Hamburg. Die Trompeterin gab mit dem Orchestre de Chambre de Paris ein beeindruckendes Konzert. Eine besondere Überraschung war die Zugabe.

Manchmal, wenn Lucienne Renaudin Vary ihre Trompete hoch in den „Elbphilharmonie-Himmel“ hielt, dann erinnerte sie an die musizierenden Engel, die es auf alten Gemälden zu sehen gibt. Außerdem hat die 25 Jahre alte Musikerin aus Frankreichs Westen langes gelocktes Haar, trug einen bodenlangen schwarzen Rock, eine rotgoldene Bluse. Fehlte nur noch der Heiligenschein.

Denn dieser blutjunge Trompeten-Star spielte tatsächlich wie ein Engel. Bei ihrem Gastspiel mit dem Orchestre de Chambre de Paris präsentierte sie ein spannend-variables Programm von Bach bis Jazz. Doch egal, was Lucienne Renaudin Vary spielt: Wenn sie ihre Trompete an die Lippen setzt, dann kommen da nicht nur einfach wunderschöne warme, dynamisch und farblich feinst abgestufte Töne heraus. Dann steht da jemand, der etwas zu sagen, der Charisma hat. Dann strömt Wahrheit in ihrem Atem aus ihrer Lunge, über ihre Lippen in das rund 1,30 Meter lange, aber ellipsenartig gebogene Instrument. Musik, Körper, Trompete scheinen zu verschmelzen. Das geht ins Herz. Da war es nicht mehr wichtig, dass drei der vier Werke des Programms keine Original-Trompeten-Kompositionen waren – bis auf das Trompeten-Konzert von Johann Nepomuk Hummel –, sondern Arrangements.

Lucienne Renaudin Vary in der Elbphilharmonie in Hamburg: Als würde ein Engel Trompete spielen

Zu Anfang ein Orchester-Solo: Mozarts „Pariser Sinfonie“, frisch, rhythmisch angespitzt serviert vom Orchestre de Chambre de Paris, energetisch von Deborah Nemtanu vom ersten Geigenpult aus geleitet. Dann entstand mit den ersten Trompetentönen bei Bachs Alt-Arie „Erbarme dich“ aus der Matthäus Passion gleich ein Zauber. Stille und Spannung im Saal. Die Intensität und Zärtlichkeit ihres Pianissimo muss Lucienne Renaudin Vary erstmal jemand nachspielen. Auch das Legato, die eng verbundenen Töne. Dazu transportierte sie die melancholische Melodie über dem vom Orchester zart pulsierend gezupften Streicher-Bass mit großer Eindringlichkeit.

Das anschließende Konzert Es-Dur von Hummel ist ein Trompeten-Klassiker. In einem Interview erzählte die Solistin, dass sie es schon mehr als 100-mal gespielt habe. Aber keine Spur von Routine war da zu hören, im Gegenteil: Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, nicht die geringste Anstrengung bei den flockig perlenden virtuosen Läufen und Fanfaren. Das hatte Eleganz und Noblesse. Noch dazu brauchte Lucienne Renaudin Vary keine Show-Mätzchen. Sympathisch!

Lucienne Renaudin Vary wärmt mit ihrem Trompeterklang die Seelen

Mit Charme und Schmunzeln, aber auch nachdenklicher Innenschau kamen dann die Arrangements von Dvoráks Slawischem Tanz e-Moll op. 72 und Fritz Kreislers Marche miniature viennoise daher, der erste mit melancholischer Note, der zweite mit karikaturistisch-grotesken Anklängen, aber auch Wiener Charme. Die Arrangements hat Cyrille Lehn Lucienne Renaudin Vary auf den Leib geschrieben. Die Trompete kann strahlen, lachen und weinen, und die ausdrucksstarke Musikerin wärmt damit die Seelen.

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Nach einem weiteren Orchester-Solo – passend: Tschaikowskys populäre weihnachtliche Nussknacker-Suite, deren Farbigkeit die großartigen Bläser des Orchestre de Chambre de Paris gekonnt umsetzten – kam Lucienne Renaudin Vary zu einer Jazz-Zugabe („Have Yourself A Merry Little Christmas“) nochmals auf die Bühne, auch das kann die faszinierende Künstlerin. Großer Jubel in der Elbphilharmonie.

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