Geesthacht. Der Bundesgesundheitsminister erklärte in der Halle der Buntenskampschule die Krankenhausreform. Wer sich Sorgen machen muss.
Ist es wirklich schlecht bestellt um das deutsche Gesundheitssystem? Nein – denn es ist alles noch viel schlimmer. Zu diesem Eindruck konnte der Hörer gelangen, der die Ausführungen von KarlLauterbach (SPD) zur Gesamtsituation verfolgt hat. „Wir sind überall hinterher“, klagte der Bundesgesundheitsminister am Donnerstagabend in der Geesthachter Buntenskamphalle vor rund 300 Zuhörern. Er sprach dort auf Einladung der Bundestagsabgeordneten aus dem Kreis, Nina Scheer (SPD). Zu Gast war ebenfalls Birte Pauls. Die Landtagsabgeordnete der SPD ist ausgebildete Krankenschwester.
Getroffen wurde diese Aussage in einem Gespräch über Künstliche Intelligenz und ob dadurch Mediziner von bürokratischem Papierkrieg entlastet werden könnten. Das würden sie, wenn die Digitalisierung auf der Höhe der Zeit wäre, da ist sich Karl Lauterbach sicher. „Es gibt seit zehn Jahren keinen Fortschritt“, sagte er.
Was Lauterbachs Krankenhausreform für kleine Häuser bedeutet
Die Liste der Versäumnisse zog sich wie ein roter Faden durch die gut zweistündige Veranstaltung. Digitalisierung, Finanzierung, Fachkräftemangel und, und, und – überall gebe es gewaltige Probleme, die schon längst hätten angegangen werden sollen, führte Karl Lauterbach aus.
Aber auch, wie es besser werden soll, wurde angesprochen. Reformen seien nötig gegen die Schieflage. „Sie müssen schnell kommen“, sagte er. Man arbeite gerade an 15 Gesetzen gleichzeitig, berichtete Karl Lauterbach. Das Gesetz gegen Medikamentenengpässe gebe es bereits seit dem 1. August, brauche aber noch Zeit, um sich auszuwirken. Bei weiteren Missständen, wie der Zwei-Klassenmedizin, bat er um Geduld. Man könne nicht alles auf einmal angehen, sagte er. Und das auch nicht in dieser Regierungskonstellation
Vor der Buntenskampschule hatten sich gut 30 Demonstranten versammelt
Im Fokus stehen die Verbesserung der Situation der Kliniken mit dem Krankenhausreformgesetz zum 1. Mai, flankiert vom Krankenhaustransparenzgesetz mit Struktur- und Leistungsdaten. So soll übersichtlich erkennbar sein, welche Klinik welche Leistungen anbietet und wie die Einrichtung ausgestattet ist. Lauterbach erläuterte in der voll besetzten Halle, wie das Konzept aussieht und was auf Mediziner und Patienten zukommt.
„Wir haben 1720 Krankenhäuser, haben aber nicht den Bedarf für 1720 Krankenhäuser“, erläuterte Karl Lauterbach einen der Hintergründe der Reform. Insolvenzen drohten. Er verwies als Beispiel auf das Geesthachter Johanniter-Krankenhaus, das er wie auch das St. Adolf-Stift in Reinbek vor der Veranstaltung besucht hatte.
Kommt Johanniter-Krankenhaus mit Vorhaltepauschalen über die Runden?
Hier gebe es zurzeit einen Leerstand von eher 40 Prozent, sagte er. „Da ist es schwer, auskömmlich zu wirtschaften. Das Haus macht Defizite, sie würden ansteigen. Mit der Fallzahl würde das Haus aus den Defiziten schwer herauskommen. Mit den Vorhaltepauschalen würde es aber über die Runden kommen“, ist er überzeugt.
Hierbei soll Kliniken eine Pauschale allein für das Vorhalten bestimmter Leistungen garantiert werden – unabhängig von Patientenaufkommen, der Liegezeit und Diagnosen. Die Reform bedeute die Existenz für die kleinen Häuser, und eine Qualitätsverbesserung für die großen Häuser, sagte Lauterbach. „Andernfalls würden wir auf dem Land kein Haus mehr haben“, ist er sich sicher.
Ziel der Reform ist es nicht, jedes Krankenhaus zu erhalten
Und er verdeutlichte, wer sich Sorgen machen müsse in Sachen Klinikschließungen. „Es ist nicht Ziel der Reform, jedes Krankenhaus am Netz zu erhalten“, stellte er klar. In den Großstädten hat er ein Überangebot ausgemacht, kleine Kliniken auf dem Land sollten erhalten bleiben. Auch die Schließung von Geburtskliniken sei nicht vorgesehen, „ganz im Gegenteil“, meinte er. Die Krankenhausplanung ist aber letzten Endes Ländersache. Die letzte in Schleswig-Holstein datiert aus dem Jahr 2017 und gilt als veraltet.
