Hamburg. Der Musiker und Benedict Wells lasen und spielten vor ausverkauftem Haus. Und einer von ihnen wagte dabei das Verbotene.
Man mache das ja eigentlich nicht, sagte der Musiker in diesem Zweierbunde ins Publikum, „Bruce Springsteen covern, das ist verboten“. So Thees Uhlmann im Großen Saal der Elbphilharmonie. Dann spielte er trotzdem „Born to Run“ mit Akustikgitarre und viel Seele, mit Simon Frontzek am Keyboard und Rudi Maier an Gitarre und Schlagzeug, und ganz am Ende steuerte Benedict Wells, der zweite Mann des Protagonistenduos, seinen Mundharmonika-Part bei. Er blieb dabei am Lesetisch sitzen. Rock’n’Roll ist auch, wenn vor einem Bücher und Manuskriptzettel liegen.
Elbphilharmonie: Benedict Wells im Rockscheinwerferlicht
Wobei man an diesem, ja, warum nicht: erinnerungswürdigen Abend mal grundsätzlich überprüfen konnte, warum der Popmusiker das Bühnentier ist und nicht der Schriftsteller. Benedict Wells („Becks letzter Sommer“, „Vom Ende der Einsamkeit“) schreibt Bestseller und hat viele, viele Fans. Der liest auch sonst nicht in Provinzbuchhandlungen vor drei Buchhändlerinnen und deren Verwandten, bei Schnittchenverzehr und Weinverkostung.
Dennoch schaute Wells auch, als die Veranstaltung schon anderthalb Stunden alt war, noch mit großen Augen ins Publikum. Nicht wie ein verschrecktes Rehkitz im Scheinwerferlicht. Aber halt so wie ein Dichter, den plötzlich Rockscheinwerfer anstrahlen. Bildlich gesprochen.
Thees Uhlmann: 1988 der Traum von der Elbphilharmonie
Doch halt, ist Wells nicht, nach Literaturmaßstäben, selbst ein Popstar? Isser, und mit Popmusik assoziiert ist er eh. Wells macht Playlists zu seinen Romanen, geht mit Singer/Songwritern auf Lesereise und hält mit seiner Liebe zum „Boss“ eh nicht hinterm Berg.
Das tut auch Thees Uhlmann nicht, der zehn Jahre älter als Wells ist – Älterer-Bruder-Vibes gab es satt – und nebenbei auch Bücher schreibt. „Sophia, der Tod und ich“ etwa. Während Wells, der Wahlzürcher mit Niedlichkeitsfaktor, seine Nervosität und Übersprungshandlungen fortwährend kommentierte, übernahm Uhlmann in bekannter Manier die Rolle des Entertainers, der sich mit elbphilharmonischer Überwältigung nicht lange aufhielt. Er habe aber 1988 in Hemmoor, in der Heimat, beim Autoscooter schon gesagt, irgendwann sei er „in der Elphie“.
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Und das war er dann, vor 2000 Leuten, spielte ein paar Lieder, las zwei, man muss es ihm lassen, wirklich vorzüglich arrangierte Texte. „Tante Trudl“, „USA“, es waren die Teile des Abends, die für großes Amüsement sorgten. Wobei, was das angeht, Uhlmann („Das wärmste Jäckchen ist das Cognäckchen“) einmal mehr bewies, dass es immer einen geben muss, der mit Karl Auer die Schulbank gedrückt hat.
Benedict Wells und Thees Uhlmann lernten sich 2016 kennen
Kennengelernt haben sich Wells und Uhlmann vor ein paar Jahren in Köln beim dortigen Lesefest. Nach einem Gespräch aufm Schiff aufm Rhein – Thema: Bruce Springsteen – war die Saat gelegt. Geerntet wurde nun beim Harbour Front Festival. Es war nicht der einzige Auftritt des Duos, vorher war es in Bochum und Zürich. Aber im Konzerthaus an der Elbe war das Setting imposanter, und im Publikum waren viele zwischen 25 und 45. Um noch mal die Lesungsmaßstäbe zu bemühen, ist das Kindergartenalter. Also, alles richtig gemacht von den Organisatoren, mit Elbphilharmonie und Interdisziplinarität kann man als Literaturfestival im medialen Wettbewerb punkten.
