Der Meeresspiegel könnte in 100 Jahren um einen Meter ansteigen - und die Süßwasserressourcen gefährden.

Berlin. Rasant schmelzende Gletscher verdüstern die Szenarien zum Klimawandel: Der Meeresspiegel könnte in diesem Jahrhundert um einen Meter ansteigen, gut 40 Zentimeter mehr als bislang erwartet. Auch der Temperaturanstieg könnte den politisch angestrebten Höchstwert von plus zwei Grad bis 2100 überschreiten und damit die Marke, bis zu der die Folgen noch einigermaßen handhabbar erscheinen. Davor warnte gestern Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) in Berlin.

Zusammen mit seinem Kollegen Jochem Marotzke, Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie, und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte Schellnhuber, angesichts der schmelzenden Werte in der Finanzkrise die abtauenden Gletscher im Blick zu behalten.

Denn seit einigen Jahren registrieren Wissenschaftler in aller Welt stark schwindende Eismassen. An mehr als 1800 untersuchten Gletschern hat sich der Masseverlust seit Anfang der 80er-Jahre in etwa verdoppelt. Auch der Grönland-Eisschild nimmt rasant ab - sollte er komplett abschmelzen, dann würde der Meeresspiegel sogar um sieben Meter ansteigen. Doch damit sei in überschaubaren Zeiträumen nicht zu rechnen, betont Jochem Marotzke: "Schlimmstenfalls könnte die grönländische Eisdecke über mehrere Jahrhunderte komplett abschmelzen, mit einer Rate, die den Meeresspiegel allein dadurch um etwa einen Meter in 100 Jahren steigen ließe.

Nimmt man alle Erwärmungseffekte zusammen, dann hält auch Marotzke es für möglich, dass die Meere bis 2100 um einen Meter steigen, neben weiteren Herausforderungen an die Sturmflutabwehr an der Küste: "Man darf nicht nur darauf achten, dass das Wasser nicht über die Deiche schwappt. Bislang wird das Salzwasser, das seitlich oder unter dem Deich hindurch eindringen kann, viel zu wenig beachtet. Es gefährdet die Süßwasserressourcen innendeichs."

Politikberater Schellnhuber hält es für möglich, das mit konsequenterem globalen Klimaschutz der Temperaturanstieg bis 2100 noch auf zwei Grad zu begrenzen ist. Marotzke ist angesichts der noch fehlenden Trendwende zum global sinkenden Kohlendioxid-Ausstoß eher skeptisch. Doch er warnt davor, sich zu sehr auf die Diskussion über Klimadaten zum Ende des Jahrhunderts zu konzentrieren: "Wir sollten lieber über die bereits feststehenden Klimafolgen im kommenden Jahrzehnt sprechen, etwa über stärkere Niederschläge und über Trockenheit in der Mittelmeerregion. Und überlegen, wie wir darauf reagieren."

Wie drastisch die Folgen sein können, zeigt die Einschätzung der Uno, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts 200 Millionen Menschen durch die Folgen der Erderwärmung aus ihrer Heimat vertrieben werden. "Alle Anzeichen sprechen dafür, dass wir vor einem globalen Problem gigantischen Ausmaßes stehen", sagte der Chef des Uno-Umweltinstituts in Bonn, Janos Bogardi, gestern in Barcelona.