Merkel betonte, die EU müsse im Kampf gegen die Schuldenkrise vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik enger zusammenarbeiten.
Berlin/Frankfurt/Main. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die Euro-Krise noch nicht gebannt. Nach dem jüngsten EU-Gipfel zur Lösung der Euro-Schuldenkrise in Brüssel hätten sich die Staats- und Regierungschefs auf Grundlagen für die weiteren Schritte verständigt, sagte Merkel am Donnerstag am Rande eines Treffens mit Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Berlin. „Ich glaube, dass wir noch viele Schritte gehen müssen“, fügte sie hinzu. US-Präsident Barack Obama begrüßte die Ergebnisse des Gipfels, mahnte aber zugleich eine vollständige Umsetzung der Beschlüsse an. Die Ergebnisse des Euro-Gipfels sind weltweit mit Erleichterung aufgenommen worden. Die Aktien der drei größten börsennotierten Banken verbuchten zweistellige Kurszuwächse an der Frankfurter Börse.
Im Mittelpunkt muss nach Auffassung von Merkel die engere Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik stehen. Da sei mit Euro-Sündern in der Vergangenheit „nicht hart genug“ umgegangen worden, sagte die Kanzlerin mit Blick ausdrücklich auch auf Italien.
++EF-was? Das bedeuten die Krisen-Kürzel+++
+++Versicherungsfall Europa+++
Nicht äußern wollte sich die Kanzlerin, inwieweit es sinnvoll sei, dass die Europäische Zentralbank (EZB) bis zur Etablierung eines permanenten Krisenmechanismus weiterhin Staatsanleihen von Wackelkandidaten kaufen kann. Die EZB sei unabhängig und für die Geldwertstabilität zuständig, da mache die EU keine Vorschriften, sagte Merkel.
US-Präsident Barack Obama hat die Ergebnisse des Euro-Gipfels als wichtige Grundlage zur Überwindung der Schuldenkrise in der Eurozone begrüßt. Zugleich mahnte er am Donnerstag in Washington eine vollständige Umsetzung des beschlossenen Pakets an. Die Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone legten ein „entscheidendes Fundament“ für eine umfassende Lösung der Krise, erklärte Obama in einer vom Präsidialamt verbreiteten Stellungnahme. „Wir freuen uns auf die rasche Ausgestaltung und die baldige Umsetzung der Pläne.“ Obama versicherte, die USA arbeiteten weiter eng mit Europa zusammen, um eine weltweite Erholung und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erreichen.
Weltweit große Erleichterung nach EU-Gipfel
Mit großer Erleichterung sind am Donnerstag weltweit die Ergebnisse des nächtlichen Euro-Gipfels aufgenommen worden. Auch die Finanzmärkte reagierten überwiegend positiv auf die Einigung auf einen Schuldenschnitt für Griechenland sowie auf zwei Hebel für den Rettungsfonds EFSF. In Berlin zeigten sich Regierung wie Opposition mit den Nachrichten aus Brüssel zufrieden. SPD und Grüne forderten aber zugleich weitere Schritte, unter anderem zur Regulierung des Bankensektors.
Die Eurozone und die Banken hatten sich im Morgengrauen auf einen Schuldenschnitt von 50 Prozent für Griechenland geeinigt, der den Hellenen wieder auf die Beine helfen soll. In die Gipfelerklärung wurde das Ziel festgeschrieben, dass die Schuldenlast Athens bis 2020 auf erträgliche 120 Prozent der Wirtschaftskraft zurückgefahren wird. Dazu steuert der Privatsektor 100 Milliarden Euro bei, und die Europartner und der Internationale Währungsfonds (IWF) weitere 130 Milliarden Euro.
Zudem einigten sich die Staatenlenker auf zwei Hebel für den Rettungsfonds EFSF und auf eine Rekapitalisierung aller wichtigen Banken bis zum Juni kommenden Jahres. Mit dem Gesamtpaket soll die Schuldenkrise endlich eingedämmt werden.
„Die Welt hat heute auf uns geschaut, und wir haben gezeigt, dass wir die richtigen Schlüsse gezogen haben“, sagte eine sichtlich erleichterte Bundeskanzlerin Merkel nach dem Gipfel. Der scheidende Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, sagte nach seiner vermutlich letzten Krisensitzung in Brüssel: „Es ist gut, dass die Entscheidungen gefallen sind. Vor der Umsetzung liegt aber noch harte Arbeit.“
„Wendung um 180 Grad“
„Das war in allerletzter Sekunde eine Wendung um 180 Grad“, sagte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel im Deutschlandfunk. Gabriel mahnte zugleich eine Regulierung des Bankensektors an, um weitere Risiken zu vermeiden. Auch eine Besteuerung des Finanzmarktes müsse weiter angestrebt werden. „Wir sind noch nicht ganz zu Ende mit der Arbeit“, mahnte auch Grünen-Chef Cem Özdemir. Deutliche Kritik kam von der Linkspartei. Unterm Strich sei der Schuldenschnitt „ein Geschenk“ für die Banken, sagte der Partei-Vorsitzende Klaus Ernst.
Unterdessen beförderte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso den Finanzkommissar Olli Rehn am Donnerstag zum Sparkommissar: Rehn wurde zum Vizepräsidenten der Kommission ernannt und mit neuen Befugnissen zur Überwachung und Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik ausgestattet. Gemeinsam mit dem Kommissionschef soll Rehn ab sofort die EU- und Eurozonengipfel vorbereiten sowie die Währungsunion nach Außen vertreten. EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta soll künftig die Unabhängigkeit der europäischen Statistikbehörde Eurostat überwachen, gab Barroso bekannt.
