EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso spricht exklusiv im großen Interview mit dem Hamburger Abendblatt über Hilfen für Griechenland.
Brüssel. José Manuel Barroso zeigt im Abendblatt-Interview wenig Verständnis für Zögerlichkeit, wenn es um Hilfen für Griechenland geht. Der Präsident der EU-Kommission vertraut darauf, dass Athen die Milliarden-Kredite zurückzahlen würde.
Hamburger Abendblatt: Herr Präsident, der Hamburger Hafen leidet besonders unter der Wirtschaftskrise. Kann die EU helfen?
José Manuel Barroso: Die jüngsten Zahlen widersprechen Ihrer pessimistischen Bewertung. Das Volumen der Seefracht im Hamburger Hafen ist im Januar auf 9,2 Millionen Tonnen gestiegen. Das ist ein Zuwachs von 3,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Den Hafen habe ich übrigens vor einigen Jahren besucht ...
... und welchen Eindruck gewonnen?
Es war eine praktische Lehrstunde in Globalisierung. Ich habe beobachtet, wie diese riesigen Schiffe mit ihren Containern ein- und auslaufen. Großartig! Ich möchte gerne wieder nach Hamburg kommen, wenn es meine Zeit erlaubt. Und wenn Sie fragen, wie der Hansestadt in der Wirtschaftskrise geholfen werden kann - das ist ganz einfach.
Verraten Sie es.
Wir müssen Europa offen halten und jeder Versuchung des Protektionismus widerstehen. Die Ausfuhren der EU nach China haben zu Jahresbeginn um 49 Prozent zugenommen. Das ist gut für Hamburg und seinen Hafen.
Was bedeutet die Schuldenkrise in Griechenland für die Hansestadt?
Wir sind voneinander abhängig. Die Situation in Griechenland hat Auswirkungen auf den Euro und andere Staaten der Währungsunion.
Die Regierung in Athen verlangt mehr als 130 Milliarden Euro. Müssen die Europäer tatsächlich zahlen?
Die Euro-Mitgliedstaaten haben sich für entschlossenes und koordiniertes Handeln entschieden, falls dies nötig ist, um Schlimmeres abzuwenden und um die Stabilität der Eurozone insgesamt zu sichern. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo dieser Verpflichtung Taten folgen müssen. Die Bundesregierung - wie auch alle anderen Regierungen - ist sich dessen bewusst und handelt im Einklang mit den eingegangenen Verpflichtungen.
Ökonomen werten Milliardenkredite für Griechenland als Freibrief zum Schuldenmachen ...
Griechenland muss sich sehr anstrengen, um seine Staatsfinanzen wieder in den Griff zu bekommen. Die koordinierten bilateralen Kredite werden deshalb an strenge Bedingungen geknüpft. Sie werden Griechenland dabei helfen, zurück zu haushaltspolitischer Tugend zu kommen. Die Euro-Staaten werden nicht die Arbeit für Griechenland erledigen.
Können Sie verstehen, dass die Deutschen ihre Rolle als Zahlmeister Europas satt haben?
Ganz klar: Es geht hier nicht um Finanztransfers oder Subventionen. Es geht um koordinierte bilaterale Kredite, die Griechenland wieder zurückzahlen muss.
Glauben Sie daran?
Wir haften nicht für die Schulden Griechenlands, sondern unterstützen die griechischen Anstrengungen, sodass die Märkte wieder Vertrauen fassen, Griechenland zahlungsfähig bleibt und seinen Haushalt erfolgreich konsolidiert. Dies ist gerade auch im Interesse Deutschlands, das eng mit Griechenland verflochten ist. Gemeinsame Verantwortung für die Stabilität der Eurozone und Solidarität untereinander gehen Hand in Hand. Die Unterstützung für Griechenland erfolgt im Übrigen durch alle Mitgliedstaaten der Eurozone, auch diejenigen, die weniger haushaltspolitischen Spielraum als Deutschland haben.
Was unternimmt die EU, um sich gegen Staatspleiten zu wappnen?
