Mikroalgen in den Meeren können mehr Kohlendioxid aufnehmen als vermutet. Das ist das Ergebnis weltweit einzigartiger Experimente, die der Kieler Forscher Riebesell leitete. Doch die unerwartete Hilfe im Klimaschutz gefährdet das Überleben aller Meeresbewohner.
Ozeane können den Treibhauseffekt deutlich abschwächen. Das ist das überraschende Ergebnis von weltweit einzigartigen Experimenten einer internationalen Forschergruppe, die der Kieler Meeresbiologe Prof. Ulf Riebesell leitete. Die Wissenschaftler maßen in Freiland-Experimenten, in denen sie die zukünftige Belastung der Meere mit Kohlendioxid simulierten, wie viel des Treibhausgases in den Meeren verschwinden kann. "Die unerwartete Hilfe im Klimaschutz ist aber mit großen Risiken für die marinen Ökosysteme verbunden", betont Ulf Riebesell vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, IfM-Geomar.
Bisher haben die Meere etwa die Hälfte des von Menschen erzeugten Kohlendioxids (CO 2 ) geschluckt. "Wir haben uns gefragt, ob das auch in Zukunft der Fall sein wird", erläutert Riebesell das Ziel der Studie, die in der aktuellen Ausgabe des britischen Journals "Nature" erschien. "Bislang wusste man nur wenig darüber, wie die Meeresorganismen, insbesondere das Plankton, auf den globalen Klimawandel reagieren."
Mikroalgen, die zum Phytoplankton zählen, stehen am Anfang der marinen Nahrungskette. Sie können aus Licht, CO 2 und Wasser den lebensnotwendigen Sauerstoff und energiereiche Kohlenhydrate herstellen. Von ihnen ernährt sich das Zooplankton, das wiederum den Fischen als Nahrung dient. Wie es um das Plankton bestellt ist, beeinflusst somit die Fischbestände weltweit.
Nach Experimenten im Labor gingen die Kieler Forscher 2001 ins Freiland. Dreimal kehrten sie in den folgenden Jahren in den norwegischen Raune-Fjord südlich von Bergen zurück. Dort nutzten sie eine Versuchsanlage, die wie eine Reihe überdimensionierter Reagenzgläser anmutet. In neun so genannten Mesokomen, zehn Meter tiefe und 27 Kubikmeter Fjordwasser fassende gas- und wasserdichte Säcke, simulierten sie die heutigen und die für 2100 und 2150 prognostizierten CO 2 -Werte.
35 Wissenschaftler entnahmen 25 Tage lang Zigtausende von Proben. Schließlich fehlten in jedem der neun Säcke zwei Kubikmeter Wasser. Nach zahlreichen Analysen gab es ein völlig unerwartetes Ergebnis. Die Forscher registrierten, dass die Einzeller unter erhöhten CO 2 -Bedingungen bis zu 39 Prozent mehr Kohlendioxid aufnahmen. "Es überrascht uns nicht", sagt Ulf Riebesell, "dass die Organismen auf die veränderten Bedingungen reagieren. Womit wir aber nicht gerechnet haben, ist die Tatsache, dass sie durch ihre Reaktion dem CO 2 -Anstieg in der Atmosphäre in einem so großen Umfang entgegen wirken." Die vom Menschen verursachte globale Erderwärmung könnte somit vermindert werden.
Für die anderen Lebewesen im Meer - und letztlich auch für den Menschen - ist das aber keine gute Nachricht. "Marine Mikroalgen, die viel Kohlendioxid umgesetzt haben, sind wesentlich kohlenstoffreicher als solche, die unter den jetzigen klimatischen Bedingungen wachsen. Fressen Kleinkrebse dieses Plankton, wachsen sie langsamer und pflanzen sich langsamer fort", sagt Ulf Riebesell. Auf Dauer sei die Nahrung für die Krebse ebenso bekömmlich "wie fette Hamburger für uns", vergleicht der Meeresbiologe. Die Folge wäre, dass es weniger Zooplankton gibt, somit Fische oder Muscheln weniger zu fressen finden.
Zudem könnte diesen Meeresbewohnern die Luft ausgehen. Weil vermehrt Algen gebildet werden, stirbt auch mehr Phytoplankton ab. Wie nach jeder Algenblüte tritt dann ein Sauerstoffmangel auf. Je mehr Biomasse recycelt werden muss, umso mehr Sauerstoff wird verbraucht werden. Damit dehnen sich die Bereiche in den Ozeanen aus, in denen weniger Sauerstoff im Meerwasser gelöst ist. Das sind Todeszonen für Meeresbewohner wie Fische, Schnecken oder Muscheln.
Und den Lebewesen in den Ozeanen droht noch eine weitere Gefahr. Wenn die toten Mikroalgen in die Tiefe sinken, beschleunigt sich der CO 2 -Transport in die Tiefsee. Das löst eine höchst unerfreuliche Kettenreaktion aus: Gibt es mehr Kohlendioxid im Meerwasser, werden mehr freie Wasserstoffionen gebildet, das Meerwasser droht zu versauern. Um die Versauerung abzubremsen, setzt eine weitere chemische Reaktion ein. Die Folge ist, dass die Konzentration des im Meerwasser gelösten Calciums geringer wird. Darunter leiden Schnecken, Seeigel, Seestern und alle anderen Kalkbildner. Sie können ihre Skelette nicht mehr aufbauen, werden somit aussterben.
"Die Ozeanversauerung könnte tendenziell noch schlimmer als die Klimaveränderung sein", sorgt sich denn auch der Kieler Klimaforscher Mojib Latif. "Sie geht ans Eingemachte. Die ozeanische Nahrungskette basiert auf Plankton. Besonders Kalkalgen sind auf die Bildung einer Kalkschale angewiesen, um zu überleben. Ist dies durch die Versauerung nicht mehr möglich, gerät die ganze Nahrungskette der Ozeane aus dem Gleichgewicht. Die Folgen sind unabsehbar."
Das sollte den beiden britischen Forschern, dem Chemiker James Lovelock von der Oxford University und dem Astrophysiker Christopher Rapley, Direktor des Londoner Science-Museums, zu denken geben. Sie hatten erst kürzlich in "Nature" vorgeschlagen, im Ozean mit Hilfe einer gigantischen Umwälzpumpe eine künstliche Algenblüte auszulösen. "Das würde das Klimaproblem nicht lösen, und es würde reichlich neue Probleme schaffen", kommentiert Ulf Riebesell und weist darauf hin, dass die Forscher noch längst nicht alle Folgen überschauen.
So laufen die meisten Klimamodelle ohne oder nur mit einem recht einfachen Kohlenstoff-Kreislauf. "Unsere Erkenntnisse werden diese Modelle weiter verfeinern. Wir arbeiten mit Modellierern zusammen, um die Daten einzuspeisen", sagt Ulf Riebesell. Zunächst sollen die Ozeanmodelle verbessert werden.