Hamburg. Von Ace Tee bis Chefboss: Das Abendblatt stellt talentierte Künstlerinnen aus der Hansestadt vor, die Sie sich merken sollten.
Die Chanteuse
„Sind wir denn nie schön genug?“, fragt Lina Maly zum Piano und singt so gegen zu viel Perfektion an. Mit fragiler Stimme, die mal fließt, mal flüstert. Die 19-Jährige mit dem entwaffnend offenen Blick liefert den heilsamen Soundtrack für all die Erschöpften. Neuzeitliche Chansons, die unsere Gefühle mit Pathos, aber auch mit im besten Sinne naiver Direktheit wecken. Die Klickzahlen zu ihrem Videoclip „Schön genug“ steuern auf die Eine-Million-Marke zu. Ende 2016 ging sie mit ihrem Debütalbum „Nur zu Besuch“ auf Konzertreise. Und im Januar trat sie beim Familientag der Elbphilharmonie auf.
„Es ist verwirrend und wunderschön zugleich, wenn dir fremde Menschen plötzlich anfangen deine Texte mitzusingen“ , erzählt Lina Maly, die am Hamburger Stadtrand aufwuchs. Eine klassische Musikkindheit, die aber bei Weitem nicht jeder so kunstvoll in Pop zu verwandeln weiß wie sie. „Es existiert Beweismaterial von mir als Zweijährige, wo ich auf Töpfen, Pfannen und mithilfe von Schranktüren Musik mache“, sagt sie. Mit sechs Jahren kam Klavierunterricht hinzu, mit 15 Jahren Gesangsstunden.
Mittlerweile ist sie beim Majorlabel Warner unter Vertrag, im Frühling stehen weitere Tourtermine an, im Sommer spielt sie auf Festivals. Ganz schön viel los für eine junge Frau, deren Lieder – und Absichten – für ihr Alter teils ungewöhnlich weise klingen. „ Selbstreflexion, Dankbarkeit und Zufriedenheit“ möchte sie transportieren– etwa in der aktuellen Single „Meine Leute“, eine Hommage an Freunde und Familie. Das nennt man dann wohl Bodenhaftung.
Die R´n´B-Lady
Ihr Gesang zu geschmeidigen Beats ist derart soft, dass sämtliche Knie sofort weich werden müssen. Alles ist im Fluss bei der Hamburgerin Tarin Wilda alias Ace Tee. Ihr Song „Bist du down?“ pendelt herrlich retro-charmant zwischen R’n’B und Hip-Hop. So lässig klang das Deutsche lange nicht. Und das Video, gedreht am Diebsteich und in der Schanze, präsentiert Hamburg dermaßen urban und graffiti-schön, als lägen L.A. und New York direkt nebenan.
Ace Tee ist da entspannt tanzend mit ihrer Clique zu sehen. Mehr als anderthalb Millionen Mal wurde der Clip im Netz aufgerufen, Mode- und Musikmagazin riefen sie als nächstes großes Ding aus. „ Wunderschön!“, sagt Ace Tee zu diesem explosiven Erfolg und spricht voller Stolz und Wärme von der „Liebe für das, was wir gemacht haben“. Die 23-Jährige wird nicht müde, ihr Team zu loben. „Wir sind eine große Familie“, sagt sie über Wegbegleiter wie Rapper Kwam.e und Produzent Plusma.
In Jenfeld wuchs sie auf, ihre Eltern stammen aus Ghana, sie ist gelernte Haarstylistin und macht seit vier Jahren professionell Musik, dieses Jahr sollen ein Album und ein Kurzfilm folgen. „Lass uns nicht so negativ sein“, lautet ihre Botschaft. Mit ihrem coolen Sound klappt das garantiert.
Die Pop-Stimme
Jim Button ist ein derart eigensinniger Mensch, dass es eine wahre Freude ist. Im Urlaub wandert sie gerne mal mit Rucksack und Zelt alleine durch die Wildnis. Natur und Inspiration aufsaugen. Vor vier Jahren beschloss sie an einem einsamen See in Norwegen, dass sie Gitarre lernen und ihr Geld als Songschreiberin verdienen möchte. In ihrer Musik selbst setzt die Hamburgerin allerdings ganz und gar nicht auf Eigenbrötlertum. Ihre elegant driftenden Electro-Pop-Songs feiern unser aller Schwächen, unsere Sehnsüchte und Schrullen.
„Ich seh die Menschen überall rumheulen über die aktuelle Politik oder ihre Cellulite. Und ich denke dann immer nur: Versteht doch bitte endlich, dass wir hier im Paradies leben!“, sagt Jim Button resolut. Ihre Lieder strotzen nur so vor Empathie und Optimismus. Zart und stark ist ihr Sound. Und zu Hause ist dieser Klang bei Frank Ottos Plattenfirma Ferryhouse Productions, die auch Jim Buttons erste Platte „Undone“ veröffentlichte. „Das Label nimmt mich als Künstlerin und als Person sehr ernst und ich fühle mich super aufgehoben“, sagt Jim Button.
Dankbar ist sie zudem für die Produzenten, mit denen sie bisher zusammenarbeiten durfte, darunter John Gordon (Lenas „Satellite“) und Si Hulbert (Ed Sheeran, One Direction). Ihr Debüt bekannter zu machen und live auf die Bühne zu bringen, ist ihr großes Vorhaben für 2017. „Den Namen Jim habe ich mir deswegen ausgesucht, weil ich charakterlich ziemlich maskulin bin und man mir das wahrscheinlich nicht auf den ersten Blick ansieht, dass ich nicht so ein typisches Mädchen bin“, erklärt sie dann noch. Kann in der Musikbranche gewiss nicht schaden.
