Den Vizekanzler gibt es offiziell nicht. Merkels Stellvertreter Rösler durfte aber eine Kabinettsitzung lang auf den Chefsessel. Ein gutes Omen?
Berlin. Das Versorgungsgesetz durchwinken, das er selbst angestoßen hat. Die Subventionen des Bundes beschränken. Und für gute Laune bei den Ministern sorgen, die nicht wie die Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel (Südtirol) im Urlaub weilen. Das waren die wesentlichen Aufgaben des Kurzzeitkanzlers Philipp Rösler (FDP), der am Mittwoch die Kabinettsitzung leitete. Er ist als FDP-Vorsitzender und Schwergewicht der schwarz-gelben Koalition der Stellvertreter Merkels. Vizekanzler nennt er sich, aber der Titel existiert offiziell nicht. In der Geschäftsordnung des Kabinetts ist von Stellvertreter die Rede. „Vizekanzler“ darf sich Rösler mit Gewohnheitsrecht nennen.
Doch ist das alles ein gutes Omen? Denn vor genau einem Jahr leitete Vizekanzler Guido Westerwelle die Kabinettsitzung für die abwesende Merkel. Was aus ihm wurde, ist bekannt: abgesetzt als Parteivorsitzender, kritisch beäugt von den Parteikollegen und gesunken im Ansehen der Öffentlichkeit. Rösler gilt als Strahlemann. Der von einer Familie mit Wurzeln in Hamburg-Harburg als Kind aus Vietnam adoptierte Arzt verbreitet meist gute Laune. Das hilft, zumindest die Sorgen der FDP – dramatisch schlechte Umfragewerte, Doktoraffären, Ringen um das Durchsetzen von Zielen in der Regierung – für eine Weile zu vergessen. Wie durchsetzungsstark er ist, muss Rösler noch zeigen.
Fast schüchtern bekannte er „Ein bisschen aufgeregt war man schon.“ Aber es sei schließlich eine „vergleichsweise einfache Sitzung“ gewesen. Mehr mochte Rösler nicht sagen. Neben Rösler waren der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP), und Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) platziert. Hoyer vertrat Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Pofalla gilt als „Wachhund“ der Kanzlerin und Strippenzieher im Hintergrund. Insofern war auch Merkel im Geiste anwesend.
Rösler wollte noch am Nachmittag nach Norwegen jetten zu einem dreitägigen Besuch. Er ist damit das erste deutsche Regierungsmitglied, das nach dem Anschlag in Oslo und dem Massaker auf der Insel Utøya das Land besucht. Am Osloer Dom will der Vizekanzler und FDP-Vorsitzende Blumen zum Gedenken an die 77 Todesopfer niederlegen.
Inhaltlicher Schwerpunkt der Reise sind energiepolitische Gespräche und der Besuch einer Gasplattform in der Nordsee. Norwegen ist einer der wichtigsten Gaslieferanten Deutschlands. Mit dem Ausstieg aus der Atomkraft wird die Bedeutung von Gas für die deutsche Energieversorgung wachsen. (abendblatt.de)