Der legendäre Keller ist Heimat der Jazz Federation und berühmt für seine Jam Sessions.

Hamburg. Einen Künstler hautnah erleben, davon träumt jeder Musikfan. Doch meistens verhindern Gitter und muskelbepackte Ordner diese Nähe - selbst, wenn man in der ersten Reihe steht. Im Birdland ist hautnah oft gar nicht zu verhindern. Beim Konzert mit Jason Moran etwa hockte das Publikum zu seinen Füßen, beinahe unter dem Steinway-Flügel, und der amerikanische Pianist mußte aufpassen, daß er mit einer falschen Bewegung nicht einem Zuhörer auf die Hände trat. Längst war jeder der 110 Plätze besetzt, die Luft stickig und schwül wie in Morans Heimat im Süden der USA.

Natürlich ist nicht jedes Konzert in dem Jazzclub an der Gärtnerstraße derart überfüllt. Moran zählt zur Weltklasse, und Künstler seines Kalibers können Inhaber Dieter Reichert und Sohn Ralph, der das Booking macht, nicht jeden Tag nach Hamburg holen. Doch auch das übrige Programm im Birdland genügt hohen internationalen Ansprüchen. Der Name verpflichtet - schließlich steht das Original in New York City und zählt zu den berühmtesten Jazzclubs der Welt.

Daß Hamburg überhaupt noch einen Club hat, der sich dem modernen Jazz widmet, verdankt er der Musikleidenschaft von Dieter Reichert und seinen Fähigkeiten als Architekt und Baumeister. Ursprünglich war der Kellerclub als privater Übungsraum für ihn und ein paar Freunde gedacht. Doch nachdem mit Dennis' Swing Club in der Papenhuder Straße ein wichtiges Domizil des Jazz nach Dennis' Tod geschlossen wurde, öffnete Reichert seinen Keller vor 20 Jahren für die Öffentlichkeit beziehungsweise für den Verein Jazz Federation Hamburg. Das Birdland ist das Vereinslokal für diesen mehr als 700 Mitglieder zählenden Club. Für jedes Konzert haben die Mitglieder (bei Monatsbeiträgen von 6,50 Euro für Studenten und 12 Euro für Erwachsene) freien Eintritt und können Tischreservierungen vornehmen. Das kann zwar auch jeder andere Jazzfreund, doch er muß die (immer noch moderaten) Eintrittspreise bezahlen, im Schnitt zehn bis 15 Euro.

Große Namen haben in dem mit dunklen Holz ausgestatteten Club auf der Bühne gestanden: Chet Baker, Johnny Griffin, Joe Henderson, Art Blakey, Ray Brown, Diana Krall, Tommy Flanagan, Brad Mehldau, Viktoria Tolstoy, Rebekka Bakken, ja sogar die Brüder Branford und Wynton Marsalis stiegen bei (allerdings unterschiedlichen) Sessions mit ein. Viele dieser Ausnahmekünstler, die Jazzgeschichte geschrieben haben, sind auf Gemälden an den Wänden verewigt. Dieter Reicherts Frau Heidi, eine Rechtsanwältin mit Mal- und Grafik-Ausbildung, hat sie im Laufe der Jahre gemalt.

Sechs Tage in der Woche stehen im Birdland große und weniger große Namen auf der Bühne, die Stilrichtung reicht von Swing bis Hardbop, von Blues über Latin und Funk bis Crossover und Avantgarde. Nur der Donnerstag ist heilig. Nicht im Sinne des Herrn, sondern für die regelmäßige Jam Session.

Dann buckeln vor allem junge Leute, viele von ihnen Studenten an der Hochschule für Musik und Theater, ihre Instrumentenkoffer mit Saxophonen, Trompeten und Gitarren den steilen Niedergang zum Birdland hinunter und warten darauf, daß sie in die Session einsteigen dürfen. Die erste Stunde gehört immer einem festgebuchten Quartett, das den Abend eröffnet. Erst dann werden die einzelnen Instrumentalisten von "Einsteigern" abgelöst.

Längst ist die Jam Session im Birdland zu einer Institution in der Stadt geworden. Bis zu 150 Musiker und Zuhörer kommen jeden Donnerstag in den Eimsbütteler Club. Dieter Reichert hat hier am Saxophon selbst so manche Jam Session bestritten, genau wie seine Söhne Ralph (ebenfalls Saxophonist) und Wolff. Der setzte sich schon als 14jähriger hinters Schlagzeug, wenn kein anderer Drummer auftauchte.

Aber diese Zeiten sind angesichts des großen Zulaufs lange passe. Im Birdland hat der Jazz in Hamburg eine Nische gefunden, dank des Enthusiasmus, mit dem Familie Reichert ihren Kellerclub betreibt. "Geld läßt sich mit einem Live-Club nicht verdienen", sagt Dieter Reichert. Atmosphäre ist für ihn das Wichtigste. So wie damals bei Jason Moran. Wenn das Publikum auf den Stühlen mitswingt und den Musikern hautnah auf die Pelle rückt, dann strahlt Dieter Reichert.