Hamburg. Die Hamburger Sängerin Antje Schomaker über ihr neues Album „Snacks“, Knutschen mit Indieboys und ihre schnelle Flucht aus Berlin.
Mit ihrem ersten Album „Von Helden und Halunken“ etablierte sich die 1992 in Rheurdt bei Düsseldorf geborene Sängerin Antje Schomaker (31) ganz weit oben auf der Liste der kommenden deutschen Popstars. Aber nicht nur Corona hat die seit 2012 in Hamburg lebende Künstlerin zurück auf Los geworfen. Mit „Snacks“ unternimmt sie jetzt einen neuen Anlauf, und ihr Auftritt vor wenigen Tagen beim Reeperbahn Festival in der Großen Freiheit 36 war bereits vielversprechend. In einem Eimsbütteler Café erzählt sie von den Umständen der langen Zwangspause, alten Ballast und neue Ziele, Sex und Mutterliebe und Möwenzählen an der Spree.
Hamburger Abendblatt: Frau Schomaker, nach aufsehenerregenden Konzerten im Vorprogramm von Bosse, Johannes Oerding und Amy MacDonald erschien 2018 ihr Debütalbum „Von Helden und Halunken“ – und dann wurde es stiller bis zum Nachfolger „Snacks“ dieses Jahr. Fünf Jahre sind eine lange Zeit für vielversprechende Newcomer, die ja üblicherweise schnell nachliefern … müssen.
Antje Schomaker: Ich hatte eine ziemlich toxische Beziehung, die mich sehr aufgehalten hat, weil ich da viel Arbeit reinstecken musste. Dann kam Corona und die Trennung von meinem damaligen Label und Management, was ein Jahr gedauert hat. Und während der Vertragsauflösung durfte ich keine neue Musik herausbringen. Ich muss aber dazu sagen, dass wir im Guten auseinander gegangen sind.
2021 veröffentlichten Sie die fast vier Millionen Mal gestreamte Single „Ich muss gar nichts“, in der es heißt: „Ihr sagt, die Zeit des deutschen Indie-Pop ist leider vorbei. Tut mir leid euch das zu sagen, doch das seh‘ ich nicht ein“. Lassen sich da Gründe für die Trennung vom Label herauslesen?
Schomaker: Das war die letzte Single auf meinem alten Label, an die niemand geglaubt hat, und die auch nicht beworben wurde. Dass dieser Song so viral ging, zeigte auch, wie sehr das Label und ich uns auseinandergelebt hatten. Ich wollte, dass meine Songs mehr edgy sind, kantig, und auf dem Hurricane Festival spielen …
… stattdessen sollten Sie die nächste Johanna Oerding werden?
Schomaker: Johannes Oerding gibt es jedenfalls schon (lacht).
„Einige Jungs, mit denen ich geknutscht habe, die jetzt denken werden: „Das ist mein Song“
Ihr neues Album startet jedenfalls kantig mit „Lost Indieboy“, einer Abrechnung mit selbstverliebten wie abenteuerlustigen Musikerkollegen. Sind Sie einigen Exemplaren dieser offensichtlich noch recht häufig anzutreffenden Spezies begegnet?
Schomaker: Das Lied entstand spontan im Studio mit meinem Gitarristen Felix. Und ja, „Lost Indieboys“ sind mit seeehr oft begegnet in der Branche, und ich kenne einige Jungs, mit denen ich geknutscht habe, die jetzt denken werden: „Das ist mein Song“ (lacht).
Musikerinnen werden immer noch zu oft angefeindet, wenn Sie auch mal über Bedürfnisse und Genüsse, einen „Snack“ zum vernaschen für zwischendurch singen. Das Lied „Snacks“ handelt jedenfalls nicht von Chips und Schokoriegeln, wenn ich ihn richtig verstehe.
Schomaker: Waaas? (lacht)
„Über Sex zu singen, ist ja auch nicht sexistisch“
Im Musikvideo ist jedenfalls zwischendurch auch ein lila Hundespielzeug oder sowas zu sehen. Eine Gratwanderung, die zu dümmlichen Kommentaren bei YouTube und Co. herausfordert, wie der alte Männerspruch, den Sie in „Ich muss gar nichts“ zitierten: „Sexismus ist doch gar nicht so schlimm“.
Schomaker: Über Sex zu singen, ist ja auch nicht sexistisch. Wenn ich über Sex singe, singe ich auch nicht unbedingt über Sex mit Männern. Aber klar, nicht jede Reaktion ist die eigentlich gewünschte. Ich wurde ja auch mit meinem ersten Album sexualisiert, als ich auf der Bühne stand und entsprechende Kommentare bekommen habe. Davon will ich mich emanzipieren mit Songs wie „Snacks“ und „So wie du“, um selbstbestimmt das Thema Sex zu behandeln. Sexualisiert werde ich als Frau sowieso, auch wenn ich über diesen Kaffee, der hier vor mir steht, singen würde.
