Umstritten, aber der Einstieg des Gesundheitswesens in die digitale Welt. Alle Versicherten bekommen jetzt die Gesundheitskarte.
Hamburg/Berlin. Um die elektronische Gesundheitskarte ist ein erbitterter Streit geführt worden. Doch der FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr führt sie jetzt über die gesetzlichen Krankenkassen für alle 70 Millionen dort versicherten Menschen ein – dabei hatte die FDP die digital auslesbare Karte mit Foto des Versicherten ursprünglich bekämpft. Der Datenschutz sei nicht gewährleistet, polterte die FDP im Bundestagswahlkampf 2009. Doch im Schutze der öffentlichen Begeisterung für die deutsche Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika brachte Bahr ein Gesetz auf den Weg, das die Karte nun nach Jahren der Planung auf den Weg bringt. Allerdings ist es eine abgespeckte Version.
Die Patientendaten sind auch nicht auf der Karte, sondern können später mit einer Online-Anbindung mithilfe der Karte als Schlüssel ausgelesen werden. Im Moment befinden sich nur die wichtigsten Angaben zur Person und zum Versichertenstatus auf der elektronischen Gesundheitskarte. Sie soll mit dem Foto auch den vielfach festgestellten Missbrauch verhindern helfen.
Lesen Sie hier die Beiträge über Vorzüge und Nachteile der elektronischen Gesundheitskarte von profunden Kennern, die im Hamburger Abendblatt die Argumente leicht verständlich auf den Punkt brachten.
Die elektronische Gesundheitskarte muss kommen
Stoppt die elektronische Gesundheitskarte
Die Gesundheitskarte ist ein Projekt, das alle gesetzlich Versicherten und ihre Arbeitgeber über die Beiträge bezahlen. Die komplette Ausstattung der knapp 70 Millionen Versicherten mit den Karten kostet nach Angaben des Kassenverbands rund 139 Millionen Euro. Die Ausstattung der 154.000 Ärzte und Psychotherapeuten und der 54.000 Zahnärzte sowie der knapp 2100 Krankenhäuser mit Lesegeräten kostet rund 156 Millionen Euro. Hinzu kommen Ausgaben für die Information der Versicherten, die Beschaffung der Fotos und den Kartenversand. Zu den Kosten für die Ausgabe der Karten und Geräte kommt die Entwicklung des Projekts. Die Gematik, die Betreibergesellschaft von Kassen, Ärzten und Kliniken, kostete bisher rund 300 Millionen Euro, allein 2009 und 2010 waren es jeweils rund 30 Millionen Euro. Nach internen Berichten sind die Kosten erheblich höher. So hat unter anderem der Chaos Computer Club Sicherheitsmängel nachgewiesen und eine vertrauliche Studie über die angeblich wahren Kosten veröffentlicht. Trotz der verheerend verlaufenen Tests sind die Versicherten nach Umfragen positiv gegenüber der Karte eingestellt.
Rund sieben Millionen gesetzlich Versicherte bekommen die Karte bis Jahresende 2011. Es sei „eines der weltweit größten und bedeutendsten IT-Projekte“, sagte der zuständige Experte des Krankenkassen-Spitzenverbands, Rainer Höfer. Bereits vor acht Jahren war die Einführung beschlossen worden. Doch technische und organisatorische Schwierigkeiten, Ängste etwa der Ärzteschaft sowie Widerstand bei den Akteuren im Gesundheitswesen verzögerten den Start. Die Karte solle unnötige Doppeluntersuchungen vermeiden, eine größere Übersicht über den Verlauf von Behandlungen bei Ärzten und Kliniken ermöglichen und Geld sparen, sagte Höfer.
Dazu soll die Karte online angebunden werden und Informationen leichter austauschen helfen. Wann dies aber geschieht, sei noch offen. Höfer: „Da kann ich heute keine konkrete Zahl nennen.“ Mit der vollen Online-Anbindung aller Ärzte und Kliniken rechnen Experten erst in vier bis fünf Jahren. Doch erste Versicherte haben die Karten bereits bekommen. Die alte Krankenversichertenkarte solle zurückgeschickt oder zerstört werden, sagte Höfer. „Für die Versicherten ändert sich erst mal gar nichts.“
Nach einer jahrelangen Hängepartie hatte der Gesetzgeber Druck auf die Organisationen von Ärzten, Kliniken und Kassen gemacht, die das Projekt umsetzen. Ohne Ausgabe der Karten bis Jahresende müssen die Kassen gemäß der schwarz-gelben Gesundheitsreform Strafen zahlen.
Ärzte und andere Heilberufler sollen verschlüsselt Einblick in die Patientendaten erhalten. Die Informationen über Befunde aus dem Labor, Arztbriefe, Röntgenbilder oder die verordneten Medikamente sollen die Behandlung in einigen Jahren verbessern. Die nun ausgegebenen Karten seien mit einem Mikroprozessor-Chip ausgestattet und könnten diese Anwendungen später leisten, sagte Höfer.
Nun sollen die Karten zunächst mit Adresse und anderen Grunddaten sowie einem Foto des Versicherten ausgegeben werden. Auf der Rückseite ist eine Europäische Krankenversicherungskarte für Arztbesuche im EU-Ausland aufgedruckt. In weiteren Ausbaustufen sollten auf Wunsch des Versicherten auch Notfalldaten – etwa über bestehende Vorerkrankungen oder Allergien – und Hinweise auf Patientenverfügungen und Organspenderklärungen aufgenommen werden.
Eine Online-Anbindung ist zum Start noch nicht vorgesehen. In einem ersten Schritt sollen dann die Stammdaten online geändert werden können, etwa wenn der Versicherte umzieht. Die Kassen können sich dann das Verschicken neuer Krankenkassenkarten sparen. Doch auch für diese erste Online-Anwendung konnte Höfer noch kein Startdatum nennen.
Für die Ärzte kündigte der Experte Wilhelm Wilharm von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen an, dass in den Praxen derzeit die nötigen Kartenlesegeräte installiert würden. Doch es gebe reichlich Bedenken der Ärzte. So sei noch unklar, wo die Gesundheitsdaten später liegen sollten. „Es ist alles im Unklaren, wie das weitergeht.“ (ryb/dpa)