Wells und Uhlmann sind kein ganz überraschendes Tandem, sie haben die gleichen Interessen, zusammengefasst im Titel ihres Programms „Bruce, der Tod und ich“. Zum gesetzten Thema, dem gravitätischen Existenz-Gassenhauer von den letzten Dingen, steuerte Uhlmann seinen Song „Die Toten auf dem Rücksitz“ bei und Wells Exzerpte aus seinem Erfolgsbuch „Vom Ende der Einsamkeit“.
Mit Bankfritzen in der E-Street-Lounge
Vor ein paar Tagen war ja schon Wells’ Cousin, der noch erfolgreichere Ferdinand von Schirach, an gleichem Ort aktiv und sprach über ernste Angelegenheiten, ohne deren komische Seite zu vergessen. Bei Wells/Uhlmann wurde noch mehr gelacht. Jungs bleiben Jungs, und Jungs mögen außer Springsteen auch Stephen King und da besonders, wen wundert es, die adoleszente Übernovelle „Stand By Me“. „Wir fordern für King den Literaturnobelpreis“, sagte Thees Uhlmann, um dann seine Hommage „Danke für die Angst“ anzustimmen. Der Befund bleibt übrigens, Uhlmanns Lyrics sind manchmal eine Spur zu greifbar, es fehlt an Raffinement.
Dafür ist er ein glänzender Erzähler, der seine persönlichen Jugenderlebnisse („Unsere Jugendgang hieß ‘Kings of Violence’“) und Familienanekdoten mit Gespür für Pointe und Timing niederschreibt und zu Gehör bringt. In der Elbphilharmonie las er seine Berichte von einer Urlaubsreise nach Amerika (Souvenir: das Pan-Am-Bordbesteck) und dem Besuch in der „E-Street-Lounge“ eines Leipziger Springsteen-Konzerts (Horror, nur Sparkassenangestellte, kein Alkohol). Da kam zusammen, was Uhlmanns narratives Gesamtkonzept ausmacht, die Komik, die der Jugend innewohnt, die Sache mit der menschlichen Tragik, nicht unsterblich zu sein, und Popkultur.
Benedict Wells war beseelt und dabei nicht der einzige
Wells las übrigens, bevor er dann hauptsächlich zu seinem bislang letzten Bestseller „Hard Land“ kam, seine früheste Erzählung, eine Katzengeschichte, geschrieben im Alter von sieben Jahren. Könnte man sich nicht besser ausdenken, die Katze in der vor allem digitalen Populärkultur ist ein Sinnbild für Possierlichkeit.
Im Publikum dürfte es übrigens zum Crossover gekommen sein; nicht jeder Uhlmann-Anhänger liest Wells, nicht jede Wells-Anhängerin hört (und liest) Uhlmann. Da könnten nun jeweils neue Horizonte aufgeschlossen worden sein.
Bei Uhlmanns gab es nur an Weihnachten Coca-Cola
„Allein, dir zuzuhören, ist ein Grund, morgens aufzustehen“, säuselte Uhlmann einmal ganz herrlich in Richtung Wells, man machte sich auch einen Spaß daraus, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Es ging an diesem schönen Abend um die Kraft der Worte und der Lieder, es ging darum, dem Leben alles abzugewinnen, wo der Tod doch auf jeden wartet, hoffentlich sehr lange. Es ging darum, einfach mal beseelt zu sein, und das zeigte an diesem Abend niemand so offenherzig wie der fabelhafte Herr Wells, der irgendwann einmal sagte, er fühle sich hier und jetzt in der Elbphilharmonie wie in einer Simulation, so wunderbar sei das alles.
Vielleicht war das alles, bei allem noch gerade richtig abgeschmeckten Kitschfaktor, so wie bei Uhlmanns früher zu Hause. Coca-Cola gab es, anders als bei Tante Trudl in Amerika, nur an Weihnachten. Und an diesem Dienstagabend in der Elbphilharmonie war Weihnachten, es war ein Fest der Literatur, mit Gedanken-Cola und Erzähl-Zucker. Nur Cognac gab’s keinen. „Man darf hier auf der Bühne nur Wasser trinken“, sagte Thees Uhlmann.