Hamburg. Voll besetztes Koralle-Kino in Volksdorf: Bürgermeister diskutiert ÖPNV und Rambo-Radler – und wirkt teilweise wie ein Stand-up-Comedian.

Immer wieder werden die elf Reihen des Koralle-Kinos in Volksdorf durchgezählt, Menschen kommen in den Saal und fragen nach freien Sitzen, Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) und die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Regina Jäck werden kurzerhand zu Platzeinweisern: Die Vorstellung ist voll ausgebucht.

Am Montagabend (12. November) flimmert nicht wie sonst ein Kinostreifen über die Leinwand, auch öffnet sich der Vorhang nicht. Der typisch klingende Gong bleibt aus, stattdessen betritt der Erste Bürgermeister Hamburgs,, Peter Tschentscher (SPD), die Bühne. „Ist ja ganz gemütlich hier“, sagt Tschentscher zu Beginn, „man müsste nur noch Popcorn verteilen.“ Damit erntet er den ersten Lacher des Abends – doch nicht alle Bürgerinnen und Bürger sind so wohl gestimmt.

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„Es ist eine Bürgersprechstunde in bewegten Zeiten“, sagt Dressel. Der Abend im Koralle Lichtspielhaus ist der dritte Termin von Tschentschers Gesprächsreihe. Vor Ort möchte er erfahren, welche Themen die Menschen im Bezirk Wandsbek interessieren, wie die Stimmung ist.

Peter Tschentscher im Koralle Kino in Volksdorf
Peter Tschentscher stellt sich im Koralle-Kino in Volksdorf den Sorgen und Fragen der Bürgerinnen und Bürger. © privat | Marlen Schubert

Abgefragt wird diese mit einem digitalen Barometer, bei dem die rund 150 Gäste mit ihren Smartphones ihre Stimme abgeben können. „Das kann man ja gleich zu Hause machen“, sagt ein Besucher. Tschentscher fragt: „Klappt das mit dem Handy?“ – „Nee“, ruft ein Bürger.

Auch wenn sich nur knapp 30 Besucher für die QR-Code-Variante entschieden haben, brennen die Themen Mobilität und Verkehr den meisten unter den Nägeln – wie auch die Abendblatt-Umfrage zeigte.

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Dass dieses Thema polarisiert, spürt man schon zu Beginn. Vor dem Kino verteilt eine Bürgerinitiative Flyer und eine von den Bahnexperten Dieter Doege und Jens Ode verfasste Studie zu einer „S4neo“. Ihr Anliegen: Die im Bau befindliche S-Bahn-Linie S4 solle nur bis Rahlstedt gebaut werden. Im Kinosaal kommt die Sache jedoch nicht zur Sprache – wohl auch, weil die Mitglieder von Bündnis Volksdorf zu weit auseinandersitzen.

Tschentscher widmet den Großteil der Zeit an diesem Abend dem Thema Verkehr, setzt mit „Jahrhundertprojekten“ wie der U5, der S32 und der S4 auf eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, um Alternativen zum Auto zu schaffen und langfristig Staus zu vermeiden.

Das Ziel ist, das Autofahren nicht zu verbieten, sondern Alternativen so attraktiv zu gestalten, dass Menschen freiwillig auf den ÖPNV umsteigen, besonders für die „letzte Meile“. Geplant sind autonome Shuttles, die jederzeit verfügbar sein sollen und eine Lösung für den Fahrermangel bieten könnten.

„Zu Anfangs ist es echt ein bisschen gespenstisch“, sagt Tschentscher, der autonomes Fahren bereits in San Francisco getestet hat, „aber nach ein paar Minuten merkt man, dass es funktioniert“. Bedenken haben auch einige Bürgerinnen und Bürger: „Ich habe gar kein Smartphone. Wie kann ich einen Fahrer bestellen?“ Für solche Fälle müsse man telefonische Lösungen finden, so der Erste Bürgermeister.

Peter Tschentscher will gegen „Rambo-Radler“ vorgehen

Zusätzlich werde die Fahrrad-Infrastruktur kontinuierlich ausgebaut, um ein sicheres und durchgängiges Velorouten-Netz zu schaffen, wobei Konflikte zwischen Radfahrern und Fußgängern minimiert werden sollen. Polizeikontrollen sollen dabei gegen regelwidriges Verhalten von „Rambo-Radlern“ vorgehen. Der Radverkehr habe sich seit dem Ausbau zwar verdoppelt, Hamburg könne aber nicht über Nacht wie Amsterdam und Kopenhagen werden, so Tschentscher.

Der Holon Mover ist der erste autonome Bus, der bald durch Hamburg rollt.
Der Holon Mover ist der erste autonome Bus, der bald durch Hamburg rollt. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

„Sie müssen Ihren Bezirksämtern auf die Füße treten“, meldet sich ein Bürger zu Wort. Es gebe Straßen, die als Velorouten ausgewiesen, aber dann zweckentfremdet würden. „Das ist eine Unverschämtheit.“ Tschentscher bittet ihn, seine Sorge noch mal per E-Mail zu schicken, betont aber auch: „Ich will nicht versprechen, dass wir das alles wegorganisiert bekommen.“

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Was Tschentscher jedoch „hinorganisiert“ bekommen habe, seien kostenlose Angebote wie Ganztagsbetreuung, Kitaplätze und Schülertickets. „Das begrüße ich sehr“, sagt eine Bürgerin, „aber Sie haben die Rentner vergessen“. Für Rentnerinnen und Rentner mit geringem Einkommen gebe es ein Sozialticket für 19 Euro, für alle, die keine Sozialleistungen erhalten, Wohngeld. Tschentscher behalte das Thema im Blick, verweist bei den großen Sorgen aber immer wieder auf seine E-Mail.

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Daneben gibt es immer mal wieder humorvolle Momente, teilweise erinnert der SPD-Politiker an einen Stand-up-Comedian – etwa bei seinen Aussagen über die wirtschaftliche Lage der Hansestadt. So sei die Wirtschaftsleistung pro Kopf in Hamburg am höchsten, Bayern liege auf dem dritten Platz. „Und das, obwohl Söder immer behauptet, er würde alle finanzieren.“ Tschentscher hat noch einen Gag parat: „Wir haben die gleiche Wirtschaftskraft wie Singapur, und wenn wir nicht alles abgeben müssten, wären wir auch so reich wie Singapur.“

„Das war Hochglanz der SPD“, sagt Olaf Jeschkowski, ein Mitglied der Bürgerinitiative, nach der rund zweistündigen Veranstaltung. „Eine reine Werbeveranstaltung“, betont sein Sitznachbar. Der Wahlkampf hat wohl begonnen – Popcorn wäre trotzdem nicht schlecht gewesen.