Hamburg. Warum lernen die Menschen nicht aus der Geschichte? Die Siebenbürger Autorin stellte in Hamburg ihren Roman „Lichtungen“ vor.
„Mehr kann man kaum erreichen“, teilte ein freudig gestimmter Rainer Moritz dem Publikum im bis auf den allerletzten Platz gefüllten Saal des Literaturhauses mit. Große Worte für einen (kleinen) großen Roman: „Lichtungen“ steht derzeit auf der Bestsellerliste ziemlich weit oben. Und auf der berühmten „SWR-Bestenliste“, der Hitparade der Kritikerinnen und Kritiker, thront es tatsächlich an der Spitze. Da wird sich Literaturhaus-Chef Moritz durchaus selbst beglückwünscht haben, die hoch gehandelte Autorin Iris Wolff vor Monaten schon an den Schwanenwik eingeladen zu haben.
Sollte es so etwas wie das Strahlen der Literatur geben – nun, die 46-Jährige war dann wohl die personifizierte Version davon. Und die Veranstaltung insgesamt die Idealausgabe des feinen Literaturhausabends. In einer Zeit, in der auch Lesungen als Kulturevents nicht mehr ganz so selbstverständlich sind wie früher, darf und muss man darauf hinweisen: Die Essenz des Hamburger Literaturveranstaltungslebens findet im Literaturhaus statt. Und in den Buchhandlungen, da ganz sicher auch.
Iris Wolff im Literaturhaus Hamburg: Glanz und Würde des Wortes
Glanz und Würde des geschriebenen, gelesenen und gesprochenen Worts verbreitet sich nirgends so gut wie unter den gewaltigen Kronleuchtern im Prachtsaal des Literaturhauses. Ein Ort des Lichts; Lichtungen, um auf den Titel des Romans zu sprechen zu kommen, sind die poetischere, auch ungefähre Form jenes Lichts. Die im rumänischen Hermannstadt geborene und mit acht nach Westdeutschland gekommene Schriftstellerin Wolff schätzt dieses Ungefähre immens. „Ich will nicht alles über meine Figuren wissen“, sagte sie einmal.
Und dieses Nicht-alles-Wissen betrifft dann auch die Leserinnen und Leser, die in „Lichtungen“ mit Lev und Kato durch die Jahrzehnte reisen und dabei auch in Suggestivräumen unterwegs sind, großartig. Wolffs vorherige Bücher waren im Banat und in Siebenbürgen situiert, nun ist sie in der Maramuresch, einem Grenzgebiet Rumäniens, in dem genauso viele Ethnien leben. Es sei prägend gewesen, in einem mehrsprachigen Land aufzuwachsen, erklärte Wolff Moderator Christoph Bungartz und dem Publikum.
Iris Wolffs Roman „Lichtungen“: Ein politischer Stoff in versunkener Zeit
Welche Prägungen ihre Hauptfiguren erhielten, wie sie wurden, wer sie sind, ist Gegenstand der Handlung. Sind Kato und Lev eigentlich ein Liebespaar, oder sind sie lediglich Freunde? Als der Roman einsetzt, haben sie sich Jahre nicht gesehen, den Eisernen Vorhang gibt es längst nicht mehr. Aber der Roman spielt doch weitgehend in jener versunkenen Zeit. Weshalb man Moderator Bungartz unbedingt zustimmen wollte, als er von einem politischen Stoff sprach.
Der lange Arm der Securitate, das Eingesperrtsein im Sozialismus: All das ist Thema von „Lichtungen“. Der Clou ist, dass Iris Wolff rückwärts in der Zeit geht. Das hat auch Inger-Maria Mahlke mal gemacht, in ihrem Buchpreis-Roman „Archipel“. Wolff („Das nächste Mal schreibe ich ein ganz einfaches Buch“) gestand dem amüsierten Publikum gelegentliche Zweifel beim Schreiben.
Was den historischen Gehalt ihres Romans angeht, der die Zeitgeschichte auf verblüffend beiläufige Weise behandelt, äußerte sich die in Freiburg im Breisgau lebende Schriftstellerin skeptisch. Sie nannte das Artensterben, sie sprach von den Kriegen, den Diktaturen, die es „genug gegeben“ habe; „warum ist der Mensch nicht fähig, aus der Geschichte zu lernen?“
Sie ist jedes Jahr in dem Land ihrer Geburt. Weil sie dort Lesungen hat, weil sie für ihre Stoffe recherchiert. Warum die nachdrückliche Faszination für diese Region Europas, die sich augenscheinlich auf eine große und begeisterte Leserschaft überträgt? „Der Riss der Geschichte, die verschiedenen politischen Systeme gehen hier mitten durch die Menschen“, sagt Iris Wolff. Wie sollte man derlei, wie sollte man Rumänien nicht für erstklassiges literarisches Material halten?