Der Kandidat, der aus dem Nichts kam: Abendblatt-Interview mit Hessens-SPD-Hoffnung Thorsten Schäfer-Gümbel
Hamburger Abendblatt:
Herr Schäfer-Gümbel, Ihr Generalsekretär Norbert Schmitt geht Ihnen gerade von der Fahne. Das macht auf die Wähler nicht gerade den besten Eindruck, oder?
Thorsten Schäfer-Gümbel:
Das ist eine rein persönliche Entscheidung, die Norbert Schmitt schon vor langem getroffen hat. Sie hat keinen Einfluss auf unsere Wahlkampagne.
Hamburger Abendblatt:
Wirklich nicht? Schmitt hat seinen angekündigten Rückzug mit den Worten begründet, er übernehme damit die Verantwortung "für jedes Wahlergebnis". Normalerweise übernehmen Politiker nur die Verantwortung für verlorene Wahlen…
Thorsten Schäfer-Gümbel:
Ich bin der Spitzenkandidat mit der kürzesten Anlaufzeit überhaupt, mit den denkbar schwierigsten Ausgangsbedingungen, und deshalb beschäftige ich mich mit solchen Fragen vielleicht am 18. Januar nach 18 Uhr. Aber bestimmt keine Minute früher.
Hamburger Abendblatt:
Die Umfragen sagen der SPD für Sonntag ein Debakel voraus. Sie sind als Einspringer für die unpässliche Primadonna auf jeden Fall fein heraus, aber neben Schmitt wird in diesem Fall ja wohl noch jemand anders die die Verantwortung übernehmen müssen. Zum Beispiel Andrea Ypsilanti?
Thorsten Schäfer-Gümbel:
Solche Fragen werden wir alle nach dem 18. Januar besprechen. Wie man in Hessen sagt: "Einen Kloß nach dem anderen, sonst verschluckt man sich." Und das hatten wir im letzten Jahr ja zur Genüge. Im Moment konzentrieren wir uns darauf, am Sonntag ein gutes Ergebnis hinzubekommen. Umfragen hin oder her. Die Hühner, sagt man in Oberhessen, werden am Ende gewogen. Anders formuliert geht es um die Frage: Können wir Schwarz-Gelb noch verhindern? Ich halte das für gut möglich, weil sich 45 Prozent der Wähler derzeit noch nicht entschieden haben. Um deren Stimmen werbe ich besonders intensiv, weil viele von ihnen das letzte Mal SPD gewählt haben.
Hamburger Abendblatt:
Warum sollte ein Wähler, der Ypsilanti nicht wollte beziehungsweise Ypsilanti plus Linkspartei nicht wollte, jetzt SPD wählen? Muss er nicht zu recht argwöhnen, dass die Partei zum dritten Mal durch die rote Wand will? Nur dass der Kopf, mit dem sie das vor hat, nicht mehr Ypsilanti, sondern Schäfer-Gümbel heißt?
Thorsten Schäfer-Gümbel:
Niemand will mit dem Kopf durch die Wand. Entschuldigung, das sage ich seit sechs Wochen jeden Tag mindestens dreimal: Das, was nach dem 18. Januar in Hessen passiert, wird sich nach Inhalten entscheiden. Da alle demokratischen Parteien prinzipiell untereinander koalitionsfähig sein müssen, kann das heißen: Große Koalition unter Führung der CDU oder unter Führung der SPD. Es kann auch heißen: Jamaika oder Ampel. Und es kann heißen: Rot-Grün-Rot. Unsere Inhalte sind: Bildungsgerechtigkeit, Energiewende, gute Arbeit, gerechte Finanzierung der Folgen der Wirtschaftskrise und Ausbau der Infrastruktur. Das wollen wir in einer stabilen Konstellation verwirklichen.
Hamburger Abendblatt:
Apropos Infrastruktur: Wirtschaftsminister im Schattenkabinett von Andrea Ypsilanti war Hermann Scheer, der aus Kassel-Calden einen Testfeld für Zeppeline machen wollte - aus einem Flughafen, der für das strukturarme Nordhessen von lebenswichtiger Bedeutung ist. Scheer gehört zu Ihren engsten Beratern. Was sagt uns das?
Thorsten Schäfer-Gümbel:
Wir stehen zu Kassel-Calden. Aus regionalen und strukturpolitischen Gründen. Genauso wie wir zum Ausbau des Frankfurter Flughafens stehen. Es wird mit mir keine Vereinbarung geben, in der das abgeräumt wird. Im Übrigen hatten wir 2008 beides im Koalitionsvertrag mit den Grünen bereits durchgesetzt.
Hamburger Abendblatt:
Dann stellte sich heraus, dass es für Rot-Grün nicht reichte, und dann beschloss Andrea Ypsilanti, sich mit Hilfe der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen…
Thorsten Schäfer-Gümbel:
Dass es da Enttäuschungen gegeben hat, spüre ich mehr als jeder andere. Es gab Leute, die enttäuscht darüber waren, dass wir es versucht haben, und Enttäuschungen darüber, dass es nicht funktioniert hat. Es gibt beides. Aber im Gegensatz zu allen anderen haben wir uns nicht nur neu aufgestellt, sondern wir haben auch aus den so genannten hessischen Verhältnissen gelernt und legen uns dieses Mal nicht fest.
Hamburger Abendblatt:
Das stimmt nicht. Sie sagen, eine Große Koalition könnte es in Hessen nur ohne Roland Koch geben.
Thorsten Schäfer-Gümbel:
Es geht darum, wer das Land zukunftsfähig machen kann. Herr Koch, der "In Zeiten wie diesen kämpfe ich um jeden Arbeitsplatz"-Plakate klebt? Der ist doch der größte Arbeitsplatzvernichter von allen! Koch hat im Landesdienst 10 000 Stellen abgebaut. Vor diesem Hintergrund geht es am Sonntag nur um einen einzigen Arbeitsplatz, und zwar um den von Roland Koch. Wenn er Schwarz-Gelb nicht hinbekommt, wird er ausgewechselt.