SPD-Staatssekretär Jörg Asmussen gilt als wichtigste Figur im Kampf gegen die Euro-Krise. Er soll der wichtigste deutsche Beamte sein.
Berlin. Ganz laut das Lied von Pippi Langstrumpf zu singen kann so manches relativieren. Auch die Euro-Krise. Es ist ein guter Ausgleich für lange Arbeitstage durch die Finanzprobleme von Griechenland, Irland oder Portugal, für die Diskussionen um gemeinschaftliche Staatsanleihen oder einen neuen Rettungsschirm. Jörg Asmussen hat derzeit viel mit diesen Dingen zu tun. "Mit meinen Kindern zusammen zu sein ist eine gute Erdung", sagt er.
Wer Asmussen das erste Mal trifft, ist überrascht von solchen Sätzen. Nein, das erwartet man nicht von einem Mann, den so viele geheimnisvolle Begriffe umwabern. Dem nachgesagt wird, der wichtigste deutsche Beamte zu sein, mit Macht über Firmen, Banken, Politik. Asmussen gebe keine Interviews, heißt es. Und er hasse Kameras. Die wenigen Fernsehbeiträge die es über ihn und nicht mit ihm gibt, sind mit schaurig-spannender Musik wie aus einem Krimi oder Gruselfilm unterlegt. Sie suggerieren: Dieser Mann ist ein Mysterium, gefährlich und einflussreich. Strippenzieher wird er auch genannt. Eine graue Eminenz. Heimlicher Finanzminister sogar.
Nur die wenigsten Deutschen kennen das Gesicht des 44 Jahre alten in Flensburg geborenen Volkswirts. Seinen Namen können sie jedoch fast täglich in der Zeitung lesen. Asmussen ist Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, sein Chef ist Hausherr Wolfgang Schäuble. Wann immer es auf nationaler und internationaler Ebene um Euro-Rettung oder Griechenland-Hilfen geht, ist Asmussen an seiner Seite oder vertritt den Minister direkt. Auch bei der Rettung von Opel oder der Karstadt-Mutter Arcandor mischte der Spitzenbeamte mit. Asmussen bewegt sich dabei im Licht der Öffentlichkeit, ohne selbst eine öffentliche Person zu sein - so jedenfalls sieht er seine Arbeit. "Als Staatssekretär ist man oberster Beamter und Zuarbeiter des Ministers", sagt er. "Der Minister gibt seine politischen Ziele vor, und ich bereite mögliche Optionen vor, wie er sie erreichen kann. Man muss dabei vieles abwägen: Vor- und Nachteile oder das Verhältnis von Kosten und Nutzen - politisch, ökonomisch, kommunikativ." Es gehe darum, schließt Asmussen, politischen Willen handwerklich sauber umzusetzen und zu implementieren.
+++ Das Dossier: Die Euro-Krise+++
Im dritten Stock des Finanzministeriums in Berlin-Mitte hat er sein Büro. Ein großer heller Raum mit einem großen Schreibtisch, auf dem es nach aufgeräumter Arbeit aussieht. Ein Teller mit dunklen Weintrauben steht darauf. Asmussen lebt gesund. Der drahtige Mann mit kurz geschorenen Haaren fährt, sooft es geht, mit dem Fahrrad ins Ministerium, geht in seiner wenigen Freizeit zudem joggen. Kein unnützes Gramm Fett scheint er an seinem Körper zu haben, sein dunkelgrauer Anzug sitzt tadellos. Die Farbe seiner Krawatte ist lila wie die Weintrauben und harmoniert perfekt mit den dunklen Möbeln im Raum. Wer ihn zum ersten Mal betritt, wird mit einer klaren Botschaft konfrontiert: Hier regieren Perfektion und Akkuratesse.