Das Zauberkonzept, um Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sieht Karl Lauterbach in der Spezialisierung. Anstatt dass jede Klinik für sich eine gewisse Anzahl an Fachärzten vorhalten muss, konzentrieren sich bestimmte Fachrichtungen dann in jeweils anderen Kliniken. Das spare Personal. Genau wie Zentralisierungen.
Wenn die Boomer im Ruhestand sind, wird Personalsituation noch schlechter
Karl Lauterbach erwartet, dass sich die Situation hier noch verschärfen dürfte. „Es wird schlechter werden, wenn die Boomer im Ruhestand sind. Deshalb müssen wir die große Reform machen“, erklärte er. Und ob Arbeitskräfte aus dem Ausland die Lücken ausfüllen können, sei fraglich. Deutschland sei unattraktiv für Pflegekräfte, sie dürften woanders mehr machen, erklärte er.
Die Einteilung in sogenannte Leistungsgruppen, zugewiesen durch die Länder, soll auch einen Qualitätsstandard für Patienten sicherstellen. Sie werden dann jeweils dort behandelt, wo die technischen und personellen Voraussetzungen für ihr individuelles Leiden gegeben sind. Die Einteilung sieht zurzeit 17 Leistungsbereiche mit insgesamt 128 Leistungsgruppen vor, die nicht alle von allen Kliniken vorgehalten werden dürfen. Damit verbunden ist ein dreistufiges Levelsystem mit einer Basisnotfallversorgung (Stufe I), der erweiterten Notfallversorgung (Stufe II) und der umfassenden Notfallversorgung (Stufe III).
Budgetierung und Ambulantisierung – wie passt das zusammen?
Ein gewichtiger Punkt betrifft auch die niedergelassenen Ärzte. In einer Art Schnellcheck soll nämlich künftig in den Krankenhäusern bei der Notfallaufnahme entschieden werden, wer ein Fall für die Klinik ist – und wer in eine Praxis überwiesen wird. Diese angestrebte Ambulantisierung sieht Professor Jan Kramer kritisch, der als Vertreter des Medizinischen Versorgungszentrums an der Elbe (MVZ) anwesend war.
„Sie bohren ja dicke Bretter, jetzt werden Sie noch ein bisschen dicker“, schickte er seiner Frage vorweg. Sie bezog sich auf die gedeckelte Budgetierung. Man habe im MVZ jährlich 120.000 Patientenkontakte, davon würden bereits jetzt nur 58 Prozent vergütet. Jan Kramer wollte wissen, wie die Entlohnung geregelt werden soll, wenn der Zulauf an Patienten noch größer werde. Mehr Patienten zu betreuen, würde nicht bezahlt werden .
Noch ein Gesetz: Jede erbrachte Leistung soll auch bezahlt werden
Die Budgetierung sei ein Problem, räumte Karl Lauterbach ein. „Daher ist tatsächlich in der Hausarzt-Versorgung eine Notlage entstanden. Es ist bereits ein Gesetz in der Ressortabstimmung, wo wir sicherstellen werden, dass in der Allgemeinmedizin jede Leistung, die erbracht wird, auch bezahlt wird“, kündigte er als Gegenmittel an.
Auch draußen wurde diskutiert. Etwa 30 Menschen hatten sich zu einer Demonstration versammelt, die von Ingo Sillus aus der Nähe von Boizenburg angemeldet worden war. Er selbst bezeichnet sich als Querdenker. Die Polizei hatte seinem Geländewagen samt Anhänger einen Parkplatz direkt vor der Buntenskampschule zugewiesen. Darauf war eine riesige Tafel montiert mit 50 Fragen zu Themen vom Impfen bis zur Weltlage. „Wie Bio sind Bomben?“, etwa stand auf einem.
Auf dem Autodach war ein Lautsprecher installiert, die Teilnehmer machten Stimmung mit Tambourin und Tröte. Er sei gut vernetzt, bei mehr Zeit wären es mehr geworden, schätzt Ingo Sillus. Als Karl Lauterbach später um 20.30 Uhr in einer Limousine mit Berliner Kennzeichen vom Hof fuhr, war die Demo bereits vorbei. Alles sei friedlich geblieben, sagte ein Polizist.
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„Karl Lauterbach durchblickt das System sehr gut“, diagnostizierte Jan Kramer einen Tag später. Aber so richtig hoffnungsfroh angesichts des Quasi-Versprechens ist der Mediziner nicht. Auffallend: Das Wort „Entbudgetierung“ nahm er nicht in den Mund. „Bei dem ist nie etwas zufällig“, glaubt Jan Kramer. Vielleicht, weil sich kürzlich der Bundesrechnungshof dagegen ausgesprochen hatte, wie das Ärzteblatt berichtete? Jan Kramer jedenfalls bleibt skeptisch, ob „die Überführung der theoretischen Gedanken in die operative Welt“ gelingen wird.