Wir wollen das Steuerungssystem in der Euro-Zone stärken. Konkrete Vorschläge wird die Kommission im Mai vorlegen. Drei Aspekte sind dabei besonders wichtig ...
... die wären?
Wir müssen den Euro-Stabilitätspakt stärken, einen Mechanismus zum Krisenmanagement etablieren und die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten strenger überwachen.
Streben Sie eine europäische Wirtschaftsregierung an?
Wir wollen keine Regierung über den nationalen Regierungen errichten. Es geht uns nicht darum, Kompetenzen der Mitgliedstaaten auf die europäische Ebene zu übertragen. Uns geht es um eine effektivere Wirtschaftspolitik. Dazu brauchen wir ein höheres Maß an Koordinierung und Steuerung.
Kanzlerin Merkel ist dafür, Länder mit unsolider Haushaltspolitik aus der Währungsunion auszuschließen. Was spricht eigentlich dagegen?
Die europäischen Verträge sehen diese Möglichkeit nicht vor, und wir sollten sie auch nicht ändern. Das Problem bisher waren nicht die Regeln, sondern deren Einhaltung. Unser Ziel muss sein, dass sich alle Mitglieder der Eurozone an die Regeln halten. Das kann gelingen, ohne mit Ausschluss zu drohen. Verantwortungsvolles, solidarisches Verhalten ist das Gebot der Stunde.
Herr Barroso, seit der ernüchternden Kopenhagen-Konferenz ist kaum mehr die Rede von einem weltweiten Klimaabkommen. Glauben Sie noch daran?
Kopenhagen ist hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Aber es wäre ein Fehler, wenn Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten sich nun weniger anstrengen würden. China und die USA investieren massiv in Umwelttechnologien und erneuerbare Energien. Die Europäer müssen alles tun, um Vorreiter beim Klimaschutz zu bleiben.
Was versprechen Sie sich von der internationalen Konferenz an diesem Wochenende in Bonn? Kann in Deutschland gelingen, was in Dänemark gescheitert ist?
Lassen Sie mich zunächst Bundeskanzlerin Merkel zu dieser Initiative beglückwünschen. Der Petersberger Klimadialog kann politische Orientierung bieten für die Uno-Klimaverhandlungen. Wir müssen auf dem in Kopenhagen Erreichten aufbauen und Lücken füllen. Bis zum Klimagipfel am Jahresende in Cancún müssen alle Stücke zusammengesetzt werden, sodass ein echter Fortschritt möglich wird. Wir brauchen mehr Pragmatismus und konkretere Verpflichtungen. Die Kommission trägt aktiv dazu bei, die internationalen Klimaverhandlungen wiederzubeleben ...
... die wann in ein globales Abkommen münden?
Wir sollten realistisch bleiben und anders als in Kopenhagen keine allzu hohen Erwartungen wecken. Offen gesprochen: Mit einem verbindlichen Klimaabkommen, das alle Staaten auf ehrgeizige Ziele und Maßnahmen verpflichtet, ist in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen. Wenn wir in Bonn gute Vorarbeit leisten, kann der Gipfel in Cancún zu einem ersten Meilenstein werden.
Zweifelhafte Studien des Weltklimarats haben jene gestärkt, die bestreiten, dass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist. Welchen Schaden haben die Wissenschaftler angerichtet?
Ich habe mein Vertrauen in die Wissenschaft nicht verloren. Bei allen Unterschieden im Detail gibt es einen wissenschaftlichen Konsens, dass der Mensch den Klimawandel maßgeblich beeinflusst. Daraus leitet sich die Verantwortung der ganzen Welt ab: Wir müssen jetzt handeln, damit wir Ergebnisse im Kampf gegen die Erderwärmung erzielen.
In den USA und auch in einigen europäischen Ländern erlebt die Kernkraft eine Renaissance. Ist die Atomenergie eine Ökoenergie?
Kernenergie wird sehr kontrovers diskutiert. Ich würde nicht von Renaissance sprechen, aber niemand wird bestreiten, dass es auf der ganzen Welt ein neues Interesse an der Atomkraft gibt. Das hat Gründe - nicht zuletzt den, dass die Kernenergie klimafreundlicher ist als fossile Energieträger.
