Hamburg. Das Hip-Hop-Trio lockte Tausende gratis auf das Heiligengeistfeld. Im Mojo Club solidarisierte sich Liraz mit den Protesten im Iran

„Hey, wo ist denn der Hans-Albers-Platz?“, fragt eine Gruppe Teenager am Donnerstagnachmittag vor dem Eingang zum „Festival Village“, dem Zentrum des Reeperbahn Festivals auf dem Heiligengeistfeld. Sie wollen offensichtlich Freikarten für das Überraschungskonzert des Berliner Hip-Hop-Trios K.I.Z ergattern, die seit Mittag auf dem Hans-Albers-Platz verteilt werden. Da geht‘s lang, viel Glück!

Man kann nur hoffen, dass die Truppe noch Bändchen abbekommen hat, denn was K.I.Z dann um 21 Uhr auf einem abgesperrten Areal hinter dem Festival Village entfesselt, ist schlicht spektakulär: Auf drei mehreren Meter hohen Leuchtpylonen lassen es Tarek, Maxim und Nico im Regenschauer für geschätzte 5000 Fans mit Beats und Böllern krachen. „Ein Affe und ein Pferd“, „Filmriss“, „Bier“ und weitere Songs poltern über St. Pauli, nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei mit „Görtlitzer Park“. Das wird der Titeltrack des kommenden Albums sein, das im Juni 2024 erscheinen soll, pünktlich zum Headliner-Auftritt beim „Hurricane Festival“ in Scheeßel.

Spektakulär: 30 Minuten lang entfesselte K.I.Z auf dem Heiligengeistfeld ein Hip-Hop-Feuerwerk.
Spektakulär: 30 Minuten lang entfesselte K.I.Z auf dem Heiligengeistfeld ein Hip-Hop-Feuerwerk. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Reeperbahn Festival: Geheimkonzerte sind mittlerweile eine Tradition

Wohlgemerkt: K.I.Z spielen nicht auf dem Reeperbahn Festival, nicht beim Reeperbahn Festival, sondern nur neben dem Reeperbahn Festival. Seit Jahren nutzen populäre Namen die Anwesenheit von Tausenden Fans, Medien- und Branchenvertretenden auf dem Kiez, um ihre Pop-Produkte mit Spontankonzerten zu verbreiten, so wie Kraftklub 2022 vor den Tanzenden Türmen und Deichkind 2019 vor dem Millerntor-Stadion. Richtig gutes Zeug. Aber ein wenig stehlen diese Stars auch den über 300 Festivalbands, die meisten davon Newcomer und nur Eingeweihten bekannt, die Show.

Nicht wenige Clubs sind vor und während des K.I.Z-Spektakels im Vergleich zum Festival-Mittwoch noch übersichtlich gefüllt, abgesehen vom Auftritt des Twitter- und Podcast-Stars Sebastian Hotz alias „El Hotzo“ im Imperial Theater: Die Schlange reicht vor seiner Show bis um das Zwick herum. Beachtlich. Mehr Platz ist bei Antje Schomaker in der Großen Freiheit 36. Die Hamburger Popsängerin hat nach einer langen Zwangspause (Corona und Labelwechsel) endlich den Nachfolger ihres Debütalbums „Von Helden und Halunken“ (2018) fertig, der am 6. Oktober erscheint: „Snacks“. Und das Publikum in der Freiheit schnappt gern die ersten neuen Happen „Nie nach Paris“ und „Lost Indieboy“, singt gern Schomakers Motto „Ich muss garnix“ mit und wippt zum Peter-Fox-Cover „Alles neu“. Antje, die Band mit Annie Chops an der Gitarre und die Fans haben großen Spaß, das ist keine „Verschwendete Zeit“.

Kunterbunte Pop-Snacks: Die Hamburger Sängerin Antje Schomaker in der Großen Freiheit 36.
Kunterbunte Pop-Snacks: Die Hamburger Sängerin Antje Schomaker in der Großen Freiheit 36. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Reeperbahn Festival: Mehr Bass geht nicht bei The Omnific

Pop ist das dominierende Genre auf dem Kiez dieses Jahr, wie auch Festival-Leiter Alexander Schulz im Abendblatt-Interview angekündigt hatte. Aber es gibt auch absolut abgefahrenes Zeug zu erleben. Das australische Trio The Omnific aus Melbourne tritt im Bahnhof Pauli mit einem Schlagzeuger und zwei Bassisten an, und es ist schon eher ein Werbevideo für die Bass-Schmiede Dingwall als ein Konzert. In den instrumentalen Progressive-Rock-Metal-Stücken flitzen Matt Fack und Toby Peterson-Stewart wie die Wahnsinnigen über die Griffbretter ihrer mächtigen Sechssaiter und holen jede nur erdenkliche Spieltechnik aus der Trickkiste. Ein akustischer Parforceritt. Das Fazit eines Besuchers: „Ohrenfic“.

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Das Gehör hat sich nach The Omnific jedenfalls eine Erholung verdient, und die gibt es bei Liraz im Mojo Club: Orient und Okzident, persische, israelische und anatolische Einflüsse verweben sich wie der transparente Schleier der Sängerin mit Psychedelic- und Surf-Rock der 60er- und 70er-Jahre. Melodienreichtum und Rhythmen ziehen einen schnell in den Bann, und dennoch übersieht und überhört man nicht die Brisanz, die in dieser Kunst steckt. Liraz Charhi ist Tochter von sephardischen Juden aus dem Iran, die nach Israel auswanderten. Im Geheimen nahm sie mit iranischen Künstlern in Istanbul 2022 ihr Album „Roya“ auf, das sich wie auch ihre Ansagen im Mojo Club mit den aktuellen Protesten gegen das iranische Regime solidarisiert. Ganz stark, dieses Konzert.

Der Eingang zum „Festival Village“ auf dem Heiligengeistfeld. Das Programm dort ist auch ohne Festival-Ticket erlebbar.
Der Eingang zum „Festival Village“ auf dem Heiligengeistfeld. Das Programm dort ist auch ohne Festival-Ticket erlebbar. © Christian Charisius/dpa | Unbekannt

Reeperbahn Festival: Man verpasst 20 Konzerte gleichzeitig

Dagegen wirkt der sehr, sehr laute Garagenrock und Pop-Punk von Kelsy Karter & The Heroines im Headcrash auf dem Hamburger Berg schon sehr generisch. Nichts, was man nicht schon besser gesehen und gehört hätte. Aber so ist das beim Reeperbahn Festival. Man weiß nie, was man bekommt, sondern nur, dass man gleichzeitig 20 weitere Konzerte verpasst. Aber da geht noch was. Am Donnerstag ist das Reeperbahn Festival in der Halbzeit angelangt. Bergfest. Auf dem Hamburger Berg.