Ein Umdenken ist nötig. Sand sollte vor allem im Osten der Insel vorgespült werden, forderte Meeresökologe Karsten Reise auf dem “Wissenschaftssommer“ in Rantum. Im Westen müsste umgesiedelt werden.
Der mit der Klimaerwärmung einhergehende Anstieg des Meeresspiegels lässt die Nordsee an den Inseln im Wattenmeer immer mehr Sand abtragen. Während der Weltklimarat IPCC in seinem kürzlich veröffentlichten Bericht einen Anstieg von maximal 60 Zentimetern bis zum Ende dieses Jahrhunderts für möglich hält, rechnet der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf nach Auswertung von historischen Messdaten zu Meerestemperatur und -spiegel sogar mit einem Wert zwischen 50 Zentimetern und 1,40 Meter. Das bedeute für die Sandinseln zwar nicht "Land unter", aber ein anderer Umgang mit der Küste sei nötig, betont der Meeresökologe Prof. Karsten Reise kürzlich im Vortrag "Sylt im Klimawandel", den er beim "Wissenschaftssommer" in Rantum (Sylt) hielt.
Reise leitet die Wattenmeerstation des Alfred-Wegener-Instituts in List auf Sylt und wirbt schon seit vielen Jahren für ein Umdenken von einem "harten" Küstenschutz, der auf Betonverbauungen und immer höhere Deiche setzt, hin zu "sanften" Maßnahmen, die sich stärker an der natürlichen Dynamik anlehnen. Sylt setzt dabei auf Sand: Jeden Sommer wird er von dort, wo das Meer etwa 25 Meter tief ist, vor die Westküste gespült - als Futter für die Nordsee. Denn die natürliche Dynamik will den Abstand zwischen Meeresspiegel und -boden konstant halten. Wenn der Wasserspiegel ansteigt, muss der Boden also mitwachsen können. Das passende Baumaterial holt sich das Meer im Normalfall vom Land. Um die Insel zu schonen, wird aufwendig Ersatz herangeschafft.
Die Sandvorspülungen seien der einzig mögliche Weg, Sylt vor weiteren Landnahmen durch den Blanken Hans zu schützen, weiß auch Westerlands Bürgermeisterin Petra Reiber. Denn die in den 70er-Jahren am Sandstrand installierten Betonklötze (Tetrapoden) erfüllten kaum ihren Zweck, sie wurden vom Meer unterspült. "Die Nordsee will Sand und nicht Beton", erklärt Meeresbiologe Reise das Problem.
Doch auch das Vorspülen trifft nicht auf seine uneingeschränkte Zustimmung. Das Geld (etwa vier Millionen Euro pro Jahr) für die Umlagerung von jährlich etwa einer Million Tonnen Sand könnte sinnvoller eingesetzt werden, ist Reise überzeugt. An der Ostküste sei die Abtragungsrate zehnfach niedriger als an der Westflanke, deshalb würden Sandvorspülungen dort viel länger wirken. Ein Teil des Sandes sollte zum Schutz von neuralgischen Punkten weiterhin die Westküste stützen, so Reise. Ein Teil könne zur Landgewinnung östlich der Insel eingesetzt werden.
Zusätzlich müsste Geld für einzelne Umsiedlungsprojekte zur Verfügung stehen. Denn an einigen Orten, etwa am Roten Kliff zwischen Kampen und Wenningstedt, sorgten erst die Landabbrüche für das attraktive Landschaftsbild, betont der Forscher. Hier sollte die Nordsee ruhig zubeißen können, um ihren Sandhunger zu stillen.
An ungeschützten Abschnitten "fräße" das Meer jedes Jahr im Schnitt etwa einen Meter Insel - ein Landverlust, dessen Tempo die Bauleitplanung folgen können müsste. Doch in einigen Jahren, zum Beispiel im zurückliegenden Winter, sind die Verluste höher. Nach dem diesjährigen Rekordminus kündigte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen zusätzliches Geld für die herkömmlichen Sandspülungen an. Reise würde das Geld stattdessen lieber in seinem Sinne ausgeben, denn er hält die verstärkten Spülungen für unnötig: "Die Nordsee hat sich in diesem Winter offensichtlich übernommen und zu viel Sand abgetragen. Deshalb hat sie einen Gutteil davon im Frühjahr zurückgegeben. Die Inselbewohner kennen das. Die Aufregung über die großen Verluste im Winter war gar nicht angebracht."
Viele Sylter können sich noch daran erinnern, dass jahrhundertelang Menschen nicht - auf Teufel kommt raus - die westliche Küstenlinie verteidigt haben, sondern zur Wattenmeer-Seite der Insel abwanderten. "Früher sind unsere Vorfahren immer vor dem Meer gewichen und haben nicht versucht, möglichst nah am Strand zu bauen. Dieses alte Denken ist verloren gegangen. In Zeiten des Klimawandels brauchen wir es nun wieder", sagte eine Sylterin aus dem Publikum.