Hamburg. Werke von Grädener, Brahms und Schönberg standen in der Elbphilharmonie auf dem Programm. Was das Konzert so außergewöhnlich machte.
Das für dieses Jahr letzte Konzert der Hamburgischen Vereinigung von Freunden der Kammermusik am Sonntag im Kleinen Saal der Elbphilharmonie begann mit dem Streichquartett eines Hamburger Komponisten der Spätromantik, der seine Heimatstadt genau wie der elf Jahre ältere Johannes Brahms früh verlassen hatte, um in Wien ein neues Zuhause zu finden. Doch die Musik des erst 1929 gestorbenen Hermann Grädener, der in der Musikmetropole an der Donau zum Freundeskreis von Brahms gehörte und sogar als Nachfolger von Anton Bruckner als Theorielehrer an der Universität lehrte, geriet schnell in Vergessenheit.
Dass sein großartiges Streichquartett d-Moll op. 33 nun von einem wahrhaft exklusiv besetzten Kammermusikensemble endlich einmal wieder zu hören war, ist dem Umstand zu verdanken, dass es am 18. März 1902 in Wien just in jenem Konzert gespielt wurde, in dem Arnold Schönbergs frühes Streichsextett „Verklärte Nacht“ zur Uraufführung gelangt war. Anlässlich des 150. Geburtstagsjubiläums von Arnold Schönberg in diesem Herbst hatten die beiden Violinisten Ilya Gringolts und Franziska Hölscher, die Bratschisten Gregor Sigl und Lily Francis und die Cellisten Clemens und Julia Hagen beschlossen, das historische Programm eins zu eins zu wiederholen.
Elbphilharmonie: Exklusives Ensemble, großartige Hörerlebnisse
Mit welcher Klangintensität Gringolts, Hölscher, Sigl und Clemens Hagen schon das Grädener-Quartett zu einem Hörerlebnis machten, war einzigartig. Nach einem fast attackenartigen Einstieg wanderte das kurze Motiv kontrastiert von einem ergreifenden lyrischen Thema in einer Vielzahl von Abwandlungen durch einen hochdramatischen Kopfsatz. Dass Grädener den großen Brahms, aber auch den Tschechen Antonín Dvořák zum Vorbild hatte, war zwar nicht zu überhören, aber die aparte Harmonik im Adagio und das pfiffige Scherzo mit seinem drängend voraneilenden ersten Teil und einem bewegend kantablen Mittelteil nahmen unmittelbar gefangen.
Im Streichquintett F-Dur op. 88 von Johannes Brahms, wo Lily Francis die zweite Viola und Julia Hagen anstelle ihres Vaters Clemens den Cellopart übernahmen, dominierte in den ersten Takten zunächst die tiefe Lage, bevor Hölscher und Gringolts sich mit einer enormen Klangschönheit davon absetzten, mit gröberen Strichen aber oft Steigerungen anzutreiben hatten. Wunderbar war es, wie Gringolts kurz vor dem Satzende eine Phrase in höchster Höhe abnahm oder wie er mit Hölscher gemeinsam das frech springende Thema des Allegretto vivace im dritten Satz zelebrierte.
Höhepunkt des brillanten Kammermusikabends war Schönbergs „Verklärte Nacht“
Ein echter Höhepunkt dieses brillanten Kammermusikabends war aber Schönbergs „Verklärte Nacht“ am Ende, jenes programmatische Frühwerk des damals noch ganz tonal komponierenden Neuerers, der mit seiner Zwölftonmusik sein Publikum später in Angst und Schrecken versetzen sollte. Voller Expressivität malen sich die Klänge hier in die Seelen eines Paares, von dem der Dichter Richard Dehmel im gleichnamigen Gedicht erzählt. Während eines gemeinsamen Spaziergangs ringt eine Frau mit dem Geständnis, dass sie ein Kind aus der Ehe mit einem ungeliebten, längst verlassenen Mann im Leibe trägt. Das abwärts gerichtete Thema und der klagende Gestus, aber auch der Aufschrei der Verzweiflung in ihrer zerrissenen Seele stehen dabei hinreißend schönen Phrasen voller Trost und Zuneigung gegenüber, denn der Mann möchte das Kind großziehen, als sei es sein eigenes.
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Im neuen Jahr geht es bei den Kammermusikfreunden Hamburg am 6. Januar dann gleich weiter mit dem 10. Kammermusikfest „Brahms und seine Zeit“, bei dem neben elf Musikern sogar das Calmus Ensemble mitwirken wird.
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