Minister Rösler verdonnert alle Kassen, die e-Card schnell herauszugeben. Die AOK spricht vom „Herumeiern“ bei der Gesundheitskarte.
Berlin/Hamburg. Bundesgesundheitsminister Philip Rösler (FDP) hat die Rute rausgeholt. Mit Zwangsmaßnahmen will die schwarz-gelbe Bundesregierung Schwung in das kränkelnde Milliarden-Projekt „elektronische Gesundheitskarte“ bringen. Per Gesetz wurden alle Kassen bundesweit dazu verdonnert, bis Ende 2011 mindestens zehn Prozent ihrer Versicherten mit der bei vielen Ärzten auch aus Datenschutzgründen ungeliebten e-Card auszustatten. Dabei hatte die FDP noch im Wahlkampf versprochen, die elektronische Gesundheitskarte zu verhindern. Im Sommer 2010 wurde sie jedoch bereits über eine Hintertür in einem Gesetz beschlossen.
Rund sieben Millionen Karten müssen binnen zwölf Monaten produziert und verteilt sein. Andernfalls drohen saftige Strafzahlungen: Bei den Kassen sollen die Verwaltungskosten um zwei Prozent gekürzt werden – und das dürfte dann in die Millionen gehen.
Keine Rede ist mehr von der Pilotregion Nordrhein, wo die rund neun Millionen Versicherten nach einem ursprünglichem Plan schon seit Ende des Jahres die Chipkarte im Portemonnaie haben sollten. Nun soll die Karte gleich übers ganze Bundesgebiet verteilt werden. Dabei verlief die Ausgabe schon im Testgebiet monatelang im Schneckentempo, denn die Unsicherheit über das, was das Kärtchen eigentlich mal können soll, ist groß. Bislang enthält sie nur die Versichertendaten wie Name, Geburtsdatum und Krankenkasse sowie erstmals ein Foto.
+++ Was für die elektronische Gesundheitskarte spricht +++
+++ Was gegen die elektronische Gesundheitskarte spricht +++
Die AOK Rheinland/Hamburg, mit knapp drei Millionen Versicherten größte Kasse der Nordrhein-Region, hat bislang nur 25.000 Karten ausgegeben. 2,4 Millionen müssen es bei der AOK bundesweit bis Ende 2011 sein. Bei der Techniker Krankenkasse sind bisher nur 5000 neue Karten unter die Leute gekommen – 760 000 sind bundesweit gefordert. „Zwang ist immer ein schlechtes Mittel“, meint der Vorstandschef der AOK Rheinland/Hamburg, Wilfried Jacobs. Immerhin stehe die Gesundheitskarte schon seit vier Jahren im Gesetz. „Rund um die Karte ist nur herumgeeiert worden.“
Schon kurz nach dem Start im Oktober 2009 kam die Ausgabe ins Stocken, auch der Neustart nach einem Streit zwischen Kassen und Politik brachte keinen Schwung. Bisher könne die neue e-Card nicht viel mehr als die alte Versichertenkarte, meint Jacobs. Neu ist das Foto und der Auslandskrankenschein. Außerdem können die Stammdaten etwa bei Heirat oder Umzug online geändert werden, sodass nicht mehr wie bisher eine neue Karte gedruckt werden müsse. „Aber das reicht nicht für dieses Investment“, sagt Jacobs. „Da muss noch etwas draufgeladen werden.“ Die Ärzte sperren sich ohnehin dagegen, das Kartenmanagement für die Krankenkassen zu übernehmen.
Die neue Karte hat viele Speicher, die aber außer den Notfalldaten zur Blutgruppe oder zu Allergien nur online zum Einsatz kommen. So kann die Karte Kennzeichen für den Organspendeausweis, das elektronische Rezept, aber auch das Ruhen der Leistungen und den Zuzahlungsstatus enthalten. Die Kassen setzen vor allem auf die elektronische Patientenakte, um den Papierkrieg zwischen Praxen und Kassen zu beenden. Über alle Daten auf dem Chip entscheidet der Versicherte.
„Wir spüren nach wie vor eine relative Abwehr innerhalb der Ärzteschaft“, sagt Jacobs. Die Ärzte haben Zweifel an der Datensicherheit. Vertrauliche Patientenakten gehören ihrer Meinung nach nicht auf einen Zentralserver. Mit der Online-Anbindung der Karte rechnen Fachleute nicht vor 2012 oder 2013. „Wir wollen nicht eine Karte produzieren, die nachher nicht eingesetzt werden kann“, heißt es bei der Techniker.
Damit die Karte zum Einsatz kommt, müssen bundesweit Arztpraxen und Kliniken mit neuen Lesegeräten ausgestattet werden. Ärzte fürchten Chaos in den Praxen und noch längere Wartezeiten, falls das System einmal abstürzen sollte. Und allen ist klar: Wenn sie nicht zu benutzen ist, fliegt die Karte aus dem Portemonnaie.