ machen ihren Job gerade bei einer kleinen Schafherde in der Samtgemeinde Tostedt in der Nähe von Dohren. „Diese Hunde würden ihr Leben geben, um das Leben der Herde zu verteidigen“, sagt Nicole Benning.

Bei der mutigen „Josie“ war es in diesem Jahr tatsächlich fast so weit gewesen: Ein Kehlbiss zeugt vom Kampf mit einem Wolf. Die Hündin wurde danach drei Tage aus der Herde genommen und ins „Homeoffice“ gebracht. In diesem Jahr hatten die Bennings zwei Wolfsübergriffe zu verzeichnen. „Bei den verletzten Hunden fehlte das Halsband, was darauf schließen lässt, dass der Wolf versucht hatte, ihnen die Kehle durchzubeißen“, berichtet die Züchterin.

Wenn der Hund morgens platt ist, wissen die Halter: Es hat Wolfs-Action gegeben

Als Herdenschutzhunde sind sie laut Nicole Benning aber hervorragend geeignet, da sie sehr robust sind, kaum Pflegeaufwand und selten tierärztliche Behandlung benötigen. Und sie sind klar in ihrer Kommunikation, sowohl mit den von ihnen zu beschützenden Herdentieren als auch mit Angreifern wie dem Wolf.

„Wenn man schon einen Wolfsübergriff hatte, sind die Schafe traumatisiert, und der Hund muss die Schafe überzeugen, dass er ihr Freund und nicht ihr Feind ist“, erklärt die Züchterin. Wolfsspuren würden sich mittlerweile regelmäßig in der Nähe von Schafsherden finden lassen. „Wenn der Hund morgens platt ist, wissen wir, dass es nachts reichlich Action gab“, berichtet sie.

Rund 5000 Euro kostet ein fertig ausgebildeter Herdenschutzhund

Nicole Benning verkauft sowohl Welpen als auch angelernte Junghunde. Letztere bleiben ungefähr drei Jahre bei ihr, bevor sie nach abgeschlossener Ausbildung für rund 5000 Euro verkauft und ihrer Bestimmung, dem Herdenschutz, übergeben werden. Doch die Benning sind nicht die einzigen Weidetierhalter im Süden von Hamburg, die auf die Dienste von Herdenschutzhunden zählen. Auch Manfred Schwerk weiß ihre unbedingte Treue und ihren mutigen Einsatz zu schätzen.

Schwerk ist der Chef des Geflügelhofs Nordheide und damit Herr über rund 17.000 Gänse und Enten, die er im Freien hält, hinzu kommen noch diverse Mastenten und -gänse. Um sie bestmöglich vor Angriffen zu schützen, hat er schon vor Jahren damit begonnen, ihnen Bodyguards auf vier Pfoten zur Seite zu stellen: Pyrenäenberghunde.

Geflügelhof in der Nordheide: 22 Security-Mitarbeiter mit Fellnase

„Meinen ersten Pyrenäenberghund bekam ich quasi als Bezahlung von einem Kunden, ein Jahr später kaufte ich mir zwei Hündinnen und begann mit der Zucht“, berichtet der Wistedter, der mittlerweile über 22 Security-Mitarbeiter mit Fellnase verfügt.

Drei tierische Security-Mitarbeiter vom Geflügelhof Nordheide passen auf ihre Schützlinge auf.
Drei tierische Security-Mitarbeiter vom Geflügelhof Nordheide passen auf ihre Schützlinge auf. © HA | Marion Wenner

Als Welpen wachsen sie in der „Familie“ auf, die sie später beschützen sollen – nämlich auf einer der Weiden des Geflügelhofs inmitten schnatternder Zuchtgänse. Dabei werden die tapsigen Jungspunde einzeln oder zu zweit einem erfahrenen Herdenschutzhund zugeteilt, um von ihm ihr Handwerk zu lernen.

So knuffig sie auch aussehen mögen, ins Haus kommen sie bei Familie Schwerk nicht, denn sie sollen nicht auf ihre Besitzer aufpassen, sondern auf das Geflügel. Was aber nicht heißt, dass sie nicht innig geliebt werden. So fährt Manfred Schwerk regelmäßig seine Weiden ab, knuddelt seine Lieblinge, spielt mit ihnen und – ganz wichtig – gibt ihnen ausreichend Futter. „Damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen“, so Schwerk schmunzelnd.

