Die Festspiele auf dem Weg in die Gegenwart: mit neuer Website, Festspiel-Podcasts und der Hamburger Ausstellung “Verstummte Stimmen“.
Hamburg. Im Festspielhaus wird umgebaut. Die neue Chefin der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner (31), hat dabei keine Tabus: Wo über Dekaden der Vater residierte, zieht das Künstlerische Betriebsbüro ein. Sie selbst residiert im Erdgeschoss, in Rufweite zu ihrer Halbschwester und Mit-Chefin Eva Wagner-Pasquier, die noch zwischen Aix-en-Provence und Bayreuth pendelt. Ihre Verträge laufen bis 2015.
Katharina Wagner trägt eine schwere Lederjacke über dem Tanktop und Cargopants. Ein bisschen eingeigelt sieht das aus, als brauche sie eine schützende Schale. Nach jahrelangen Querelen um die Nachfolge ihres Vaters, des Wagner-Enkels Wolfgang (89), der das Opernfestival 54 Jahre lang regierte, wird nach vorn geschaut.
Hell und freundlich werden alle Büros. Als wolle sie die letzten Schatten der Vergangenheit vertreiben - die der NS-Vergangenheit, in der Hitlers Wagner-Begeisterung und Winifred Wagners Freundschaft zum "Führer" das Haus dicht an die braunen Machthaber heranzog. "Es gibt tausende Winkel hier, die müssen durchsucht werden", sagt Katharina Wagner. "Es müssen alle Räume und alle Archive offenstehen. Und wenn da nichts mehr gefunden wird, dann möchte ich es endlich seriös von einer ganzen Reihe von Leuten bestätigt haben." Ein Team unabhängiger Forscher macht sich an die Arbeit, sobald Sponsoren gefunden sind. 2013 sollen erste Ergebnisse vorliegen.
Sie selbst wird sich heraushalten, "sonst heißt es gleich wieder: Die wollen da etwas vertuschen." Muss sie als Chefin jetzt diplomatischer handeln? Ihr fränkischer Akzent wird stärker, wenn sie emotional antwortet: "Das hat nichts mit Diplomatie zu tun, ich bin bloß einfach ned blöd - auf gut Deutsch. Ich war in solchen Sachen schon immer vorsichtig, weil ich diese Familie kenne."
Dass die Büsten Richard und Cosima Wagners im Park unterhalb des Festspielhauses von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker stammen, erklären seit Kurzem Tafeln. "Ein guter Schritt der Stadt", freut sich Katharina. Und 2010 soll die Ausstellung "Verstummte Stimmen" über die Vertreibung der Juden aus den deutschen Opernhäusern nach Bayreuth kommen. Sie wurde 2006 von den Hamburgern Hannes Heer, Peter Schmidt und Jürgen Kesting gemeinsam mit dem Hamburger Abendblatt realisiert. "Es ist eine tolle Ausstellung, sie muss hierher."
Manches bleibt auch: Bei den Festspielen gibt es weiter nur Wagner ("steht in der Stiftungssatzung"), mehr als fünf Wochen gehen nicht ("zu teuer"). Also werden viele Kleinigkeiten geändert, die in ihrer Summe die verstaubte Weltmarke "Bayreuther Festspiele" in die Gegenwart holen sollen: neue Programmhefte, neue Uniformen fürs Personal, Corporate Identity, eigene Einführungsvorträge, neue Website, Podcasts zur Festspielzeit. Und - Revolution! - bald sogar die Möglichkeit, für die Karten im Internet Schlage zu stehen (Wartezeit: bis zu zehn Jahre). Großbild-Event für 40 000 Open-Air-Zuschauer, DVD-Edition, eine Kinderoper zum "Fliegenden Holländer". Die Kunst bei all dem? Man muss das Geld dafür bekommen.
Über neue Pläne für die Bühne sagt sie dabei wenig. Erste eigene künstlerische Akzente kann das Schwestern-Team erst ab 2013 setzen, "bis dahin ist alles in trockenen Tüchern". Dann, im Jubeljahr zum 200. Geburtstag Richard Wagners, wird ein neuer "Ring des Nibelungen" geschmiedet. Daran wird man die Chefinnen messen.
Wer führt Regie? Absolute Geheimsache. Sie spricht von einem "Regisseur" - und schließt sich selbst aus. "Ich inszeniere erst 2015 wieder. Es sollen ja keine Katharina-Wagner-Regie-Festspiele werden." Sondern? "Ich erwarte, gerade hier in Bayreuth, dass mir jeder Regisseur eine Sichtweise auf das Stück eröffnet, die ich nicht schon viermal gesehen habe." Sie will Regisseure engagieren, "die handwerklich spitze sind und dann noch eine Aussage haben". Das ist hübsch allgemein; mit Konkretem ist sie vorsichtig; zwei Hoffnungsträger verrät sie: Sebastian Baumgarten ("Tannhäuser" 2011) und Sebastian Nübling ("Holländer" 2012), profilierte junge Regisseure.
Einer anderen Dauerkritik kommt sie zuvor: "Musikalisch können wir einiges verbessern. Wir können uns die Sänger nicht schnitzen, sollten aber die finden, die es am besten singen können." Das ist nie einfach bei den eher niedrigen Bayreuther Gagen. Immerhin tritt mit Jonas Kaufmann im "Lohengrin 2010" ein Schwanenritter mit Star-Faktor an. Ums Orchester soll sich weiter der Münchner Top-Dirigent Christian Thielemann kümmern; 2011 wird Thomas Hengelbrock erstmals beim "Tannhäuser" am Pult stehen - er hat Wurzeln in der historischen Aufführungspraxis.
Könnte sie sich, nachdem sie nun auf dem Chefsessel sitzt, einen versöhnlichen Handschlag mit Nike Wagner, ihrer Konkurrentin aus Weimar, vorstellen? "Kann ich schon. Obwohl mich diese Frau eigentlich seit meiner Geburt beleidigt. Ich habe Interesse an Inhalten, aber nicht daran, dass man diesen ganzen Familie-Clan zur Seifenoper verkommen lässt. Ich werde aber nicht die sein, die sagt: Wir müssen jetzt unbedingt mal 'nen Kaffee trinken gehen."