Deutschland bereitet den Wiedereinstieg in die Atomkraft vor. Ein Grund, die schwarz-gelbe Regierung zu loben?
Der Energiemix ist Sache der Mitgliedstaaten, da haben wir von Brüssel aus keine Ratschläge zu geben.
Gilt das auch für die Entsorgungsfrage? In keinem Land der Welt gibt es ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle.
Die Kommission hat das Recht und die Pflicht, die Mitgliedstaaten zur Einhaltung von nuklearen Sicherheitsstandards anzuhalten. Dabei ist es außerordentlich wichtig, europäische Sicherheitsstandards für Atommüll-Endlager zu schaffen. Bau und Betrieb sollten nach gemeinsamen Regeln erfolgen. Die Kommission wird in der zweiten Jahreshälfte eine entsprechende Richtlinie vorlegen.
Eignet sich der Salzstock im niedersächsischen Gorleben als Endlager?
Das will ich nicht beurteilen.
Bundespräsident Köhler hat sich aus ökologischen Gründen für höhere Benzinpreise ausgesprochen - und ist scharf kritisiert worden. Verteidigen Sie ihn?
Schauen Sie: Die Äußerungen von Staatsoberhäuptern pflege ich für gewöhnlich nicht zu kommentieren. Aber wir diskutieren ähnliche Fragen in der Kommission.
Nämlich welche?
Wir befassen uns mit der Besteuerung von Energie. Wir müssen uns der Frage nähern, wie die Mitgliedstaaten Produkte und Dienstleistungen besteuern, die die Umwelt verschmutzen und Energie verschwenden. Dabei geht es uns nicht um eine EU-Steuer.
Was schwebt Ihnen vor?
Die Ausgestaltung wird nicht einfach sein. Konkrete Vorschläge zu einer sogenannten grünen Besteuerung von Produkten und Dienstleistungen wird die Kommission noch in diesem Jahr vorlegen. Maßstab für die Besteuerung soll der Schaden sein, der für die Umwelt entsteht. Maßstab soll auch sein, wie viel Energie verschwendet wird.
Sie sagen also: Energie ist zu billig.
Als Verbraucher würde ich natürlich widersprechen. Aber wir müssen sorgsam mit unseren Ressourcen umgehen. Viele sind endlich, und wir haben eine Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen. In Europa und der Welt wird unglaublich viel Energie verschwendet - in Unternehmen wie in privaten Haushalten. Denken Sie nur an Klimaanlagen. Oft werden Räume im Sommer so weit heruntergekühlt, dass man friert. Energiesparen ist die effizienteste Art, unsere Klimaziele zu erreichen. Wir brauchen deshalb neue Anreize. Eine Möglichkeit ist, die Verbraucher über die Preisstruktur zum Energiesparen zu ermutigen.
Wie teuer soll Energie werden?
Wir müssen realistisch bleiben. Wir dürfen die Verbraucher nicht überfordern. Und wir können uns auch keine Wettbewerbsnachteile erlauben, indem wir einseitig Energie verteuern. Theoretisch müsste Energie einen höheren Preis haben, damit wir weniger fossile Energien verwenden. Eine dauerhafte Lösung kann aber nur gemeinsam mit unseren globalen Partnern gefunden werden.
Wie hat sich eigentlich der deutsche Energiekommissar Günther Oettinger in Brüssel eingelebt?
Ich bin sehr zufrieden mit Herrn Oettinger. Die Vielfalt der Kommission ist eine ihrer Stärken. Günther Oettinger ist ein relativ neues Mitglied, und er hat in der kurzen Zeit den Respekt aller Kollegen erworben. In seinen Beiträgen ist er klar, intellektuell präzise und sehr ehrlich. Und er zeigt, dass er als ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg über große Kenntnis in Wirtschaftsfragen verfügt.
In welcher Sprache unterhalten Sie sich?
(lacht) Mein Deutsch ist nicht so gut. Wir sprechen deshalb Englisch.
Und Sie verstehen ihn?
Ja, sicher.