Die Kritiker warnen: „Es kann Tote geben“. Doch die elektronische Gesundheitskarte wird ab dem 1. Oktober schrittweise eingeführt.
Hamburg/Düsseldorf. „Schicken Sie uns Ihr Foto!“ Diesmal geht es nicht um einen Casting-Wettbewerb, wenn Millionen Bundesbürger in diesen Tagen Post erhalten. Die Krankenkassen, allen voran die DAK, verschicken Briefe an ihre Versicherten und bitten um ein Passbild. Das soll die künftige elektronische Gesundheitskarte schmücken, die vom 1. Oktober an zunächst in der Region Nordrhein eingeführt wird.
Doch mit dem Foto beginnt schon der Ärger um das Milliarden-Projekt, das mit Jahren Verzögerung eine neue Dimension des Arzt- und Apothekenbesuchs bringen soll. Niemand prüft, ob das Foto überhaupt mit dem Menschen übereinstimmt, der bei der Kasse versichert ist. Die umtriebige Organisation „Stoppt die e-Card“ befürchtet sogar Tote, wenn – wie leider üblich – die Karten betrügerisch an Bekannte oder Freunde weitergegeben werden.
„Die elektronische Gesundheitskarte wird große Datenschutzprobleme auslösen“, sagte die Hamburger Hausärztin Silke Lüder. „Die Krankenkassen verstoßen gegen das Sicherheitskonzept der Betreibergesellschaft Gematik und die EU-Datenschutzrichtlinien“, so Lüder. Dabei sollen die Passbilder gerade den Missbrauch verhindern helfen. Experten rechnen damit, dass die Hemmschwelle zur Weitergabe der Karte steigen wird. Außerdem fällt in Arztpraxen schneller auf, wenn der Mensch auf der Karte nun gar nicht dem Patienten optisch ähnelt.
„Die Krankenkassen überprüfen aber rechtswidrig nicht, ob das Foto und der Karteninhaber übereinstimmen“, sagt Lüder. Das könne im Extremfall Tote zur Folge haben: Bei Fehlern in der Patientenidentifikation oder beim Kartentausch, der schon heute in der Praxis immer wieder beobachtet wird, werden zukünftig von den Zentralservern der Kassen Daten in die Praxen überspielt, die nicht zu dem Patienten passen. „Im ungünstigsten Fall wird dann beispielsweise ein Patient mit Medikamenten behandelt, auf die er hoch allergisch ist. Das könnte Todesfälle geben“, warnt Lüder. Sie fordert, dass das Gesundheitsministerium einschreitet.
Zunächst wird die elektronische Gesundheitskarte als Sparversion angeboten: Die Praxen werden mit Lesegeräten ausgestattet, über die Karte sollen der elektronische Arztbrief, das elektronische Rezept oder der Notfalldatensatz gespeichert werden. „Die elektronische Gesundheitskarte eröffnet eine ganz neue Dimension der Vernetzung im Gesundheitswesen“, sagt Claus Moldenhauer, stellvertretender Vorsitzender des DAK-Vorstandes. Allerdings gibt es Widerstände in der Startregion in Nordrhein-Westfalen. „Die Ärzte lassen sich von Drohungen der Kassen und des Gesundheitsministeriums nicht nötigen, jetzt am überstürzten Rollout des e-Card Projektes teilzunehmen“, sagt Martin Grauduszus, Präsident der Freien Ärzteschaft und selbst Hausarzt am Niederrhein. „Wir erwarten von der nächsten Bundesregierung, dieses Projekt zu stoppen“, sagt Grauduszus.
„Es gibt kein Zurück mehr“, sagt hingegen der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Leonhard Hansen. Auch die LKW-Maut habe mit Startproblemen zu kämpfen gehabt. Die Gesamtkosten für die elektronische Gesundheitskarte werden nach Angaben der Betreibergesellschaft Gematik auf bis zu 1,6 Milliarden Euro geschätzt. Kritiker rechnen mit über zehn Milliarden Euro. Die Karte soll aber unter anderem die Abrechnungen vereinfachen und Kosten sparen helfen.
Die privaten Krankenversicherungen haben sich aus dem Mega-Projekt ausgeklinkt. Zu unsicher ist ihnen die Technik, unwägbar die Kosten und die Akzeptanz. Nach verschiedenen Umfragen befürworten die Bürger die e-Card mehrheitlich. Kritiker bemängeln jedoch, dass die Versicherten und Patienten über das, was die Karte kann, im Unklaren gelassen werden. Der Chef der AOK Rheinland/Hamburg, Wilfried Jacobs, sagte: „Die Online-Anbindung ist absolut notwendig und sinnvoll.“ Er fordert, dass sie Pflicht für jeden Arzt wird. Andernfalls könne die elektronische Karte nicht viel mehr als die alte Versichertenkarte leisten. DAK-Vorstand Moldenhauer verspricht immerhin: „Der Datenaustausch ist sicherer als der Geldverkehr per Kreditkarte."