Fotos laden zum Missbrauch ein. Neuer Streit von Datenschützern, Ärzten und Kassen. Der Verband Bitkom warnt.
Hamburg. Das Milliardenprojekt elektronische Gesundheitskarte wird weiter verzögert und steht möglicherweise vor dem Aus. Ausgerechnet das Foto des Krankenversicherten, das die künftige e-Card zieren soll, sorgt für Verwirrung im Gesundheitsministerium, bei Krankenkassen, Datenschützern und Patienten. Dem Hamburger Abendblatt liegen zwei juristische Gutachten vor, die belegen: So einfach, wie sich die Gesundheitskarten-Gesellschaft Gematik die Einführung für 80 Millionen Krankenversicherte vorstellt, kann es nicht funktionieren.
Für den Centralverband Deutscher Berufsphotographen urteilte Andreas Gliem: Anforderungen der Datenschützer, der EU und der Gematik selbst werden nicht eingehalten. Weil die Krankenkassen von den Versicherten Fotos abfordern, aber nicht prüfen, ob tatsächlich die Versicherten darauf zu sehen sind, sei das Verfahren nicht zulässig. "Patienten sind nicht absolut zweifelsfrei identifizierbar. Systematischer Missbrauch ist möglich." Dabei sollte gerade das Foto Millionen-Betrügereien verhindern helfen.
In einem Schreiben des Gesundheitsministeriums, das dem Abendblatt vorliegt, heißt es: Man gehe davon aus, dass die Kassen schon an den Datenschutz und drohenden Missbrauch denken, wenn sie die Fotos einsammeln. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hatte die Sicherheitsstandards der Karte gelobt. Jetzt scheint sein Haus eine Kehrtwendung zu vollziehen. Schaar ließ der skeptischen Fotografenvereinigung schreiben: Es sei von "erheblicher Bedeutung" sicherzustellen, dass der Karteninhaber und die Person auf dem Foto identisch sind.
Der Präsident des Patientenverbandes DGVP, Wolfram-Arnim Candidus, rief zum Fotoboykott auf. Dem Abendblatt liegt ein Schreiben der IKK Hamburg vor, in dem eine Versicherte ("letzte Aufforderung") gewarnt wird. Schicke sie nicht innerhalb von 14 Tagen ein Foto könne sie ihren Gesundheitsschutz verlieren - rechtlich fragwürdig.
Die technologiepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrike Flach, sagte dem Abendblatt: "Die FDP lehnt das bisherige Konzept der elektronischen Gesundheitskarte ab." Das Projekt müsse pausieren, um ein "positives Nutzen-Kosten-Verhältnis" nachzuweisen und Alternativen zu prüfen. Kommt nach der Bundestagswahl Schwarz-Gelb, könnten die angelaufenen Kosten von geschätzten 1,5 Milliarden Euro die letzten Gelder für das Projekt gewesen sein.
In der Bundestagsanhörung zu den gravierenden Problemen sagte Flach, die e-Card sei eine "teure Nichtskönnerkarte". Ebenfalls dort berichtete die Hamburger Allgemeinmedizinerin Dr. Silke Lüder, warum die Ärzte diese Gesundheitskarte ablehnen: unpraktisch, unsicher, zu teuer. "Die Krankheitsdaten als sensibelste Daten aller Menschen dürfen nicht zentral gespeichert werden", so Lüder zum Abendblatt. "Der Arzt soll mehr Zeit für den Patienten haben, in Zukunft hätte er weniger."
Der IT-Branchenverband Bitkom ist entsetzt über das langwierige Prozedere. "Wer sechs Jahre nach dem politischen Entschluss und drei Jahre nach dem ursprünglich vorgesehenen Starttermin die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ausbremst, gefährdet das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Politik", sagte Bitkom-Präsident Prof. August-Wilhelm Scheer.