Die Physik und der Klimawandel: Je wärmer die Luft, desto mehr Wasser nimmt sie auf - und gibt sie wieder ab ...
Hamburg. Autos versinken im Ruhrgebiet bis zum Dach in Regenfluten, Keller und Straßen laufen binnen Minuten auch am Main und in Kassel voll, und am Bodensee muss der Bahnverkehr unterbrochen werden: Beinahe täglich trüben Berichte von bereits herabgestürztem oder drohendem Starkregen die aktuelle Hochsommerstimmung. Zwar blieb in dieser Woche Hamburg bislang davon verschont, aber das könnte sich schon morgen ändern. Solche plötzlich und ungewohnt heftig auftretenden Unwetter sind wohl das auffälligste Symptom des Klimawandels in Deutschland.
Anfang Juli sorgte Starkregen auch im Hamburger Raum für Schlagzeilen. Binnen kürzester Zeit stürzten derart große Wassermassen herein, dass das Dach eines Autohauses in Halstenbek unter der Last zusammenbrach. Gerade in Hamburg registrierte der Deutsche Wetterdienst (DWD) bereits einen deutlich erkennbaren Anstieg von Starkregen. In allen anderen Bundesländern gebe es bislang höchstens eine leichte Zunahme, die statistisch unauffällig sei, betont Gerhard Müller-Westermeier, verantwortlich für die Klimaanalytik beim DWD in Offenbach. Dennoch passe der sintflutartige Sommerregen zu den Prognosen der Klimaforscher, so Müller-Westermeier: "In den Sommermonaten wird eher etwas weniger Niederschlag fallen, dafür aber konzentrierter."
Flüsse, die über die Ufer treten, waren ein klassisches Frühjahrs-Phänomen, wenn die Schneeschmelze die Pegel steigen ließ. Doch die jüngsten Katastrophen suchten die Flussanwohner im Hochsommer heim: Die Oder-Flut brachte im Juli und August 1997 verheerende Überschwemmungen, und im August 2002 waren es Elbe und Donau. Die Ursache: Rekordniederschläge in den Einzugsbereichen der Flüsse.
Solch "kräftige Wetterlagen" nehmen bereits zu und werden es auch zukünftig tun, sagt Prof. Martin Claußen, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie: "Tiefs im Mittelmeerraum sammeln Feuchtigkeit und schaufeln diese nach Norden - entweder aus südöstlicher Richtung wie etwa bei der Elbe-Flut 2002, oder aus dem Südwesten, wie wir es jetzt erleben. Diese Wetterlagen treten auch in unseren Modellen häufiger auf."
Verstärkt fallende sintflutartige Niederschläge sind physikalisch leicht erklärbar: Die durch Treibhausgase erhöhte Temperatur (in Deutschland stieg sie im 20. Jahrhundert um 0,9 Grad Celsius im Jahresmittel) lässt die Luft mehr Wasser aufnehmen, und damit steigen die Niederschlagsmengen. Es bilden sich größere Wolken mit einem dynamischeren Innenleben: "Die Temperaturdifferenz zwischen Boden und höheren Luftschichten wird eher größer und damit auch der Aufwind in den Wolken", erklärt Müller-Westermeier.
Dadurch steigt auch das Risiko von tennisballgroßen Hagelkörnern: Hagel entsteht, wenn Eiskörnchen mit dem Aufwind in höhere Luftschichten getragen werden. Auf dem Weg nach oben werden sie immer größer, bis sie so schwer sind, dass der Luftstrom sie nicht mehr tragen kann. Dann fallen sie herunter und tauen dabei meist weitgehend auf. Je stärker der Aufwind, desto größere Hagelkörner können sich in der Wolke halten. Zudem werden sie auf ihrem Rückweg zur Erde leichter erneut vom Aufwind erfasst und ein weiteres Mal in die Höhe getragen. Dieser Jo-Jo-Effekt lässt die Körner zu Eiskugeln wachsen.
Die zusätzliche Energie verstärkt auch die Gewittergefahr. Bei feuchtwarmer Luft bilden sich Gewitterzellen, die für Regen im Patchwork-Muster sorgen: Während an einem Ort sintflutartige Niederschläge fallen, schleppen die Einwohner in zehn Kilometer Entfernung noch immer Gießkannen, um ihren Garten zu wässern. Dies sei ein typisches Gewitterphänomen, so der DWD-Experte: Die in Quellwolken aufsteigende Luft sinkt an ihren Rändern wieder hinab. Dort bleibt der Himmel zunächst klar. Da Schauerzellen aber nur eine kurze Lebensdauer von vielleicht einer halben Stunde haben und sich ständig neue Gewitterzellen bilden, treten immer wieder neue Regengüsse auf.
"Land unter" hieß es in dieser Woche fast in allen Landesteilen, nur der Nordosten inklusive Hamburg blieb bislang verschont. Zwar zog in der Nacht zu Mittwoch eine Front über die Hansestadt, doch fielen nur fünf bis sechs Liter Regen - in Dortmund waren es am Wochenende bis zu 200 Liter in zwei Stunden, in Singen beim Bodensee am Montag im gleichen Zeitraum 82 Liter; in Miltenberg und Aschaffenburg am Main prasselte am Dienstag in 40 Minuten mehr als 600 Liter Regen nieder.
Über den Nordosten Deutschlands hielt Hoch "Volker" seine schützende Hand, ließ aus Osten trockene, heiße Kontinentalluft einströmen, die ausgedehntes Badevergnügen an den Ostseestränden bescherte. Weiter westlich und südlich schickten Tiefdruckgebiete feuchte Luft ins Land. Dort, wo diese auf die nördliche Heißluft traf, entluden sich schwere Gewitter.
Inzwischen schwächelt "Volker", sodass die Niederschläge in der Nacht zu Mittwoch eine kleine Abkühlung brachten. Die Front war nicht sehr kräftig. Zudem kam sie nachts. Dadurch blieb den Hanseaten wohl viel Unheil erspart. "Wie stark ein Unwetter wird, ist auch von der Tageszeit abhängig", erklärt DWD-Meteorologin Dorothea Petzold. "Trifft die feuchte Luft tagsüber auf Luftmassen, die von der Sonne ordentlich aufgeheizt wurden, sind die Gewitter umso heftiger."
Für morgen liegt jedoch auch im Norden Unwetter in der Luft. Petzold: "Die Wetterlage wird sich ändern, die Tiefs gewinnen die Oberhand. Mit schweren Gewittern ist auf jeden Fall zu rechnen. Wann und wo sie fallen, können wir aber noch nicht sagen." Fest stehe aber: "Es sieht nicht gut aus für ganz Deutschland."
Wer kann, sollte seine für morgen geplante Zeltparty besser um einen Tag verschieben - egal, ob er im aktuell sonnenverwöhnten Nordosten oder im feuchteren Rest des Landes wohnt.