Mit dem Songprojekt „Auf Augenhöhe“ vereinten Sie 2020 124 Künstlerinnen, um auf die fehlende Gleichstellung in der Musikbranche aufmerksam zu machen. In Ihrem neuen Song „Irgendwohin“ singt Eva Briegel von Juli mit. Glauben Sie an die Kraft von Vorbildern?
Schomaker: Auf jeden Fall. Ich wollte so werden wie Eva und auch Judith Holofernes von Wir sind Helden. Und jetzt sehe ich bei unseren Konzerten, wie Mädchen so spielen wollen wie unsere Gitarristin Annie Chops.
Etwas überraschend war es, eine Coverversion von „Alles neu“ von Peter Fox auf Ihrem Album zu finden.
Schomaker: Das ist ja ein Lied, dass vor einiger Zeit für uns alle sehr präsent war und das wir alle auswendig kennen. Ich covere immer einen Song live bei meinen Konzerten, und als wir den im Studio ausprobiert haben, gefiel der uns so gut als Molotow-Motorbooty-Partymoment, dass er aufs Album musste.
„ Vor sieben Jahren wäre meine Mutter fast an einem Aorta-Riss gestorben“
Interessant ist, dass die Künstler und Bands, mit denen Sie tourten oder im Studio waren – Bosse, Oerding, Revolverheld – alle in jüngerer Vergangenheit Lieder über ihre Eltern veröffentlicht haben. Jetzt kommen Sie auch mit „Wenn ich mal Kinder hab“. Von Silbermond erschien im April auch noch „Hey Ma“. Gibt es im Deutschen Pop einen heimlichen Heintje-Trend? „Maaamaaa“?
Schomaker: Oh, darüber habe ich nie nachgedacht. Vor sieben Jahren wäre meine Mutter fast an einem Aorta-Riss gestorben, nur zwei Prozent der Betroffenen überleben sowas. Das war einen Tag, bevor mein erster Song „Bis mich jemand findet“ veröffentlicht wurde, und sie lag im Krankenwagen und dachte: „Ich kann doch jetzt nicht sterben, morgen kommt Antjes erste Single heraus“. Das hat mich so lange begleitet, bis es herausmusste. Der Song war in 15 Minuten fertig. Und natürlich erschien er dieses Jahr am Muttertag.
- Konzert Hamburg: TikTok-Star Nina Chuba kann auch Party – und das richtig
- Juli in Hamburg: „Sommer ist vorbei“ – Band bei Konzert peinlich berührt
- Pop Hamburg: Brockhoff - warum man sich diesen sperrigen Namen merken muss
Sie stammen ursprünglich wie ein hier schon mehrfach erwähnter Sänger vom Niederrhein. Was hat Sie nach Hamburg verschlagen, die Musikszene?
Schomaker: Ja. Ich habe sehr früh angefangen, Musik zu machen und meine Lieder auf MySpace hochgeladen. Lange her, hm? Die Lieder zeige ich dir lieber nicht. Aber ein Hamburger Produzent hatte sie entdeckt, und so führte eines zum anderen.
„Berlin ist zu groß und es gibt zu wenig Möwen dort“
Sie hätten ja auch in Berlin landen können.
Schomaker: Da war ich tatsächlich gerade drei Jahre lang, bin aber wieder zurückgekehrt. Ich bin an die Spree gezogen und dachte mir: Geil, das wird mein Jahr in Berlin. Dann kam Corona. Düdümm. Ich war aber noch lange genug da, um zu merken, dass ich doch nach Hamburg gehöre. Berlin ist zu groß und es gibt zu wenig Möwen dort.
Sie zogen 2012 nach Hamburg, aber abgesehen von Auftritten im Vorprogramm sowie Shows bei den Reeperbahn Festivals 2021 und 2023 spielten Sie nur einmal hier, 2018 im Uebel & Gefährlich. Für eine lokale Künstlerin ist das wenig.
Schomaker: Dafür fehlte mir auch ein Album, und durch die strukturellen Probleme der letzten Jahre machten es nicht einfacher.
Aber Sie sind eine Live-Künstlerin, keine tüftelnde Studioratte?
Schomaker: Auf jeden Fall. Liebe Kommentare im Netz oder Streamingzahlen sind ja nur ein kurzer Dopamin-Ausstoß, der schnell wieder vorbei ist. Aber die Tausend Leute, die im Uebel & Gefährlich oder gerade beim Reeperbahn Festival in der Freiheit meine Lieder mitgesungen haben, die trage ich immer im Herzen und zehre sehr lange davon. Wenn ich die Mitschnitte höre, heule ich immer (lacht).
Antje Schomaker Fr 15.3.2024, 20.00, Uebel & Gefährlich (U Feldstraße), Feldstraße 66, Karten zu 33,45 im Vorverkauf; www.antjeschomaker.de