Hamburg. Beim Harbor-Front-Auftakt nahm ein Redner den Geldgeber in Schutz. Später ging es um eine bestimmte Angst von Autokraten.
Der Hausherr spottete und hielt sich dabei, wie er gestand, selbst für einigermaßen „gemein“, aber er konnte es sich nicht verkneifen. Das Harbour Front Literaturfestival, das wie zuletzt immer in der Elbphilharmonie eröffnet wurde, habe es sich zur Gewohnheit gemacht, vor Beginn der Lesewochen für ein kleines Skandälchen zu sorgen. „Das ist sicher abgesprochen“, sagte Generalintendant Christoph Lieben-Seutter und meinte die Debatte um Klaus-Michael Kühnes Umgang mit der NS-Vergangenheit seines Unternehmens. Der sorgt nach mit Auftrittsabsagen garnierten Autorenprotesten derzeit stärker denn je für Kritik.
Harbour Front: Behrendt verteidigte Klaus-Michael Kühne
Aber derlei ist ja auch PR und nützt Kartenverkäufen, so Lieben-Seutter auch in Erinnerung an die Aufregung um Lisa Eckhart vor zwei Jahren. Die Causa Kühne wiederum blieb nach Lieben-Seutters knappen Begrüßungsworten präsent an diesem Abend, zumindest eine Weile. Wo sich Festival-Co-Leiterin Petra Bamberger vieldeutig äußerte („Wir danken allen unseren Förderern, aber wir sind vor allem unseren Autorinnen und Autoren verpflichtet“), sprang Michael Behrendt für Klaus-Michael Kühne in die Bresche.
Die kritischen Stimmen hätten ihn betroffen gemacht, sagte das Mitglied des Kühne-Stiftungsrats, „er war sieben Jahre alt bei Kriegsende“. Wie viele andere Unternehmen hätte sich Kühne + Nagel dem Regime nicht entziehen können, „das hat Kühne offen eingeräumt und bedauert“. Behrendt verwies auf das „beeindruckende gesamtgesellschaftliche Engagement“ der Kühne-Stiftung und sprach dann noch lieber von der Bedeutung der Freiheit des Wortes.
Denn es sollte und soll ja um Literatur gehen. Finanziert wird die in puncto Harbour Front Festival künftig hauptsächlich von zwei anderen Geldgebern, der Hapag-Lloyd Stiftung und der Bodo Röhr Stiftung, wie Petra Bamberger auch an dieser Stelle sicher nicht unabsichtlich abermals erklärte. Michael Berendt ist praktischerweise auch in diesen Stiftungen vertreten, womit deutlich werden dürfte, dass der Fortbestand dieser wichtigen Literaturveranstaltung mit Berendts Engagement durchaus zu tun haben könnte.
Kultursenator Brosda: "Diktatoren fürchten sich vor Literatur
Und wie ist es um das Engagement der Literatur, wie ist es um die Bedeutung von Literatur allgemein in diesen Zeiten bestellt? Das sollte mit Blick auf den Ukrainekrieg am Eröffnungsabend erörtert werden. Kultursenator Carsten Brosda, der im Kick-off-Stress war und anschließend noch zur Thalia-Saisoneröffnung musste, machte es ganz grundsätzlich („Kultur hilft! Immer“), fand jedoch auch starke Worte für das Wesen der Literatur. Gerade die sei „niemals unpolitisch“. „Diktatoren fürchten sich vor Literatur, darin liegt die Sprengkraft dieser Kunst, die die Welt verändern kann“, sagte Brosda. Um abschließend die Ukraine als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse zu fordern, um das Land „auf unsere literarische Landkarte“ zu setzen.
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Guter Vorschlag, da würde niemand widersprechen wollen. Hauptprogrammpunkt des Abends war dann ein Bühnengespräch zwischen der Hamburger Autorin Simone Buchholz und dem ukrainischen Autor Juri Andruchowytsch. Letzterer ist die vielleicht wichtigste Stimme seines Landes und für den Westen ein beliebter Ansprechpartner, der tatsächlich viel zu sagen hat. „Dabei könnte dieser feinsinnige, humorvolle und kluge Schriftsteller langsam wirklich die Nase voll haben, von der Ignoranz und Naivität der Fragenden aus dem Westen“, wie Carsten Brosda diesbezüglich ein wenig gereizt sagte.
Im Gespräch mit Buchholz erklärte Andruchowytsch, dessen neuer Roman „Radio Nacht“ gerade auf Deutsch erschienen ist, dann einmal mehr. In fließendem Deutsch, übrigens; und ohne ehrliche Worte zu scheuen. Auch in der Ukraine blicke man ausnahmslos in den Westen, sagte er, als Buchholz („Ich fühle eine große Wut auf mich selbst“) gerade zur großen Selbstkritik angehoben hatte – sie hat sich wie die allermeisten mit osteuropäischer Kultur und Literatur kaum beschäftigt.
Andruchowytsch erzählte von Angriffen auf ukrainische Bibliotheken
#Das Gespräch bewegte sich erwartbar auf die gewünschte These zu, dass Literatur natürlich bedeutsam sei in diesen Zeiten des Krieges, ging dabei aber nicht allen Trivialitäten aus dem Weg. Dass schriftstellerische Zeugnisse persönlicher, individueller sind als journalistische? Hatte man en gros jetzt eh so vermutet. Und dass deutsche Autorinnen und Autoren derzeit unter ganz anderen Bedingungen arbeiten können als ihre ukrainischen Kollegen, versteht sich. Es war dennoch nicht verkehrt, es noch mal zu erwähnen, um zu zeigen, dass Selbstverständlichkeiten mit einem Mal vorbei sind, wenn die Freiheit des Wortes nicht mehr gilt.
Als Andruchowytsch von den russischen Angriffen auf ukrainische Bibliotheken erzählte, die so aussehen, dass unliebsame Autoren aus den Regalen verbannt werden („Es wurden auch Bücher verbrannt“), war er sich mit seiner deutschen Kollegin einig: In der autokratischen Angst vor der Literatur zeigt sich die Kraft der Literatur.