Hamburg. Planungssicherheit? Gibt’s schon lange nicht mehr. Es knirschte auch diesmal hinter den Kulissen. Nun steht fest: 2024 wird storniert.
Das Harbour Front Literaturfestival findet 2024 nicht statt. Das teilte das Festival am Donnerstag mit. „Nach 15 erfolgreichen Ausgaben ist es Zeit, das Harbour Front Literaturfestival organisatorisch, personell und finanziell neu aufzustellen, um auf diesem Wege eine langfristige Zukunft zu sichern. Da ein solcher Prozess bei laufendem Betrieb nicht umsetzbar ist, haben wir beschlossen, in 2024 kein Festival stattfinden zu lassen“, heißt es in der Mitteilung. Man werde die Zeit nutzen, „um mit Förderern und möglichen Kooperationspartnern Gespräche über die zukünftige Struktur und finanzielle Absicherung von Harbour Front zu führen“.
Vollkommen überraschend kommt die Absage zumindest für Eingeweihte nicht. Im vergangenen Jahr gab es zwar ein kleines Jubiläum: Das Harbour Front Literaturfestival fand zum 15. Mal statt. Es waren schöne Wochen des Buchs, sie beginnen ja immer im September, mit Auftritten von Autorinnen und Autoren wie Daniel Kehlmann und Robert Seetaler. Auch Musiker, mittlerweile Stammgast bei Harbour Front, wurden wieder viel gesehen, Clueso, Ute Lemper und Campino zum Beispiel.
Harbour Front Festival: 2024 findet das Lesefest nicht statt
Dennoch rumorte es dem Vernehmen nach zuletzt im Gebälk. Es ging wie so oft allein um die Finanzierung des Publikumsfestivals, die im vergangenen Jahr durch Zuschüsse der Hauptförderer Kulturbehörde, Clouds Hill Group und Hapag-Lloyd Stiftung gestemmt wurde. In diesem Jahr war man sich anscheinend uneinig wie selten, wie viel Geld von wem künftig fließen soll. Weswegen sich die Festivalleitung am Donnerstag bemüßigt sah, ein Statement herauszugeben – mit der Bekanntgabe des Ausfalls. Gerungen wurde wohl bis zuletzt, insbesondere mit der Kulturbehörde. Offenbar sah man bei der Festivalleitung – bestehend aus Petra Bamberger, Heinz Lehmann und Niko Hansen – nun keine andere Möglichkeit, als zumindest die kommende Festivalausgabe zu stornieren.
Warum genau es finanziell in diesem Jahr nicht hinhaute, muss vorerst offen bleiben. Klar ist, dass die Corona-Jahre nicht spurlos an Harbour Front vorbeigingen, was derweil für die allermeisten kulturellen Institutionen und Unternehmungen gilt.
- Harbour Front Festival Hamburg eröffnet: Westernhagen und Stuckrad-Barre am Start
- Harbour Front: Hilfe für Kühne nach NS-Eklat: „Er war sieben bei Kriegsende“
- Iris Wolff in Hamburg: Ein feiner Literaturhausabend mit toller Autorin
Die erste Ausgabe des Festivals, das seitdem insgesamt 280.000 Menschen besucht haben, fand 2009 statt. Seitdem traten viele Autorinnen und Autoren mit internationaler Strahlkaft im Hafen und in Hafennähe auf, Ian McEwen, John Grisham, Daniel Kehlmann und Stephen King etwa. Auch deutsche Starautorinnen und -autoren wie Dörte Hansen, Joachim Meyerhoff und Judith Hermann waren zu Gast. In späteren Jahren entdeckten die Festivalmacher das große Konzerthaus und doppelt unterhaltsame Abende für sich und das Publikum: In der Elbphilharmonie etablierte sich mit einigem Erfolg und gelungenen Kombinationen wie der aus Musiker Thees Uhlmann und Schriftsteller Benedict Wells auf der Bühne die Reihe Harbour Front Sounds.
Es war eine Art Neuerfindung von Harbour Front, eines Festivals, das sich in den vergangenen Jahren programmatisch verschlankte. Da mögen bereits auch finanzielle Aspekte eine Rolle gespielt haben. Dennoch war die Stoßrichtung des Publikumfestivals klar: große Namen, große Veranstaltungsorte. Mehr Laeiszhalle, Schauspielhaus, Elbphilharmonie, weniger „Cap San Diego“. Dass die maritime Anmutung dadurch manchmal verloren ging? Geschenkt. Gerade eher überraschende Veranstaltungen mit Entertainment-Garantie machten sich gut im kulturellen Terminkalender Hamburgs.
Harbour Front: Hauptgeldgeber war lange die Kühne-Stiftung
Hauptgeldgeber war die allermeiste Zeit die Klaus-Michael-Kühne-Stiftung. Nach Querelen um die NS-Vergangenheit von Kühne + Nagel zog sich diese 2022 zurück. Selbstverständlich war das Engagement der Stiftung nie. Ihr Namensgeber hatte dieses stets mit dem Willen begründet, die HafenCity beleben zu wollen. Und dabei schon relativ früh immer wieder Aufforderungen in Richtung Stadt formuliert, sich finanziell in höherem Maße zu beteiligen.
Die Kulturbehörde blieb in dieser Frage immer hart, ihr Zuschuss liegt bei 100.000 Euro. So auch in diesem Jahr, in dem man sich augenscheinlich hinter den Kulissen wesentlich stärker beharkte als sonst. Das größte Literaturfestival Europas, die lit.Cologne, ist fast ausschließlich privat finanziert. Anzunehmen, dass man aus Hamburg (und anderen deutschen Städten auch) mit Neid an den Rhein blickt. Sowohl, was die Veranstalter- als auch was die Behördenseite angeht. In Hamburg hat sich bislang niemand gefunden, der langfristig viel Geld in die Unternehmung Harbour Front pumpt. Für Festivalplaner ist eine unsichere Perspektive nie schön. Und was die Kulturbehörde angeht: Auch im Bereich der Literatur gibt es viele Projekte und Autorinnen und Autoren, die auf Zuwendungen angewiesen sind. Mehr Harbour-Front-Geld ist da logischerweise kein Selbstläufer.
Ein komplettes Ende von Harbour Front soll aber nicht zur Debatte gestanden haben. Eine gute Nachricht, ein grundsätzlicher Wegfall des mit Leidenschaft kuratierten Festivals wäre ein herber Verlust. Warum es mit weniger finanziellen Mitteln nicht wenigstens eine straffe, eine Art Übergangsausgabe geben wird, muss einerseits offen bleiben und erklärt sich andererseits im Statement der Festivalleitung. Man will sich in Ruhe neu aufstellen.
„Wir sind mit den Verantwortlichen von Harbour Front über die Neuaufstellung des Literaturfestivals im Gespräch. Harbour Front ist ein wichtiger Teil der vielfältigen Literaturlandschaft in Hamburg“, teilte die Kulturbehörde auf Abendblatt-Anfrage mit. Man verstehe, „dass sich das Festival nach 15 Jahren neu für die Zukunft aufstellen will und unterstützen gerne bei diesem Prozess“. Ziel müsse es sein, „ein tragfähiges Konzept zu entwickeln, mit dem Harbour Front 2025 wieder kraftvoll loslegen kann“.