Hamburg. Mit der New Orleans Jazzband trat der Filmemacher in der Elbphilharmonie auf. Frauenrechtsgruppe protestierte auf der Bühne.
Urplötzlich stehen sie beim Konzert von Woody Allen und seiner New Orleans Jazzband auf der Elbphilharmonie-Bühne: Zwei junge Frauen mit nacktem, beschriftetem Oberkörper, die Unverständliches rufen, die Arme in die Luft recken und nur mit großer Mühe nach einigen Minuten heruntergezerrt werden können.
Aktivistinnen der Frauenrechtsgruppe Femen, die an die Vorwürfe gegen Woody Allen erinnern, er habe in den 90er-Jahren seine Adoptivtochter Dylan Farrow sexuell missbraucht. Das Publikum ist überrascht, verwirrt, irgendwann wird auch gebuht – worum es überhaupt geht, erschließt sich für viele erst später, als vor dem Konzerthaus Femen-Flyer mit einer Erklärung der Aktion verteilt werden. Man habe „den Opfern sexueller Gewalt eine Stimme verleihen“ wollen, heißt es darin.
Die Band hat es tatsächlich drauf
Und der Betroffene selbst? Sitzt währenddessen einigermaßen unbeteiligt auf seinem Stuhl in der Bühnenmitte und wartet auf den nächsten Einsatz. The show must go on, schließlich ist das hier ein Konzert. Sein Konzert. Und in dem geht es vor allem um ihn, den Mann mit der beigen Feierabend-Hose, dem bequemen Karohemd und der Kassengestellbrille. Um den Regisseur und Schauspieler Woody Allen, den Kino-Weltstar, der nebenbei auch noch Klarinette spielt.
„Ich bin überrascht, dass Sie gekommen sind, um uns zu sehen“, sagt der 81-Jährige bei einem der wenigen Momente, in denen er ans Mikro tritt. Und wenn man ihm eines gewiss nicht vorwerfen kann, dann eine Überschätzung seiner musikalischen Fähigkeiten. „Weil ich Filme mache, tolerieren die Leute meine Musik“, sagt er in Gelächter und Applaus hinein. „Eigentlich treffen wir uns nur so wie andere, die jede Woche einmal zusammen pokern.“
Karten für die Elbphilharmonie – kein Problem
Das allerdings stört an diesem ersten von zwei Elbphilharmonie-Abenden fast niemanden. Wer zwischen 30 und 200 Euro für ein Ticket bezahlt hat, der ist nicht unbedingt ein glühender Oldtime-Jazz-Fan und normalerweise Dauergast im Hamburger Cotton Club. Nein, der hat ordentlich ins Portemonnaie gegriffen, um einmal im Leben mit Woody Allen in einem Raum zu sein. Für manche Besucher bedeutet das leider auch, permanent Beweisfotos zu knipsen oder Videos aufzunehmen.
Allen kann nur bedingt Klarinette spielen
Was gespielt wird, ist Nebensache, müsste es aber gar nicht sein, denn die New Orleans Jazz Band hat es tatsächlich drauf. Zwar kommt Schlagzeuger John Gill nie aus dem Ruhepuls-Modus und dürfte in den 90 Minuten etwa acht Kalorien verbrannt haben, doch der Rest der Band macht einiges her. Trompeter Simon Wettenhall und Posaunist Jerry Zigmont entwickeln Druck und können es auch lyrisch, Bassist Greg Cohen und Pianist Conal Fowkes halten den Laden am Laufen, Eddy Davis am Banjo sorgt für gute Laune und gelegentliche Tempoverschärfungen.
Alles gut bis hierhin, aber dann ist da eben noch Woody Allen. Der Star des Abends. Und der kann, man muss es so deutlich sagen, nur sehr bedingt Klarinette spielen.
Melodielinien sind von ihm jedenfalls so gut wie nie zu hören. Wärme und Leichtigkeit, die so viele seiner Filme auszeichnen: Fehlanzeige. Stattdessen werden die einzelnen Töne mit Druck herausgepresst. Es quietscht bisweilen, es sieht nach harter Arbeit aus. Und klingt auch so. Was besonders auffällt, wenn auf ein Klarinetten-Solo eines von Trompete oder Posaune folgt. Das ist, als träfe der Ergebnisfußball des HSV auf die Eleganz des FC Barcelona. Klassenunterschiede.
Eine normale Band würde die Klarinettisten-Stelle flugs neu ausschreiben, aber dies ist natürlich keine normale Band, sondern eine, die nur deshalb in Europa durch große Hallen tourt, weil Woody Allen auf der Bühne sitzt. Da kann die Qualitätskarte nicht gezogen werden.
Stimmung bleibt zugewandt-freundlich
Dass die Stimmung trotzdem durchgehend zugewandt-freundlich bleibt, liegt neben dem Starfaktor auch an der sanft einlullenden Wohlfühlmusik, der man stundenlang zuhören kann, ohne dass sie je stören würde. Und gegen Nummern wie „Sweet Georgia Brown“ oder „I Love You Sweetheart Of All My Dreams“ ist ja auch wirklich nichts zu sagen. Klassiker aus längst vergangenen Tagen, denen Allen mit Filmen wie „Radio Days“ oder „Zelig“ ein filmisches Denkmal gesetzt hat. Musik zum dezenten Mitwippen und Mitklatschen, Urlaub vom Alltag.
Als nach insgesamt anderthalb Stunden und zwei Zugaben Schluss ist, brandet der größte Applaus des Abends auf – nicht für die Musik, sondern für Allen, der noch einmal allein herausgekommen ist, etwas verschüchtert am Rand der Bühne steht und sich bedankt. Ein echter, unverstellter Moment, einer der hängen bleibt, an diesem doch speziellen Abend. Den anderen haben die Femen-Aktivisten da längst auf ihrer Facebook-Seite online gestellt.