Banken verzichten auf 100 Milliarden Euro
Der in der Nacht zum Donnerstag beschlossene Deal mit den Banken ist kompliziert: Sie erklärten sich zu einem Forderungsverzicht von 50 Prozent auf ihre Griechenland-Papiere bereit. Das entspricht einem Wert von rund 100 Milliarden Euro, sagte Merkel. Allerdings garnieren Europartner und IWF dem Privatsektor den Haircut mit Garantien von 30 Milliarden Euro. Zusätzlich gewähren sie den Hellenen 100 Milliarden Euro an Notkrediten bis zum Jahr 2014.
Der griechische Regierungschef Giorgos Papandreou zeigte sich zuversichtlich: „Wir müssen die Belastung durch unsere Vergangenheit loswerden und in eine neue Ära für unser Land starten“, sagte er. Auch der Internationale Bankenverband (IIF) begrüßte „die Ankündigung der Euro-Gruppe, dass sie Europa stabilisieren, das europäische Bankensystem stärken und Griechenlands Reformanstrengungen unterstützen“.
Vor dem Griechenland-Deal hatte sich die Eurozone bereits auf einen Hebel für den Rettungsfonds EFSF geeinigt. Er soll künftig neue Staatsanleihen absichern. Dadurch soll die „Feuerkraft“ des Fonds auf mehr als eine Billion Euro gepuscht werden, hieß es in Diplomatenkreisen. In der Gipfelerklärung wurde indes noch keine Zahl genannt.
Zudem wird der EFSF um einen neuen Fonds für Auslandsinvestitionen erweitert. Zum Gesamtpaket gehört außerdem die Rekapitalisierung aller systemrelevanten Banken in Europa. Sie sollen bis Ende Juni 2012 ihre Kernkapitalquote auf neun Prozent hochfahren, zunächst am freien Markt. Gelingt dies nicht, mit Liquiditätsspritzen der Regierungen. Und als letzten Ausweg über Kredite des EFSF.
Keine Boni und keine Dividenden
Die Europäische Bankenaufsicht ermittelte einen Finanzierungsbedarf von 106 Milliarden für alle europäischen Banken. Davon 30 Milliarden Euro für griechische Geldhäuser, 26,16 Milliarden Euro für spanische Institute, und für italienische 14,77 Milliarden Euro. In Deutschland fehlen den EBA-Berechnungen zufolge 5,18 Milliarden Euro, um die Quote von neun Prozent zu erreichen. In Delegationskreisen hieß es, fast alle Banken könnten sich selbst am Markt mit dem notwendigen Kapital versorgen. Zur Not will die Bundesregierung ihren Sicherungsfonds Soffin reaktivieren. In der Zeit, bis die Banken die notwendige Quote von neun Prozent erreicht haben, sollen sie keine Boni und keine Dividenden auszahlen.
Als weiteres wichtiges Ziel vereinbarten die Europartner, dass sie Schuldenbremsen einführen. Zuletzt sagten Spanien und Italien in Brüssel weitere Maßnahmen zu, um ihre Schuldenprobleme zu lösen und ihre Wirtschaften auf Vordermann zu bringen. Sie sei „sehr zufrieden mit den Ergebnissen“, sagte Merkel. Sie glaube, „dass wir den Erwartungen gerecht werden und das Richtige getan haben.“
Börse jubelt über EU-Gipfel
Die Ergebnisse des Brüsseler EU-Gipfels haben den deutschen Aktienmarkt in Jubelstimmung versetzt. Die Aktien der drei größten börsennotierten Banken verbuchten zweistellige Kurszuwächse. Hinzu kamen unerwartet gute Quartalszahlen, die Industriewerte beflügelten. Der DAX schloss mit einem Plus von 5,3 Prozent auf 6.338 Punkte – den höchsten Stand seit Anfang August. Der MDAX stieg um 3,9 Prozent auf 9.387 Zähler. Der TecDAX gewann 1,9 Prozent auf 718 Punkte.
Die Wall Street startete ebenfalls stark. Der Dow-Jones-Index legte bis 18.05 Uhr MESZ 2,6 Prozent zu auf 12.173 Punkte. Der Nasdaq-Composite gewann 2,3 Prozent auf 2.710 Zähler.
Der Euro übersprang, getrieben von der Hoffnung auf ein Ende der Schuldenkrise, erstmals seit mehreren Wochen die Marke von 1,41 Dollar. Gegen 18.05 Uhr notierte die Gemeinschaftswährung bei 1,4181 Dollar. Die Europäische Zentralbank legte den Referenzkurs bei 1,4038 Dollar fest.
Der DAX wurde angeführt von den Aktien der Commerzbank, die 16,5 Prozent gewannen und bei 2,04 Euro schlossen. Knapp dahinter folgten Deutsche Bank, die 15,4 Prozent zulegten auf 32,80 Euro. Volkswagen haussierten nach überraschend guten Quartalszahlen ebenfalls, die Aktie gewann 10,4 Prozent und schloss bei 130,55 Euro. Am schwächsten entwickelten sich Fresenius Medical Care, die 2,4 Prozent verloren und bei 51,13 Euro notierten.
An die Spitze des MDAX setzten sich Aareal Bank, die 12,0 Prozent gewannen und bei 16,17 Euro schlossen. Am unteren Ende fanden sich Rhön-Klinikum wieder, die 6,0 Prozent verloren und noch 14,31 Euro kosteten.
Im TecDAX profitierten SMA Solar am stärksten, die Aktie stieg um 11,7 Prozent auf 44,57 Euro. Am schwächsten schnitten Dialog Semiconductor ab, die 3,3 Prozent auf 14,07 Euro verloren.
Mit Material von dapd/reuters