Hamburg. Die Nachfolgefrage in Bayreuth, seit mindestens sechs Jahren Thema Nummer eins am Grünen Hügel, hat durch den überraschenden Tod von Gudrun Wagner eine schicksalhafte Wendung erfahren. Gestern ist die Frau des greisen Festspielchefs Wolfgang Wagner 63-jährig nach einem Eingriff im Bayreuther Klinikum gestorben.

Obwohl eine Trauerfeier erst noch ansteht, spricht jetzt schon jedermann aus, was bislang nur Jürgen Flimm, der Regisseur des Bayreuther "Rings" aus dem Jahr 2000, öffentlich zu sagen gewagt hatte: Gudrun Wagner war in den letzten Jahren die "graue Eminenz", die eigentliche Herrin der Richard-Wagner-Festspiele.

"Wer die Konstellation auf dem Hügel in Bayreuth kennt, weiß, dass mit Gudrun Wagner die Steuerfrau der letzten Jahre abberufen ist", heißt es etwa in der Reaktion von Bayerns Kunstminister Thomas Goppel (CSU). Und Holk Freytag, Chef des Staatsschauspiels in Dresden, meinte namens des Deutschen Bühnenvereins: "Alle Welt wusste das, und sie nahm die Sache an sich, obwohl sie kein Mandat dazu hatte."

Der Tod kam überraschend. Vor einigen Tagen hatte sich Gudrun Wagner einer Operation unterziehen müssen, die sie gut überstand. Am frühen Mittwochmorgen wurde dann jedoch der Tod festgestellt. "Tief bewegt und in stiller Trauer muss ich bekannt geben, dass heute Morgen meine liebe Frau und engste Mitarbeiterin völlig unerwartet gestorben ist", lautete die Mitteilung Wolfgang Wagners.

Der Urenkel Franz Liszts und Enkel Richard Wagners hatte die 25 Jahre jüngere Gudrun Mack 1976 geheiratet. Die Braut stammte aus Allenstein in Ostpreußen und hatte sich 1965 auf eine Annonce in der "Süddeutschen Zeitung" beworben: "Kulturbetrieb in Nordbayern sucht Mitarbeiterin." Dahinter verbarg sich das Pressebüro der Bayreuther Festspiele. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin wurde genommen. Fünf Jahre später heiratete sie Dietrich Mack, einen engen Mitarbeiter Wolfgang Wagners, und weitere sechs Jahre später, nachdem sie und der Festspielchef von ihren Ehepartnern geschieden worden waren, wurde sie eine Wagner. 1978 kam Tochter Katharina zur Welt, und 1985 machte Wolfgang seine zweite Frau zu seiner persönlichen Referentin. Es begann eine jahrelange Rangelei um die Nachfolge Wolfgang Wagners, der einen Intendantenvertrag auf Lebenszeit besitzt und diesen immer wieder, wenn es ihm geraten erscheint, gerne aus der Tasche zieht und mit Nachdruck darauf pocht.

Das erste Mal war 2001, als Wagner - damals 81 Jahre alt - sie offiziell zu seiner Nachfolgerin machen wollte.

Der alles entscheidende Festspiel-Stiftungsrat allerdings wies Gudrun Wagners Bewerbung mit erdrückender Mehrheit ab. Das Gremium, in dem der Bund und der Freistaat Bayern mit je fünf, die Familie Wagner mit vier, die Stadt Bayreuth mit drei und der Freundeskreis der Festspiele, der Bezirk Oberfranken und die Bayerische Landesstifung mit je zwei Stimmen sowie die Oberfrankenstiftung mit einer vertreten sind, entschied sich mit 22:2 Stimmen gegen Wolfgang und Gudrun Wagner. Es hob Eva Wagner-Pasquier auf den Schild, Wolfgangs Tochter aus erster Ehe mit Festspiel-Erfahrung aus Glyndebourne, Aix und New York.

Das zweite Mal datiert aus dem vergangenen Sommer. Da hatte Wagner sich schon längst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Den Freunden von Bayreuth, dem mächtigen Stiftungskreis also, war schon seit den Festspielen 2006 offensichtlich, dass die Krankheit dem greisen Intendanten schwer zusetzte. Auf der Gesellschafterversammlung nahm Gudrun für ihn das Wort, und zuletzt blieb er auch den offiziellen Anlässen fern. Die Festspiel-Pressekonferenzen, bis dato alljährlich ein spezielles Amüsement Wagners, fanden ohne ihn statt. Und Gudrun Wagner soll am Telefon Anrufer, die den Chef verlangten, mit den Worten "Ich bin mein Mann" beschieden haben.

Nun sollte es Katharina mithilfe der Mutter richten: "Für meinen Mann und mich liegt es auf der Hand, dass Katharina die Nachfolge antritt", stellte Gudrun klar. Ihr Mann wollte den Vertrag nur unter der Voraussetzung vorzeitig kündigen, dass die Tochter die Nachfolgerin würde. Aber trotz einer von ungeheurem Medienrummel begleiteten "Meistersinger"-Inszenierung, trotz der im letzten Moment in ihr Team berufenen Christian Thieleman und Peter Ruzicka lehnte der Stiftungsrat auf seiner letzten Sitzung Anfang November den Deal ab. Praktisch bedeutet dies das Aus für Katharina, denn wenn das Gremium Wolfgang Wagner zugestimmt hätte, wäre alles klar gewesen.

Mehr noch: Edgar Hilger, einflussreicher Mäzen und Ehrenpräsident der Freunde von Bayreuth, rügte öffentlich die "Misswirtschaft der derzeitigen, tatsächlichen Festspielleitung". Das war eindeutig an die Adresse Gudrun Wagner gerichtet. Wie es heißt, hatte sie die Festspiele schon bis 2015 komplett verplant - u. a. mit Schlingensief als "Tristan"-Regisseur.

Nun sind Eva Wagner-Pasquier und ihre Cousine Nike, die Weimarer Klassik-Chefin, wieder im Gespräch. Und wieder spinnen die Bayreuther Nornen das Seil à la "Götterdämmerung": "Weißt du, wie das wird?"