Auch wenn Asmussen seine Rolle auf die eines Beamten reduziert, ist klar: Hinter Schäuble ist er im Finanzministerium der wichtigste Mann. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte ihn Anfang des Jahres sogar zu ihrem Chefunterhändler in den G20-Verhandlungen. Dieser Posten setzt ein enges Vertrauensverhältnis voraus - dass Asmussen ihn übernehmen konnte, ist umso erstaunlicher, als dass er eigentlich SPD-Mitglied ist und bereits unter der Ägide seines Parteifreundes Peer Steinbrück zum Staatssekretär befördert wurde. Dass CDU-Politiker Schäuble die Zusammenarbeit fortgesetzt hat, kann als deutlicher Beleg für Asmussens Kompetenz gewertet werden. "Der Minister ist ein echter Profi. Und mit Profis kann man arbeiten - da spielt das Parteibuch keine Rolle", sagt auch Asmussen. Am wichtigsten sei das Vertrauen des Ministers. "Und das bekommt man nur durch Loyalität, Verschwiegenheit, Sachkompetenz, Problemlösungskompetenz." Diskret, wie er also ist, formuliert er die Antwort auf die Frage nach einem Einfluss so: "Ich habe für Peer Steinbrück als Staatssekretär gearbeitet und mache es heute für Wolfgang Schäuble. Wer die beiden kennt, weiß, dass sie niemals einen heimlichen Finanzminister neben sich dulden würden." Er sei kein Politiker, wolle es nicht sein, "und ich will auch nicht in Konkurrenz zu ihnen treten".
Asmussens demonstratives Understatement spiegelt sich auch in seinem Wesen wider. Er redet ruhig und überlegt, seine Gesten sind weich, die Bewegungen fließend. Als Zivi hat er angefangen, sich für Politik zu interessieren, trat wegen Helmut Schmidt in die SPD ein. Zum Studieren ging er nach Bonn - nicht, weil seinerzeit von dort aus regiert wurde, sondern weil es dort die beste Fakultät für Volkswirtschaftslehre gab. Dort arbeitete er für Axel Weber, dem er 2004 in den Chefsessel der Bundesbank verhalf. Zu Studienzeiten traf er auch auf Jens Weidmann, den späteren Wirtschaftsberater von Kanzlerin Merkel. Weidmann und Weber sind nur ein kleiner Teil des großen Netzwerks, das man Asmussen nachsagt.
1996 wird das Finanzministerium auf den jungen Ökonomen aufmerksam. Er wird zuständig für internationale Finanz- und Währungspolitik - und Asien. Als 1997 in südostasiatischen Schwellenländern die Spekulationsblase platzt, schlägt Asmussens große Stunde. Von da an steigt er die Karriereleiter hoch. Wäre es 2008 dann nicht zur schwersten Finanzkrise in der Nachkriegsgeschichte gekommen, hätte er wohl immer weiter im Hintergrund gewerkelt.
Doch sein Aufstieg ist nicht unumstritten. Man habe den Bock zum Gärtner gemacht, hieß es, als ihn Steinbrück 2008 zum Staatssekretär beförderte und Asmussen Mitglied jener Gremien wurde, die zur Bekämpfung der Krise eingerichtet wurden. Noch vor dem weltweiten Finanzmarktbeben hat Asmussen genau jene risikoreichen Papiere angepriesen, die später als eine Ursache für den Kollaps galten. Er saß im Aufsichtsrat der beinahe zusammengebrochenen Mittelstandsbank IKB, die Milliarden mit US-Immobilienkrediten verspielte. Gleichzeitig gehörte er der Bankenaufsicht BaFin an, die die IKB eigentlich kontrollieren sollte. 2009 forderte die damalige Opposition aus FDP, Grünen und Linken sogar Asmussens Rückzug. Beim maroden Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate, der auf Kosten der Steuerzahler gerettet wurde, habe er die Warnsignale nicht rechtzeitig gesehen, lautete der Vorwurf. Ganz Beamter sagt er heute: "Solange man mich kritisiert, kritisiert man nicht den Minister. Das ist die Aufgabe eines Staatssekretärs, und das muss man manchmal einstecken."
Jetzt, da die Finanzkrise in eine Euro-Krise übergegangen ist, ist Asmussen weiterhin gefordert. Ist er gerade nicht auf Reisen etwa in Brüssel, Washington oder Paris, beginnt ein normaler Arbeitstag für ihn morgens um 6 Uhr mit einem Blick auf die Märkte in Fernost. Dann Zeitungen lesen, die Gefechtslage studieren. Ab acht sitzt er am Schreibtisch im Finanzministerium - für die nächsten 14 Stunden. Vormittags Telefonate mit Asien, nachmittags mit den USA. Für globales Arbeiten liegt Deutschland in einer relativ guten Zeitzone, da hat Asmussen Glück. "Mein Job ist anstrengend, zeitaufwendig, und man steht unter hohem Druck", sagt er, "aber er ist auch schön." Wenn es geht, dann radelt er abends für eine Stunde nach Hause, um seine Töchter zu sehen, zwei und vier Jahre sind sie alt. Der Staatssekretär wird dann zum Papa. Spielen, singen, Erdung eben. Auch ein Schattenmann muss mal abschalten.