Ratternd fährt die S-Bahn über die “Sternbrücke“ am Schnittpunkt von Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße. Die halbleere Astra-Flasche klappert auf dem Tisch, als John Schierhorn und Gerald Steyr gerade anfangen wollen zu erzählen. Wie das so war. Damals, im Frühjahr 2003. Als ihr Klub Waagenbau unter der Sternbrücke noch leerstehend vor sich hinrottete.

Hamburg. "Wir wollten eigentlich nur gegenüber 'n Happen essen, als wir den Zettel sahen: ,Altonaer Waagenbau. Wir ziehen um!'" erzählt Schierhorn. "Da wollten wir unbedingt rein. Diese runden, organischen Kasematten waren eigentlich wie gemacht für einen Klub." Schierhorn und seine Kumpels Gavin Gadesmann und Frank Meyer, damals Studenten, bearbeiteten den Vermieter so lange, bis sie und nicht einer der "ungefähr 30 weiteren Interessenten" den Zuschlag kriegten. Gerald Steyr, ebenfalls interessiert am Waagenbau, wollte sich "die Typen, die mir den Laden weggeschnappt haben, mal ansehen" und stieg letztlich ins Team ein.

Die Lage des "Baus" war mehr als günstig. Weitere Klubs wie die Astra-Stube, Kir (jetzt in Ottensen), Fundbureau und 13. Stock sowie das Schulterblatt mit seiner Kneipenszene lagen in unmittelbarer Nähe. Für musik- und partyaffines Volk war gesorgt, und Kontakte zu Musikern und Veranstaltern, zum Beispiel der "Eimsbush"-HipHop-Gemeinde, waren bereits vorhanden. Was fehlte, war Kapital.

"Durch einen Tip eines Freundes landeten wir bei einer Antiquitäten-Auktion. Da räumten wir lasterweise Möbel für . . . ach, fuffzich Euro das Stück ab, sicherten uns die schönsten Stücke fürs Klub-Inventar und verhökerten den Rest über Annoncen mit Gewinn weiter. Kapitalismus? Na, klar!" Schierhorn grinst.

Das "uncoole" Thema Buchhaltung wurde artig beachtet, erste Testpartys liefen mit Erfolg, und nach dem "üblichen Behördenwahnsinn" eröffnete der Waagenbau im März 2003 offiziell - und wurde aus dem Stand zu dem Schanzenklub. "Anfangs improvisierten wir viel, steckten die Gewinne in neue Technik und Ausstattung, ein Prozeß, der heute noch nicht beendet ist", sagt Schierhorn. Auch Sponsoren mußten an Land gebracht werden. "Ein unpopuläres Thema, aber ohne geht es nicht."

Und warum funktioniert der Waagenbau in einer Szene, die Neues oft und gerne ignoriert? "Zum einen die Lage als Alternative zum Kiez, dann das Programm von HipHop über Drum 'n' Bass bis Reggae und Elektro. Wenn wir oder befreundete Veranstalter Spitzen-DJs buchen, dann binden wir sie in unsere Partyreihen, zum Beispiel ,Fightclub' oder ,hoch10', ein. Die HipHop-Reihe Mixtape Lounge zum Beispiel ist so zu einer Marke geworden. Dienstags, am eigentlich schwächsten Klubtag der Woche!"

Aber Erfolg kann doch keiner planen, oder? "Nö. Aber guck dich mal um!" Das Publikum im Waagenbau ist extrem locker, kaum Stöckelstiefel, zwei Stunden vor dem Spiegel standen die wenigsten. "In den Waagenbau kommt keiner, um nur die neueste Handtasche auszuführen. Im Waagenbau bleibt keiner vor der Tür, weil er die falschen Schuhe anhat. Sondern hier geht rein, wer einfach tanzen will, und wenn jemand auf dem Sessel einschläft, wird er nicht rausgeworfen, sondern respektiert. Denn er hat gefeiert, und dafür hat er bezahlt."

Apropos feiern. Bei nahezu täglichen Partys und Konzerten, brennt man da nicht aus? "Morgens beim Aufräumen spüren wir immer noch förmlich den Beat, riechen den typischen Klubgeruch von Staub, Mörtel und abgestandenem Bier. Wenn das kein Lebenselixier mehr ist, sollte man sofort aufhören." Aber das wird anscheinend noch eine Weile dauern. Gerade im Sommer entstand neben dem Waagenbau der "Central Park" als Biergarten-Beachklub-Mischung. "Waagenbau fm", die Zusammenarbeit mit Tide 96.0 MHz, bei der Waagenbau-Nächte live im Radio übertragen werden, soll ausgebaut, weitere Top-DJs gebucht werden: "Es ist einfach unglaublich, hier Superstars wie Felix Da Housecat zu Gast zu haben, auch wenn die Gagenforderungen in dieser Liga immer ein Risiko sind."

Und so bleibt der Waagenbau auch weiterhin eine Baustelle, die sich immer noch weiterentwickelt, für Gäste, die einfach nur tanzen wollen. Steyr: "Wir haben noch einiges vor. Schalt mal dein Diktiergerät aus" . . . Ja. Da geht noch so einiges! Und immer wieder rattert die S-Bahn über die Sternbrücke, aber das hört keiner mehr. Die Astra-Flasche klappert längst vom Beat der nächsten Party.