Hamburg. Mal ist Feueralarm, mal rückt der Pianist Daniil Trifonov dem Flügel mit der Zange zu Leibe: Was in einem Konzert alles passieren kann.

  • Es gibt viele Gründe, aus denen eine Aufführung in der Elbphilharmonie gestört werden kann, von Klimaklebern bis zu Lüftungsproblemen.
  • Gute Musik kann fordernd sein. Zu fordernd. So dass Menschen den Saal verlassen, hörbar.
  • Sogar Decken hat das Konzerthaus in Hamburg einmal auf die Sitze gelegt.

Auch im – zumindest aus Hamburger Sicht – berühmtesten Konzerthaus der westlichen Hemisphäre läuft nicht immer alles rund. Erst vor wenigen Tagen wurde eine Aufführung des NDR Elbphilharmonie Orchesters von Bruckners Achter unterbrochen, weil ein Brummen den Kunstgenuss störte. Der Dirigent verließ die Bühne. Es war der jüngste Vorfall in einer Reihe skurriler Ereignisse im Großen Saal der Elbphilharmonie, die wir hier einmal zusammengetragen haben.

Skurrile Vorfälle und Unterbrechungen in Hamburgs berühmtestem Konzerthaus

Das Haus war gerade eröffnet, draußen war Sommer, drinnen gab es ein Jazzkonzert des als Filmregisseur weltberühmt gewordenen, ob möglicher pädophiler Umtriebe in Verruf geratenen und nebenher auf der Klarinette dilettierenden Woody Allen. Plötzlich stürmten zwei junge Frauen die Bühne, reckten die Arme in die Luft und riefen etwas. Oben herum bedeckte sie nichts als ein Schriftzug. Nach einigen Minuten wurden sie von der Bühne gezerrt, das Konzert ging weiter. Hinterher wurden vor dem Eingang zum Konzerthaus Flyer verteilt, die die Aktion erklärten: Die Frauenrechtsgruppe Femen wollte „den Opfern sexueller Gewalt eine Stimme verleihen“.  

Aber bisweilen flieht auch das Publikum aus dem Saal. Obwohl es ja Zeiten gab, lange vor der Pandemie, als es für Normalsterbliche fast unmöglich schien, überhaupt hineinzukommen in den Glaspalast an der Hafenkante. Wer auch nur eine leise Chance sah, ergriff sie natürlich. Was gespielt wurde? Egal. Nur ist es ja so: Gute Musik kann fordern, sogar anstrengend sein, der Wohlfühlfaktor gehört eher nicht zu den obersten Qualitätskriterien. Gerade beim Jazz ist die Bandbreite zwischen Fußwipp-Grooves und einem hochintellektuellen Austausch der Mitwirkenden immens. So kam es, dass im November 2018 während eines Konzerts des Pianisten Vijay Iyer samt Sextett die Menschen den Saal fluchtartig zu Hunderten verließen. Was natürlich für Unruhe sorgte und bei den Zurückbleibenden für ein Fremdschämen gegenüber den Künstlern. „Saaltouristen“ lautete die resigniert-entrüstete Zuschreibung derjenigen, die um der Musik willen gekommen waren.  

Moderator überspielt Rauschen der Klimaanlage in der Elbphilharmonie mit Humor

Ein anderes Mal rettete der Moderator die Situation. Michael Becker, der im Juni 2019 in der ProArte-Reihe „Faszination Klassik“ durch den Abend mit der Pianistin Yuja Wang und dem Orchestre Philharmonique de Luxembourg führte, hatte die Lacher auf seiner Seite. Das hohe Rauschen, mit dem die Klimaanlage Tschaikowskys „Burja“ garnierte, eine Sinfonische Dichtung nach Shakespeare, erklärte er augenzwinkernd so: Schuld sei der wilde Geist Caliban, ein Geschöpf des englischen Dichters. Derart besänftigt, hörte das Publikum über das Geräusch hinweg. Bis irgendwann jemand die Technik abgeschaltet haben musste, denn am Ende des Konzerts war es merklich warm geworden im Saal. Was den Kunstgenuss nicht schmälerte.

Mit dem Abflauen der Pandemie kamen, wie wir wissen, reichlich neue Aufreger. Zu den erfrischenderen gehörten bisweilen die Aktionen junger Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Auch in der Elbphilharmonie: Zwei Mitglieder der Letzten Generation klebten sich im November 2022 unmittelbar vor Beginn eines Konzerts der Sächsischen Staatskapelle Dresden am Geländer des Dirigentenpults fest. Die beabsichtigte Störung war allerdings bald vorbei, denn Mitarbeiter des Hauses zogen kurzerhand das Gestänge aus dem Podest und entfernen es samt den daran festklebenden jungen Leuten aus dem Großen Saal.