Fördermittel vom Land? Geflügelzüchter wie Schwerk gehen leider leer aus

Billig ist der Unterhalt der kräftigen Herdenschutzhunde nicht gerade: pro Hund um die 1000 Euro Kosten für Futter pro Jahr, wozu bei dem einen oder anderen Hund nochmal derselbe Betrag an Tierarztkosten kommt. Das macht bei 22 Hunden eine stattliche Summe, die umso schwerer wiegen kann, wenn der Betrieb von Seuchen wie der Geflügelpest oder Vogelgrippe befallen wird und die Tiere gekeult werden müssen.

Unterstützung in Form von Födermitteln bekommt Schwerk für seinen Weg bislang nicht. Die Förderpraxis für Herdenschutzmaßnahmen wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt: Geflügelzüchter wie Manfred Schwerk gehen dabei in Niedersachsen leer aus Und: Entschädigung bei Wolfsrissen gibt es für Halter von Schafen, Ziegen, Rindern, Pferden und Gehegewild, während Geflügel in der Richtlinie Wolf nicht drin ist, erklärt Michael Sluiter, Berater Herdenschutz bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.

Die Hunde verteidigen ihre Herde wie ihre Familie

Wer von dieser Richtlinie profitieren kann und sich einen Hund für den Schutz seiner Viehherde anschaffen möchte, sollte bestimmte Regeln beachten, damit er die Anschaffungskosten nicht selbst bezahlen muss und diese übernommen werden. „Es müssen drei Angebote einholt werden, und der Käufer muss sich vom Züchter belegen lassen, dass der Hund aus einer Arbeitslinie stammt“, so Michael Sluiter.

Hunde werden oft von Schäfern zum Hüten ihrer Schafherden eingesetzt. Dafür können sie eine Förderung des Bundeslandes bekommen, in dem sie leben.
Hunde werden oft von Schäfern zum Hüten ihrer Schafherden eingesetzt. Dafür können sie eine Förderung des Bundeslandes bekommen, in dem sie leben. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Die für diese Arbeit speziell gezüchteten Hunderassen unterscheiden sich grundsätzlich von Hütehunden. Von klein an leben sie mit einer Herde zusammen und verteidigen sie als ihre Familie und die Weide als ihr Territorium. Gut bewährt haben sie sich beim Schutz von Schafen und Ziegen, werden seit einiger Zeit aber auch erfolgreich eingesetzt beim Schutz von Pferden, Rindern und anderen Nutztieren.

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„Fertig ausgebildete Hunde sind in den meisten Fällen bereits nach wenigen Tagen in die neue Herde integriert“, weiß Nicole Benning. Und falls sie mit den Schafen, der Familie oder den Mitarbeitern nicht harmonieren sollten, dann kommt ihnen die von den Bennings gewährte Probezeit von vier bis sechs Wochen zugute. Wichtig: Als Familienhunde sind sie nicht unbedingt zu empfehlen, weil sie im unausgelasteten Zustand durchaus mal „übergriffig“ werden können, was zu ihrem schlechten Ruf in der Bevölkerung geführt hat.

Für Weidetierhalter im Landkreis Harburg herrscht aktuell höchste Alarmstufe

Die Arbeit mit den Hunden sei nicht wirtschaftlich, sie sei eine Passion, die sie mit Herzblut betreibt. Die stark vermehrte Wolfspopulation betrachtet Nicole Benning mit Sorge. Die Bevölkerung würde in zwei Lager gespalten werden, die auf beiden Seiten Extremisten hervorbringt, nämlich Wolfsfanatiker und solche, die die Ausrottung der Wölfe fordern.

Außerdem gebe es immer wieder Begegnungen mit Menschen, die sich über die Herdenschutzhunde aufregen oder mit abgeleinten Hunden in einem bewachten Weidegebiet spazierengehen. „Ich wünsche mir einen Rechtsrahmen für arbeitende Herdenschutzhunde, in den Nutztierhalter, Veterinärämter, Ordnungsämter und Polizei einbezogen werden“, sagt die engagierte Frau.