Am 25. Juli beginnen die Festspiele in Bayreuth. Kurz vor dem Start hat nun der Musik- und Theaterwissenschaftler Stephan Mösch neue Forschungergebnisse publik gemacht. Sein Fazit: Komponist Richard Wagner (1813-1883) und seine Ehefrau Cosima waren antisemitischer eingestellt als bisher angenommen.
Berlin. Der Komponist Richard Wagner (1813-1883) und seine Ehefrau Cosima waren nach neu ausgewerteten Dokumenten stärker antisemitisch eingestellt als bisher wahrgenommen.
Die Judenfeindlichkeit des Ehepaars sei über private Weltanschauung hinausgegangen und habe die künstlerische Arbeit in Bayreuth überschattet, sagte der Musik- und Theaterwissenschaftler Stephan Mösch im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. An diesem Sonnabend werden die diesjährigen Bayreuther Wagner-Festspiele eröffnet.
Am Beispiel des „Parsifal“ hat Mösch, der auch Chefredakteur der Fachzeitschrift „Opernwelt“ ist, in seinem Buch „Weihe, Werkstatt, Wirklichkeit“ (Bärenreiter/Metzler) unter anderem die Ressentiments der Wagners gegenüber dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi nachgezeichnet. Levi leitete „Parsifal“ in Bayreuth von 1882 bis 1894. „Der Dauerkonflikt zwischen dem Hause Wahnfried und Levi wird in der wissenschaftlichen Literatur beschönigt“, sagte Mösch. Er begrüßte, dass die neuen Festspielleiterinnen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner die Familien-Archive auch zur dunklen Seite der Festspiele öffnen wollten.
Cosima habe Levi unterstellt, dass er als Jude nicht in der Lage sei, den „Parsifal“ als christliches „Bühnenweihfestspiel“ zu empfinden und nachzuvollziehen. „Hier fallen eine Übersteigerung der Kunst zur Religion und arisch-germanische Ideologie auf unheilvolle Weise zusammen“, sagte Mösch.
Für Wagner, aber noch mehr für dessen Ehefrau Cosima (1837-1930) sei es eine Provokation gewesen, dass der von König Ludwig II. geförderte Levi den „Parsifal“ dirigierte. Immer wieder sei Levi von den Wagners gedrängt worden, sich taufen zu lassen. Das habe sein Selbstverständnis untergraben, er musste wegen psychosomatischer Erkrankungen seinen Beruf früh aufgeben. Levi habe sich zwar bis an die Grenze der Selbstverleugnung unterworfen. „Beim entscheidenden Punkt seines Judentums blieb er seinen Wurzeln treu und wurde dafür in Bayreuth hartnäckig attackiert, denn Wagner betrachtete sich und sein Werk als Chance für Juden, ihre jüdische Identität aufzugeben.“
Es sei zwar falsch, Wagner als Wegbereiter des Holocaust zu bezeichnen. „Doch die Aufführungsgeschichte des „Parsifal“ zeigt, wie eng ästhetische Überzeugungen in Bayreuth mit Antisemitismus verbunden sein konnten“, sagte Mösch. „Musikpraxis und Weltanschauung fallen hier zusammen.“ Nach Wagners Tod sei unter Cosima Wagner ein antisemitischer „Radikalkurs“ gefahren worden.
Der Autor stützt sich auf Quellen, die „unbegreiflicherweise“ von der Wagner-Forschung nicht aufgegriffen wurden. Dazu zählen Briefe der Sängerin Marianne Brandt, die 1882 die weibliche Hauptrolle der Kundry sang und bei allen Proben dabei war. Nicht ausgewertet wurden bisher die Tagebücher der Dirigenten Felix Mottl und des Komponisten Wilhelm Kienzl, zwei intimen Bayreuth-Kenner. „Selbst der Briefwechsel zwischen Cosima Wagner und Levi ist bis heute weitgehend von der Wissenschaft ignoriert worden“, sagte Mösch.