Elbphilharmonie
So ein Maimorgen kann ganz schön frisch sein: Fast eine Stunde warteten Publikum und Ausführende vor dem Haus, bis das Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters weitergehen konnte. © HA | Michael de Lukowicz

Brandalarm in der Elbphilharmonie: Warum Kent Nagano die Uraufführung erst einen Tag später zu Ende brachte

Im Mai 2024 führte ein Brandalarm dazu, dass der Große Saal evakuiert wurde. Im Saal dirigierte Kent Nagano gerade die Uraufführung des Auftragswerks „Im Dunkel vor der Dämmerung“ von Vladimir Tarnopolski, da erschnupperte im Foyer von Etage 13 jemand Rauchgeruch. Alle, Publikum und Ausführende, verließen das Gebäude und warteten eine knappe Stunde in der feuchtfrischen Frühjahrsluft, dann ging es mit Beethovens „Eroica“ weiter. Die vollständige Uraufführung folgte am nächsten Tag. Kleiner Kollateralschaden: Im Philharmonischen Staatsorchester hatten sich offenbar mehrere Musiker beim Warten vor dem Künstlereingang an der zugigen Wasserseite der Elbphilharmonie erkältet. Jedenfalls saßen beim zweiten Konzert ein paar weniger auf der Bühne als im Programmheft abgedruckt.

Feuer und Wasser, die Elemente machten es dem Konzerthaus nicht immer leicht: Im vergangenen September verbreitete sich während eines Konzerts der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen plötzlich Wassernebel in den Blöcken A und B. Die Brandlöschanlage der Elbphilharmonie war ausgelöst worden. Auch hier mussten alle Anwesenden Saal und Gebäude verlassen, die Feuerwehr rückte an, großer Bahnhof, allein: Es war offenbar ein Fehlalarm. Die Menschen durften gerade noch zurück, um ihre Mäntel aus der Garderobe zu holen, aber das Konzert wurde nicht zu Ende gespielt. Es war zwar schon in der Schlusskurve, aber das galt manchen nur als ein schwacher Trost. Prokofjews „Romeo und Julia“ hätten die allermeisten sicher gern noch einmal ganz gehört.

Störungsfreie Konzerte in der Elbphilharmonie

Elbphilharmonie mit Decken gegen Wasserschaden
Kuscheln mit Bruckner in der Elbphilharmonie? Nein, ein Schutz gegen feuchte Rücklehnen. © Marcus Stäbler | Marcus Stäbler

Und der Abend hatte einen Kollateralschaden zur Folge: Weil die Sprinkleranlage losgegangen war, war es an einigen Stellen ganz schön nass geworden im Großen Saal. Am nächsten Abend fanden die Besucherinnen und Besucher im vorderen Bereich farblich auf die Polster abgestimmte Überwürfe auf ihren Sitzen, gegen die Feuchtigkeit, die geblieben sein könnte. Bruckners Neunte, dargeboten vom Philharmonischen Staatsorchester unter Kent Nagano, eingekuschelt in Ikea-Decken – warum auch nicht?

Aber auch das Instrumentarium versagte mal den Dienst: Als der Pianist Daniil Trifonov beim NDR Elbphilharmonie Orchester mit Ravels Klavierkonzert G-Dur zu Gast war, schnarrte eine Saite mit. Dirigent Alan Gilbert unterbrach die Aufführung, er und Trifonov erklärten dem Publikum, dass es ein Problem gäbe und sie sich der Sache annähmen. Offenbar hatte sich im Innern des Flügels ein Stimmnagel gelöst. Trifonov versuchte zunächst, das Problem selbst mit einer Zange zu lösen, spielte dann aber doch lieber auf dem herbeigeschafften Ersatzflügel. Sie begannen den Ravel noch einmal von vorne. Der Flügel habe in weniger als zehn Minuten spielbereit auf der Bühne gestanden, sagt eine Sprecherin des NDR. Dennoch fand ein Konzertbesucher, die Panne trage nicht gerade zum Image des Hauses bei.

Wahrscheinlich muss man es ohnehin so sehen: Jede Unterbrechung mag im Moment des Geschehens kurios erscheinen, manchmal ärgerlich sein – aber hinterher ist solch ein Erlebnis immer eine gute Geschichte.

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