Hessische Verhältnisse – dieses Schlagwort steht für Unregierbarkeit und Minderheitsregierungen. Am kommenden Sonntag (18. Januar) wird in Hessen (sechs Millionen Einwohner) ein neuer Landtag gewählt. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 35.700 Euro je Einwohner liegt Hessen wirtschaftlich an der Spitze der deutschen Flächenländer.
CDU-Ministerpräsident Roland Koch steht vor der Wiederwahl nach einem turbulenten Jahr mit dem Versuch einer von den Linken geduldeten rot-grünen Minderheitsregierung unter Andrea Ypsilanti (SPD). Allerdings muss Koch nach dem Absturz bei der Wahl Anfang 2008 nach den letzten Umfragen mit der FDP gemeinsam regieren. Abendblatt.de hat eine Chronik der jüngsten hessischen Verhältnisse zusammengestellt und die wichtigsten Kandidaten porträtiert.
Chronik
27. Januar 2008: Bei der Landtagswahl verliert die CDU 12 Prozentpunkte und erreicht 36,8 Prozent. Sie bleibt aber knapp vor der SPD, die um 7,6 Punkte auf 36,7 Prozent zulegt. SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti erklärt sich zur Siegerin.
4. März: Entgegen ihren Versprechen im Wahlkampf will Ypsilanti mit der Linken über die Duldung einer rot-grünen Minderheitsregierung verhandeln. Drei Tage später lässt sie den Plan wegen des Widerstands der Darmstädter SPD-Abgeordneten Dagmar Metzger zunächst fallen.
5. April: Der neue Landtag konstituiert sich. SPD und CDU haben je 42 Sitze, gefolgt von FDP (11), Grünen (9) und Linkspartei (6). Ministerpräsident Roland Koch (CDU) bleibt geschäftsführend im Amt.
3. Juni: Mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken schafft der Landtag die unter der CDU eingeführten Studiengebühren wieder ab. Koch verweigert wegen eines Fehlers später die Unterschrift unter das Gesetz, am 17. Juni beschließt es die linke Landtagsmehrheit erneut.
23. Juli: Nach dem Sommerurlaub beginnt Ypsilanti ihren zweiten Anlauf zur Bildung einer von den Linken tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung.
30. August: Ein Linken-Parteitag stimmt für einen Regierungswechsel gemeinsam mit SPD und Grünen.
30. September: Erfolgreiche Probeabstimmungen bei SPD, Grünen und Linken über eine mögliche Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin.
4. Oktober: Die hessische SPD beschließt mit über 98 Prozent die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Grünen.
24. Oktober: Nach einer Nachtsitzung einigen sich SPD und Grüne auf einen Koalitionsvertrag.
31. Oktober: In einem Mitgliederentscheid votiert die hessische Linkspartei mit über 90 Prozent für das Tolerierungsmodell.
1. November: Die hessische SPD billigt den Koalitionsvertrag auf einem außerordentlichen Parteitag. Einen Tag später stimmen die Grünen zu. 3. November: Einen Tag vor der geplanten Ministerpräsidentenwahl versagen überraschend vier SPD-Landtagsabgeordnete Ypsilanti die Gefolgschaft.
6. November: Die großen Parteien CDU und SPD sprechen sich als letzte für eine Neuwahl aus, weil keine Regierungsmehrheit in Sicht ist.
