Da ist ein Rumoren. Wer wissen will, wie Pop- und Subkultur in Deutschland funktioniert, wie Hamburg tickt, wie die Suppe brodelt, der begebe sich in den Golden Pudel Club.

Hamburg. Direkt. Nicht über Los gehen, nicht anhalten bei Erlebniskneipen oder Kaffeehausketten. Wegen einer "Latte", deren Milch von Bamberg bis Bielefeld identisch aufgeschäumt wird, zieht niemand an die Waterkant. Wegen des Pudels schon.

Und dann ist der, der dem Ruf gefolgt ist, erstmals da, an dieser Bretterbude. Unten am Fluß, unten am Hafen. Im Sommer 1997 etwa. Der Wind weht lau über die Balduintreppe, die beim Fischmarkt 27 gen Kiez emporklettert. Auf den Stufen: Hängertypen mit Sportsachen und Party-Queens in Secondhand-Mode. Pisten-Touristen treffen auf bewußt nachlässig gekleidete Avantgardisten. Die Pudel-Gänger beäugen sich gegenseitig, durchaus kritisch. Aber der Blick auf Elbe und Kräne, mit Bierknolle oder Sekt, eint die Geschmäcker eine Weile.

Plötzlich kommt Bewegung in die Menge. Hinterm Haus passiert was. Auf einer Böschung stehen zwei Männer und erzeugen mit Keyboards und Kinder-Instrumenten schräge Melodien. Ein Spontanauftritt. Typisch Pudel. "Zwei große Jungs machen Quatsch", sagt eine Frau im Sixties-Look. Sie meint die Betreiber des Ladens. Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun. Der Dandy und die Fresse. Der Musiker Schamoni, auch Autor ("Dorfpunks"), der selbst im Trainingsanzug Glamour ausstrahlt. Und Kamerun, Kopf der "Goldenen Zitronen", der gerade an der Berliner Volksbühne inszeniert, mit seiner munter-verschrobenen Mine. Ein Gesicht zum Sattsehen.

Spätestens seit sie 1994 mit Kompagnon Norbert Kahl den einstigen Schmugglerknast unter das Signet des Vierbeiners stellten, sind sie so etwas wie die Kultursenatoren des Untergrunds. Von Punk über Rock bis zu Reggae und HipHop reichen die Stile, die live oder als DJ-Set ertönen. Doch was den Club ausmacht, ist nicht bloß das Programm.

Daß sich Konzerte im Pudel zu einem euphorischen Konzentrat verdichten können, liegt nicht zuletzt an der Größe. Der schmale, L-förmige Raum beherbergt im Winkel eine Mini-Bühne. Das Publikum tanzt um die Ecke, etwa zum House des Duos Egoexpress. Leib an Leib ein einziges Wogen. Die Klamotten naß vor Schweiß. Die Musik dröhnt. Im Klo, einem Edding-Inferno mit wenig schmink-kompatiblem Spiegel, steht das Wasser. Luft gibt's nur draußen, im Biergarten, einem Mix aus Litfaßsäule und Laube.

"Der Pudel versucht die Extremität. Wir wollen unerwartet bleiben", erklärt Kamerun. Das Konzept: Gekonnt neben der Spur liegen. Und nicht krampfhaft nach Erfolg schielen. "Unsere Ausrichtung ist unkommerziell", betont er. Keine Türsteher, kein Dresscode. "Im ersten Jahr haben wir ein bißchen was verdient - bis uns einfiel, daß wir die Steuer vergessen hatten." Die Ästhetik von Sperrholztheke und Filzstift-Flyern zitiert zwar den Punk. Doch daß auch die eigene Klientel mit Ironie bedacht wird, zeigten bereits die Vorläufer des Pudels.

In den späten 80ern veranstalteten Kamerun und Schamoni in der Lincolnstraße "Nachtschwärmer-Flohmärkte" - mit Ware aus einer aufgelösten Boutique. "Ziemlich schicke Sachen aus den 70ern. Damit sind wir lange vor dem Schlagermove zu Hafenstraßenzeiten rumgelaufen. Quasi der Punk im Punk", so Kamerun.

An den Kampf um besetzte Häuser erinnern heute nur noch Wandgemälde. Der ruhiger gewordene Hafen zieht Menschen an. Alle wollen das Elbpanorama, aber aus unterschiedlicher Perspektive. Eine Initiative aus Anwohnern und Künstlern schuf mit "Park Fiction" für jeden zugängliche Grünflächen. Zudem entstehen in Kooperation mit dem Pudel ein Amphitheater und öffentliche Toiletten. Wenige Meter vom Club entfernt hat mit den Riverkasematten im Juli ein Nobelrestaurant eröffnet. "Das ist schon eine provokante Situation, mit was für einem Geld das daherkommt", meint Kamerun.

"Der große Charme des Pudels ist, daß er drinnen immer noch so abgefuckt aussieht", findet Kerstin (30), zu Gast bei der "Nappo-Nacht der Moneten". Entspannte Beats brutzeln in der Ecke. Kurz vor Mitternacht gucken die handgemalten Pudel auf wenige Leute. Die Hochphase ist später. Christian Harder wartet noch auf Kundschaft. Keine gewöhnliche Tresenkraft. Der Spezialist für technoide Sounds gehört zur Crew von "Musick For Our Children" (MFOC), der sonntäglichen Elektronik-Reihe. Auch so ein Pudel-Phänomen: Viele der Ausschenkenden sind Musiker - früher reichte Frank Spilker von "Die Sterne" die Getränke, derzeit unter anderem Victor Marek und DJ Pattex, die in der Band des Hamburgers Knarf Rellöm spielen.

Eine Szene, die selbst Magazine wie die "Gala" anlockt - in der Hoffnung, im Pudel Trends ablesen zu können. Den Machern selbst ist solch ein Tableau eher unangenehm. "Anfangs wurden wir als das gehypt, was später als Easy-Listening-Welle bekannt wurde. Und das nur, weil unsere DJs zwischen den Songs Ansagen gemacht haben", sagt Kamerun.

Der Wandel im Pudel ist stetig. Neben dem Eingang erinnert ein Schild an den Tod von Mitinitiator Kahl. Kamerun und Schamoni werden nun von Dr. Wolf Pommes unterstützt. Längst ist der Club zur Marke geworden - mit eigener Sampler-Serie und Tourneen durch ganz Deutschland. Damit das Rumoren weitergeht.