Seevetal. Kreistag beschließt einstimmig Resolution zur Rettung kleiner Kliniken. Ärzte schildern Dramatik der Lage. Wie die Sitzung lief.
So viel Einigkeit herrscht selten: Einstimmig hat der Kreistag des Landkreises Harburg am Montag in einer Sondersitzung eine Resolution zur Rettung der Kliniken verabschiedet. Darin wird die Niedersächsische Landesregierung aufgefordert, im Bundesrat den Vermittlungsausschuss zur geplanten Krankenhausreform anzurufen, „wenn ein vollständiger Ausgleich der Inflationslücke 2022-2024 durch eine Anhebung des Landesbasisfallwertes nicht erfolgt“, heißt es im Text.
Die Anrufung des Bundesrats ist die letzte Möglichkeit, doch noch eine Veränderung des Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetz (KHVVG) zu erreichen, das am 17. Oktober vom Bundestag verabschiedet wurde und viele Krankenhäuser in eine prekäre Lage bringt.
Krankenhausreform im Kreis Harburg: Land Niedersachsen soll zahlen
Und weiter: „Sollte das KHVVG ohne einen vollständigen Tarif- und Inflationsausgleich in Kraft treten, erwartet der Landkreis Harburg im Jahr 2025 und in den Folgejahren eine Kompensation des strukturellen Defizits der Träger auch durch das Land Niedersachsen.“ Im Klartext: Das Land soll zahlen. Dem niedersächsischen Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi (SPD) werden mit der Resolution buchstäblich die finanziellen Daumenschrauben angelegt. Sie wurde in ähnlicher Form bereits von den Landkreisen Stade, Verden und Rotenburg verabschiedet.
Der Weg zur Verabschiedung des Resolutionstextes glich im Landkreis Harburg eher einer Stolperstrecke. Während der Kreistagssitzung im Oktober hatten die Grünen die Abstimmung über den von der Gruppe CDU/FDP eingereichten Antrag blockiert, weil er aus ihrer Sicht zu spät eingereicht worden sei.
Resolution im Kreistag Harburg: Abstimmung gelingt mit einem Kniff
Der nun kurzfristig anberaumten Sondersitzung ging ein Treffen des Ältestenrats voraus. In nichtöffentlicher Zusammenkunft einigte sich die Kreistagsmitglieder auf einen gemeinsamen Text. Die Abstimmung gelang mit einem Kunstgriff. Weil zu wenige Kreistagsmitglieder zur Sitzung gekommen waren, änderte Landrat Rainer Rempe kurzerhand die Geschäftsordnung, um ein gültiges Abstimmungsergebnis zu ermöglichen.
Was konkret an der Krankenhausreform auszusetzen ist, machten Vertreter der Krankenhäuser Buchholz und Winsen deutlich, die mit einer starken Abordnung aus Ärzten und Mitarbeitern das Geschehen verfolgten. Ohne Zweifel gebe es Reformbedarf, räumte Dr. Franziska von Breunig, Ärztin und Geschäftsführerin der Krankenhäuser Buchholz und Winsen ein.
Fachkräftemangel, eine alternde Gesellschaft, hohe Bürokratiekosten sowie regionale Überversorgung durch kleine Krankenhäuser machten Veränderungen dringend nötig.
Der Landkreis Harburg aber gehöre nicht zu den überversorgten Regionen. Vielmehr stehen, so von Breunig, für die 263.000 Einwohner des Landkreises weniger als die Hälfte der durchschnittlichen Krankenhausbetten zur Verfügung, nämlich 559 in den Krankenhäusern Buchholz und Winsen und 75 in der Waldklinik.
Seit Jahren für gute Leistungen gelobt – nun von der Schließung bedroht
Mit der Konzentration der HNO-Abteilung am Standort Winsen habe man Flexibilität und mit der Etablierung des häuserübergreifenden Schlaganfallnetzwerks Innovationskraft beweisen. Genau dieses Netzwerk, an dem neben den Krankenhäusern Buchholz und Winsen die Waldklinik und das UKE beteiligt sind, gerate durch die „formalistische Betrachtung einzelner Standorte“ jedoch in Gefahr. Der Schlaganfalleinheit in Winsen drohe mit der Krankenhausreform die Schließung – was eine Unterversorgung im Ostkreis zur Folge haben dürfte.
Auch die Zukunft der Darmkrebszentren an beiden Krankenhäusern, die – wie auch das häuserübergreifende Brustkrebszentrum – seit Jahren von der Deutschen Krebsgesellschaft für gute Leistungen gelobt werden, sei durch das KHHVG bedroht.
Denn: Die Umstrukturierung von Leistungsgruppen mache die Rezertifizierung der Darmkrebszentren schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Die Änderung in der Krankenhausfinanzierung durch Vorhaltepauschalen orientiere sich, so von Breunig weiter, nicht an den realen Kosten und sichere keineswegs den so dringend benötigten Inflationsausgleich.
Vielmehr setze das neue Gesetz Fehlanreize zur Minderleistung. „Wir brauchen eine Steigerung um 8,5 Prozent in der Krankenhausfinanzierung und eine Auswirkungsanalyse, um die Folgen der Reform auf das regionale Leistungsangebot und die wirtschaftliche Zukunft unserer Krankenhäuser abzuschätzen“, so von Breunig.
Winsen in der Champions League der Kliniken beim Thema Gelenkoperationen
Stellung für die Krankenhäuser des Landkreises bezog auch Dr. Heiner Austrup, ehemaliger Ärztlicher Direktor des Krankenhauses Winsen und Chefarzt in der Waldklinik Jesteburg. „Wir haben schon vor 20 Jahren erkannt, dass nicht alle Krankenhäuser alles machen können – und danach gehandelt“, sagte er. Die Schwerpunktversorgung an den Standorten Winsen und Buchholz sei von höchster Qualität und vergleichbar mit der großer Hamburger Häuser.
Mit dem Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung spiele das Krankenhaus Winsen gar in der Champions League der Kliniken mit. Die Krankenhausreform bedeute weiteren Bürokratieaufwand, der Kräfte binde und Patientenversorgung und Ausbildung von Nachwuchskräften behindere.
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Gesamtbetriebsratsvorsitzender Markus Beecken, der die 2500 Arbeitnehmer der Krankenhäuser Buchholz und Winsen vertritt, äußerte sich sichtbar angefasst darüber, dass die Landkreis-Krankenhäuser trotz guter Belegung von über 80 Prozent, trotz guten Wirtschaftens, einer kompetenten Geschäftsleitung und engagierten Mitarbeitern in die roten Zahlen geraten sind.
„Monstrum wie in Absurdistan“: Ärzte und Politiker kritisieren Krankenhausreform scharf
„Die Politik lässt uns am langen Arm verhungern“, so Beecken. Die mit der Reform verbundene Steigerung der Bürokratie sei ein „Monstrum wie in Absurdistan“. Krankenhausschließungen lösten den Fachkräftemangel nicht. Viele frühere Mitarbeiter des abgewickelten Krankenhauses Salzhausen seien nicht in andere Häuser gewechselt, sondern in andere Berufe.
Krankenhausgeschäftsführer Kai Uffelmann kündigte für die Krankenhäuser ein „umfassendes Konsolidierungsprogramm“ an, um den Landkreis finanziell zu entlasten. Die gemeinsam gefasste Resolution gebe den Akteuren dabei den nötigen Rückenwind.