Hamburg. Die deutsche Gesamtkünstlerin begeistert im Kleinen Saal bei ihrer Autobiografie-Präsentation mit einem Mix aus Lesung und Konzert.
Der Beifall nach der kurzen Ansage der Mitarbeiterin vom Festivalveranstalter gleicht beinah einem Beben und hält lange an – bis nach dem Pianisten Vana Gierig endlich auch die Adressatin durch die Seitentür auf die Bühne im Kleinen Saal der Elbphilharmonie schreitet. Ute Lemper lässt sich Zeit. Kann sie. Der Weltstar aus Münster mit Wahlheimat New York ist schließlich „Die Zeitreisende“.
So lautet der Titel ihrer Autobiografie, die sie in der Reihe Harbour Front Sounds erstmals in Hamburg vorstellt. Der Rückblick auf ihr bewegtes Leben ist im Juli zum 60. Geburtstag der Sängerin und Schauspielerin erschienen. Dieser fast zweistündige Abend jedoch, Lemper nennt ihn „meine Zeitreise“, entpuppt sich als feines Wechselspiel aus Literatur und Musik.
Elbphilharmonie: Ute Lemper stellt Autobiografie in Hamburg vor
Die Übergänge zwischen Rezitation und Gesang sind nahezu fließend. Nach dem Prolog aus dem Buch und Friedrich Hollaenders Lied „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ (1928) zitiert Ute Lemper ihren Vater, der ihr zum 50. Geburtstag sagte: „Jetzt beginnt die Jugend der zweiten Hälfte des Lebens.“ Aktueller Nachsatz der Tochter: „Das gilt hoffentlich auch mit 60 noch.“
An ihrem 59. Geburtstag habe sie mit dem Buch angefangen, auf Drängen ihres Verlags. Da saß sie wieder mal im Flugzeug. Bereits als 30-Jährige hatte Ute Lemper, die Vielgereiste und -gefragte, ihre erste Biografie geschrieben: „Unzensiert“ hieß die. Auf die wilden Jahre ihres dritten Lebensjahrzehnts hat der frühe(re) Musical-Star im neuen Buch bewusst Bezug genommen.
Ute Lemper zeigt sich in Hamburger Elbphilharmonie reflektiert
Als sie in Paris die Sally Bowles in „Cabaret“ spielte, in London in „Chicago“ sang und tanzte – all das schildert sie nun reflektierter. Geplagt von fünf Bandscheibenvorfällen, nachdem sie achtmal pro Woche mit Pose 25-mal den Kopf in den Nacken werfen musste. Der Künstlerin, die bei einem Popkurs 1982 an der Hochschule für Musik und Theater richtig durchstartete, fällt ein, dass sie in Hamburg rund 40-mal „in diesem CCH“ auftrat.
Die Stimme der vierfachen Mutter klingt tiefer als früher, auch mal rau, doch sie trägt Jazz, Soul und Chanson gleichermaßen. Und noch immer erinnert sich Ute Lemper gern an ihre Jahre in den Achtzigern im damals geteilten Berlin. Sowie an Kurt Weill, dessen Liedern sie sich schon auf ihrer ersten LP gewidmet hatte.
Elbphilharmonie: Ute Lemper thematisiert Rendezvous mit Marlene Dietrich
Unter anderem dessen Musik hat sie, die Weltbürgerin mit dem Bewusstsein für deutsche Geschichte, interpretiert. Und stieß damit auch bei Marlene Dietrich auf offene Ohren. Lemper, einst als „Die neue Marlene Dietrich“ gefeiert, baut ihr Rendezvous mit Marlene, basierend auf einem langen Telefonat 1987, als Dialog mit vertauschten Rollen in die Buch-Präsentation ein. Formidabel.
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Außer Persönlichem hätte sie noch so viel zu erzählen. Doch nach „Sag mir, wo die Blumen sind“, dem hebräischen „Shtiler, Shtiler“ und dem Chanson „Avec le temps“ ist Schluss. Am Bücher-Stehtisch gibt es im Foyer als zweite Zugabe noch den Weltstar zum Anfassen.