Die Privatversicherten sollen sie vorerst nicht bekommen, im Test fiel die Karte wieder durch. Wird das Milliardenprojekt jetzt gestoppt?
Berlin/Hamburg. Und wieder hakt die Technik, laufen die Kosten davon: Die seit drei Jahren überfällige elektronische Gesundheitskarte droht der Großen Koalition noch in den Bundestagswahlkampf zu folgen. In den Kanon heftiger genereller Kritik an der Gesundheitspolitik passt die Forderung des Regierungsberaters Prof. Jürgen Wasem (Essen) zur elektronischen Gesundheitskarte. Wasem sagte dem ARD-Magazin „Monitor“, die Karte werde „ökonomisch ein Minusgeschäft sein, das letztlich die Versicherten zahlen“. Da die Karte nicht alle Leistungen erbringe, solle auf den geplanten Start zunächst verzichtet werden.
Ein neuer Test in der Modellregion Bochum-Essen zeigt gravierende Mängel bei der technischen Anwendung. Ärzte beklagten, das elektronische Rezept benötige doppelt so viel Zeit wie das handschriftliche Ausstellen. Der Vertreter der Kartengesellschaft Gematik sagte, die Einführung komme jetzt wie geplant. Bis Mitte 2010 sollen alle Krankenversicherten die neue Karte mit Foto haben. Der Testarzt Hans-Peter Peters kritisierte, der mögliche Kostenaufwand der Ärzte werde zu wenig beachtet. Viele Praxen müssten zusätzlich modernisiert und auf den neuesten technischen Stand gebracht werden. Dies verursache zusätzliche Kosten. Zudem sei noch nicht geprüft, wie das System reagiert, wenn viele Praxen gleichzeitig darauf zugreifen.
Die privaten Kassen haben gestern „die Notbremse gezogen“, wie Verbandschef Volker Leienbach sagte. Die 8,6 Millionen Privatversicherten sollen vorerst keine elektronische Gesundheitskarte bekommen. Der Verband steigt aus den Tests und der Kartenausgabe aus. Hintergrund sind ungeklärte Finanzierungsfragen. Leienbach sagte, Knackpunkt für die Privaten sei, dass Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Kliniken bislang nicht verpflichtet seien, die Karte auch von Privatpatienten anzunehmen. Deshalb seien die Ausgaben der PKV für den Aufbau der Infrastruktur von schätzungsweise 360 Millionen Euro nicht zu verantworten.
In der Medizin-Metropole Hamburg formiert sich ebenfalls erheblicher Widerstand gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. In der kommenden Woche wollen Hamburger Ärzte die Bürger für die Gesundheitsthemen im Bundestagswahlkampf sensibilisieren. Dazu wurde publikumswirksam unter anderem der frühere ZDF-Landarzt Walter Plathe verpflichtet. In Hamburg gibt es ein breites Bündnis gegen die Gesundheitskarte, aber auch ernst zu nehmende Verfechter der Technik unter den Ärzten und bei den Krankenkassen.