8. November: Ypsilanti verzichtet auf die Spitzenkandidatur und schlägt ihren Vertrauten Thorsten Schäfer-Gümbel vor.
19. November: Der Landtag in Wiesbaden löst sich selbst auf. Am 18. Januar 2009 soll neu gewählt werden.
13. Dezember: Koch und Schäfer-Gümbel werden als Spitzenkandidaten ihrer Parteien bestätigt.
Das sind die Spitzenkandidaten im Kurzporträt:
CDU: Roland Koch (50)
Seit fast zehn Jahren regiert der ehrgeizige Jurist aus Eschborn das Bundesland Hessen, seit 1998 führt er die Landes-CDU. Koch überstand schon Stürme wie die Affäre um schwarze Kassen seiner Partei. Doch mit überzogenen Parolen gegen junge kriminelle Ausländer verscherzte er sich im letzten Winter die Wählergunst. Seine Partei war nur noch knapp stärker als die SPD, Koch musste geschäftsführend ohne Mehrheit weiterregieren. Der Polarisierer Koch gibt sich seitdem nachdenklicher. Mit Beredsamkeit und Sachkompetenz, die ihm selbst Gegner bescheinigen, gilt er immer wieder als Mann für höhere Aufgaben in Berlin.
SPD: Thorsten Schäfer-Gümbel (39)
Er versucht den Scherbenhaufen zu kitten, den die SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti bei ihren zwei vergeblichen Anläufen zur Regierungsübernahme hinterlassen hat. Der Politologe aus Gießen sitzt seit 2003 im Landtag, war als fleißiger Hinterbänkler bekannt, gehörte aber bis zu seiner überraschenden Ernennung zum Spitzenkandidaten nicht zur engen Führung der Hessen-SPD. Den anfänglichen Spott über seinen Doppelnamen und seine dicke Brille steckte Schäfer-Gümbel selbstironisch weg. Danach profilierte er sich mit klaren Konzepten und Reden, viel kritisiert wurde aber sein Vorschlag einer Zwangsanleihe bei großen Vermögen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise. Handicap für den Herausforderer bleiben die Schwäche der SPD und seine geringe Bekanntheit.
FDP: Jörg-Uwe Hahn (52) Der Rechtsanwalt und Landes- sowie Fraktionschef der Liberalen möchte schon seit 2003 mit der CDU regieren. Ministerpräsident Roland Koch ist sein Duzfreund, beide laufen gern Ski. Doch nach der Wahl 2003 konnte die erfolgreiche Union allein regieren, die FDP schlug die angebotene Gnadenkoalition aus. Im Januar 2008 dagegen brach die CDU ein, es reichte nicht zur schwarz-gelben Mehrheit. Die für eine mögliche Ampel-Koalition werbende SPD ließ Hahn abblitzen. Mit der Union verbindet ihn mehr, auch wenn er der CDU immer wieder handwerkliche Unzulänglichkeiten, Überregulierung oder mangelnde Bodenhaftung vorwirft.
Grüne: Tarek al-Wazir (38)
Der Landes- und Fraktionsvorsitzende der hessischen Grünen, sieht sich wegen der Schwäche der SPD als eigentlicher Herausforderer von Ministerpräsident Roland Koch. Al-Wazir, als Sohn eines Jemeniten und einer Deutschen in Offenbach geboren, ist im Landtag einer der wenigen Redner, die Koch das Wasser reichen können. Die ausländerfeindlichen Untertöne in Kochs Wahlkämpfen nimmt der Grünen-Chef persönlich übel, im letzten Winter verweigerte er dem CDU-Mann deshalb den Handschlag. Der studierte Politologe führt die Grünen-Fraktion im hessischen Landtag länger als jeder andere vor ihm, nämlich seit dem Jahr 2000.
Linke: Willi van Ooyen (61)
Er trägt das Parteibuch der Linkspartei erst seit Kurzem. Als Parteiloser wurde er zunächst Spitzenkandidat der Linken zur Hessen-Wahl 2008 und dann Vorsitzender ihrer ersten Fraktion. Der Pädagoge hat eine bewegte Vergangenheit in linken Parteien und Friedensgruppen. Er organisierte die Ostermärsche und war ab 1984 Hauptgeschäftsführer der Deutschen Friedensunion DFU, die als von der DDR finanziert galt. Vor dem Einzug in den Landtag leitete er die Praunheimer Werkstätten für Behinderte in Frankfurt. Van Ooyen wirkt gemütlich, hat aber im Landtag immer wieder mit provozierenden Äußerungen den Zorn von CDU und FDP auf sich gezogen.