Die Soul-Sängerin
Diese Frau gehört ins Rampenlicht. Viele Popfans dürften Sarajane als Backgroundsängerin von Hamburgs Oberchanteuse Ina Müller kennen. Doch wer die Britin mit ihrem unbedingt elektrisierenden Mix aus Soul, Funk und Pop erlebt, mit ihrer satten, starken Stimme, der weiß: Die Lady mit der markanten Haartolle gehört auf der Bühne zwingend ganz nach vorne. Ein Traum, der als Teenager begann. Jeden Tag hörte Sarajane Musik, sang lauthals mit. Pop von Mariah Carey, Rap von Eminem. Eine gute Übung.
„Ich habe gespürt, dass man seiner Stimmung mit der Stimme direkten Ausdruck verleihen kann, sie auch verstärken kann. Das hat einfach immer wieder mein Herz aufgemacht“, erzählt die 32-Jährige. Ihre größte Motivation sind Gesang und Performance anderer Musiker – die Shows der „ Beyoncés dieser Welt“. Sarajane, die nach dem Abitur aus dem niedersächsischen Vechelde nach Hamburg kam, ist keine Künstlerin, die abgeschottet vor sich hin tüftelt. Die Sängerin ist eine Teamplayerin. Zu ihren Förderern zählt Musiker Michy Reincke. Und auch im Team um Ina Müller, mit der sie bis April unterwegs ist, finden sich Menschen, die sie stets „um eine ehrliche Einschätzung“ bitten kann.
Ihr Ideal: Musik machen, mit der sich der Akku
aufladen lässt. „Ich wünsche mir, dass man von meinem Konzert nach
Hause geht und am nächsten Tag die Freundin anruft, von der man
ewig nix gehört hat. Oder endlich die Gehaltserhöhung einfordert.
Oder kündigt. Oder mal wieder etwas Beklopptes macht.“ „#StepOne“
heißt ihr Debütalbum, das sie 2015 auf ihrem eigenen Label
veröffentlichte. Ein „erster Schritt“, dem gewiss noch weitere
folgen.
live Do 16.11., Knust; www.sarajane.eu
Die Hip-Hopperinnen
Chefboss – der Name ist Programm. Alice Martin und Maike Mohr sagen, was Sache ist. Und dass nicht nur mit furiosem Rap, sattem Hip-Hop und gewitterndem Electro-Sound, sondern mit Haut und Haar. Tanzende Körper sind bei dem Duo nicht bloß Beiwerk, sondern ein starkes Ausdrucksmittel. Wenn Mohr und ihre Crew sich bewegen, ist das Poesie und Provokation in einem.
Seit knapp drei Jahren bringt Chefboss die rohe Party-Euphorie der Clubs auf die Bühne. Und wer die Gang schon einmal live erlebt hat, der weiß: Schweiß ist der schönste Preis. „Album! Festivals! Neue Show! Bühnen-Abriss!“ lautet entsprechend selbstbewusst die Agenda für 2017. Los ging es in diesem Jahr mit dem Video „Insel“, das in Marseille entstand und die grell-glitzernde Bandbreite des Chefboss-Kosmos aus Sound, Reim, Style und Tanz vorführt.
Am 17. März erscheint die
Debütplatte „Blitze aus Gold“ bei Universal. „Auf der Bühne und
dahinter tun wir das, wonach wir uns fühlen“, erklären die beiden
Mittzwanzigerinnen. „Wenn wir dadurch jemanden inspirieren können …
derbe!“
live Sa 6.5., Mojo; facebook.com/CHEFxBOSS
Die Singer-Songwriterin
Wer Antje Schomaker sieht, wie sie im Video zu ihrem Song „Bis mich jemand findet“ durch Hafen und Speicherstadt stromert, der möchte sie sofort als Freundin gewinnen, um mit ihr durch die Nacht zu ziehen. Rau und romantisch sind ihre von Folk beeinflussten Lieder. Ihre Band lernte sie durch Freunde in einer Bar kennen. Songs schreibt die Mittzwanzigerin schon, seit sie 17 ist – und das mit inniger Unterstützung. „Meine Familie steht hinter mir wie die chinesische Mauer, egal was passiert.“
Womöglich liegt es an diesem Urvertrauen, dass Konkurrenzgebaren ihre Sache nicht ist: „Ich finde, dass wir uns gegenseitig unterstützen sollten, damit sich bald keiner mehr beschweren kann, dass die weiblichen Namen auf den Festival- Line-ups fehlen“, sagt Antje Schomaker, die dieses Jahr ihr Debütalbum herausbringen will. Eine Indiepop- Platte mit vielen akustischen Instrumenten soll es werden. Und mit Lyrik, die den Hörer antreiben soll: „Ein bisschen mehr Konfetti, ein bisschen mehr loslassen, ein bisschen mehr finden und weniger suchen und ein bisschen mehr verloren gehen und Kamikaze.“
Ihr Talent stellte sie 2016 bereits reichlich unter Beweis: Ihr erstes eigenes Konzert im Molotow war restlos ausverkauft, den Hamburger Popbarden Bosse begleitete sie auf dessen Tour. „Das war eine absurd schöne Erfahrung“, sagt sie über Auftritte vor Tausenden von Leuten. Die Energie, die da überspringt, motiviert: „Die Reaktionen während und nach eines Konzerts, wenn man ungefiltert sieht, dass die eigene Musik etwas