Manchmal, wenn ein besonders schwer beladener Brummi auf der Stresemannstraße vorbeirumpelt, klirren die Scheiben des Hauses Nummer 114 ein wenig vorwurfsvoll. Und rattert eine S-Bahn über das Dach hinweg, seufzt gleich das ganze Gebäude.

Hamburg. "Die Ecke hier ist echt ein Alptraum", sagt Ute Draxl lachend, aber sie hört sich nicht so an, als wenn sie es wirklich furchtbar findet. Kein Wunder: Hier, inmitten des Bermuda-Dreiecks an der Sternbrücke, hat sie ihr Herz verschenkt an ein verwinkeltes Gebäude, das noch immer den Namen seiner ursprünglichen Bestimmung trägt: Fundbureau.

Wenn abends die Bässe aus den Boxen tönen, fügt sich die externe Lärmkulisse erstaunlich harmonisch in die differenten Soundwelten des ungewöhnlichen Clubs ein. Obwohl "Club" eigentlich nicht die treffendste Beschreibung für das Fundbureau ist, das sich seit seinen Anfängen vor gut acht Jahren immer mehr als Kulturzentrum etabliert hat. So kommen im ehemaligen Fundbüro der Deutschen Bahn nicht mehr vergessene Regenschirme und Reisetaschen unter den Auktionshammer, sondern statt dessen Ausstellungen, experimenteller Punkrock, Kunst-Happenings und Benefizaktionen auf die Bühne. "Avantgarde" lautet die leitende Maxime, und so wurde bei den Zusammenkünften auch schon mal mit eigens dafür fabriziertem Gerät finsterer "Voodoo zur Entkapitalisierung der Stresemannstraße" betrieben.

Bis heute liegt der Fokus des Fundbureau auf einer lebendigen Subkultur, die keine Schwellenängste kennt, weder auf Sounds, Stile noch Generationen bezogen: Russischer Folklore des Datscha-Projekts wird hier genauso der Boden bereitet wie sonnigen Surfsounds der Pulp-Fiction-Helden The Surfaris, HipHop-Youngsters finden ebenso ihren Weg hierher wie Jazz-Fans älteren Semesters, die vorab auch schon mal telefonisch anfragen, ob sie eine eigene Sitzgelegenheit mitbringen dürfen.

Anders als zu Gründerzeiten definiert sich das Fundbureau mittlerweile vor allem über seine Ausrichtung als Live-Club, womit gerade nicht etablierten Bands eine Nische geboten werden soll. Von Belang ist dabei stets ein gewisser Lokalbezug. Und so werden internationalen Musikern oftmals Hamburger Acts zur Seite gestellt. Dadurch erhalten die Konzerte zumeist einen gewissen Festival-Charakter, denn selten stehen an einem Abend weniger als drei Bands auf der Bühne. Daß sich das Fundbureau dabei immer wieder als Heimstätte für Kuriositäten beweist, läßt sich unschwer an klangvollen Bandnamen wie Locas in Love & der Kartenhund, Cosmic Tribe und Sofastrahlt oder - ein echtes Highlight - The Flying Luttenbachers & Chickennoisette Splat 'n' Death Boutique nachvollziehen.

Aber als erster Club am Ort - schließlich etablierte sich das Fundbureau, lange bevor Astra-Stube oder Waagenbau das Altonaer Pflaster für sich entdeckten -, als Kulturzentrum mit Initiativrecht also, ist ein wenig Exzentrik durchaus vertretbar. Draxl nennt das "vielgesichtig" und betont, daß das Programm halt "nix zum Berieseln" sei. Und daher können auch im Party-Kontext verschiedenste Veranstaltungen koexistieren: Der erste Sonnabend im Monat gehört der Blaxploitation-Bagage und ihrer Freude am Funk, an jedem zweiten Sonnabend ist fortan die HipPonk-Truppe mit Sixties und Garage-Rock zugange. Dazwischen gibt es mal Jazz mit der Kaffeehausavantgarde, polysexuelle Tanzharmonien von der Bitsy-Crew oder sportliche Sounds mit dem Ballsportkombinat Amüsierabend.

Zu Weihnachten vor zwei Jahren wäre es allerdings fast vorbei gewesen mit dem Spaß unter der Sternbrücke: Ein Feuer beschädigte einen Großteil der Inneneinrichtung: "Da haben wir uns ernsthaft gefragt, wie und ob wir weitermachen können, aber das Fundbureau ist ein absoluter Herzblut-Laden", sagt Ute Draxl und lächelt. "Das haben wir einfach nicht über uns gebracht."

Der letzte Satz geht ein wenig im Getöse des nächsten 24tonners (Schweinehälften) unter. Verstehen kann man sie trotzdem ganz gut. Mit dem Herzen.