Hamburg. Juli-Sängerin Eva Briegel über das neue Album „Der Sommer ist vorbei“ und ihr Selbstverständnis in einer männerdominierten Popwelt.
Das Jahr 2006. Deutschland erlebt ein Sommermärchen und hört nicht nur Sportfreunde Stiller, sondern auch Wir Sind Helden, Juli, Silbermond, Mia und 2Raumwohnung. Es ist die „Perfekte Welle“, eine neue Neue Deutsche Welle, die seitdem nicht abgeebbt ist, sondern in immer neuen Strömungen aufgeht. Bis auf Wir Sind Helden sind die Lieblingsbands von damals noch da, so auch die aus Gießen stammende und mittlerweile in Berlin (und Landau) ansässige Band Juli. An diesem Freitag erscheint nach neun Jahren das neue Album „Der Sommer ist vorbei“ von Eva Briegel, Simon Triebel, Jonas Pfetzing, Andreas Herde und Marcel Römer.
Das Popgeschäft hat sich seit „Insel“ (2014) komplett geändert, was Sängerin Eva Briegel und ihre Band durchaus vor Herausforderungen stellt, wie sie im Interview erzählt.
Hamburger Abendblatt: Frau Briegel, neun Jahre sind zwischen dem letzten Album „Insel“ und der neuen Juli-Platte „Der Sommer ist vorbei“ vergangen. Was ist Ihnen dazwischengekommen?
Eva Briegel: Das Leben. Fünfmal das Leben. Wir sind Eltern geworden, dann habe ich meinen Bachelor in Psychologie abgeschlossen, damit ich mal etwas Richtiges gemacht habe, die Jungs hatten einige Nebenprojekte und dann kam auch noch eine Pandemie.
Es ist mit heutigen technischen Mitteln eigentlich nicht schwer, ein Album aufzunehmen auch ohne sich zu treffen.
Ja, das haben wir auch probiert, auch weil unser Bassist Dedi nach Landau gezogen ist. Aber so als virtuelle Band über Zoom und Skype … nee. Wir haben viel aufgenommen – und alles in die Tonne gekloppt. Das ist nicht unsere Art zu arbeiten, wir mussten also noch mal von vorn anfangen. Eine Hälfte haben wir live im Proberaum aufgenommen, für den Rest sind wir zu unseren Wurzeln in die Hansa-Studios in Berlin zurückgekehrt, wo damals unsere ersten Demos entstanden sind.
Eva Briegel: „Den Musikmarkt kapieren wir überhaupt nicht mehr“
Ein Album „Der Sommer ist vorbei“ zu nennen wenn die Band Juli heißt … das klingt irgendwie nach Feierabend. War es das jetzt?
Nein, aber wir waren immer die Sommerband, abonniert auf das gute Gefühl, obwohl wir auch immer gleichzeitig traurig und melancholisch waren. „Der Sommer ist vorbei“ als Satz traf unser aller Grundgefühl, dass alles kälter geworden ist. Von der Gesellschaft bis hin zum Musikmarkt, den wir überhaupt nicht mehr kapieren.
Die Popwelt hat sich seit „Insel“ 2014 komplett auf den Kopf gestellt: Stichworte: Spotify, Instagram, TikTok, Covid. Wie finden Sie sich da jetzt zurecht?
Gar nicht (lacht). Voll Boomer und stolz darauf. Der Musikmarkt und seine Mechanismen haben sich komplett gedreht. Ich dachte, das hat mit uns nichts zu tun, wir machen einfach nur Musik und fertig ist die Laube. Aber schon als die „Insel“-Platte damals herauskam, wurde sich schon oft gewundert, dass es uns noch gibt. Aber wie spielen wir das Spiel mit? Wenn man Insta und TikTok nur als Marketingtool sieht, wandern die Menschen genervt ab, siehe Facebook. Und „Content kreieren“ sehe ich absolut nicht als unsere Form von Kunst. Das ist beim Fernsehen ähnlich. Einfach nur singen reicht nicht mehr in den Shows, da bist du jetzt Entertainerin und reißt auf der Couch witzige Sprüche in die Leere der Kamera. Ich sehe mich aber nicht als Entertainerin, nur auf der Bühne mit emotionaler Verbindung zu den Fans – und den Liedern als Sicherheitsnetz.
Juli: Irgendwann fühlte sich die Band an wie Arbeit
In der „Geile Zeit“-Zeit zwischen 2004 und 2006 war Juli als junge, deutschsprachige Rock-Pop-Band im Trio Grande mit Wir Sind Helden und Silbermond nahezu konkurrenzlos. Aber mittlerweile ist Ihr musikalisches Feld mit ungezählten Claims abgesteckt, deutscher Pop ist so divers wie marktdominant. Begrüßen Sie das, weil Sie eine Tür mit aufgestoßen haben?
Ein wenig stolz sind wir schon. Es ist schon unglaublich, wie sich das entwickelt und aufgefächert hat. Vor allem das Texten hat sich krass weiterentwickelt, wenn ich zurückschaue, mit was für Zeilen wir früher durchgekommen sind.
Was würden Sie sagen, um einen Ihrer neuen Songtitel zu zitieren, waren die „Fetten Wilden Jahre“ von Juli?
Die kommen noch. Ich habe vor, eine richtig unerzogene Rentnerin zu werden. Wenn die Kinder groß und aus dem Haus sind, geht es noch mal richtig los. Aber die bisher fettesten, wildesten Jahre begannen ein Jahr, nachdem ich 2000 in die Band eingestiegen bin, und endeten mit dem zweiten Album „Ein neuer Tag“ 2006. Wir hatten einen wahnsinnigen Lauf, die Leute fanden es geil, und wir hatten keinerlei Verpflichtungen. Abends ballern, am nächsten Tag auf die Bühne fallen und gefeiert werden und mit einem Bein noch selbst Teil des Publikums sein war toll. Dann wurde es professionell und vieles musste anders laufen. Da waren wir in einer Mühle gelandet und noch körperlich erschöpft von der ersten Platte. Die Frühphase fühlte sich an wie ein Geschenk, danach fühlte es sich an wie Arbeit. Was okay war, aber eben nicht mehr fett und wild.
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Einer der schlimmsten Begriffe, mit denen Juli gern bedacht wurde, ist „Female fronted Rockband“. Das muss ebenso aussterben wie „Frauenband“. Sehen Sie das auch so?
Jahaa. Wer das noch schreibt, setzt sich nicht wirklich mit dem Zeitgeist auseinander. „Rockband mit Powerfrau“, auch schön unter einem Stein gelebt. Eine Band ist eine Band. Ich habe gerade ein Essay auf der Seite der FU Berlin über Gendergerechtigkeit geschrieben und da ist noch ein langer Weg zu gehen. Der Anteil bei der bei der GEMA gemeldeten rein weiblichen Autorenschaft liegt immer noch bei unter einem Prozent, und die großen Festivals bleiben weiterhin Männerpartys, auch wenn sich bei kleinen und mittleren Open Airs viel getan hat.
Juli: „Da sind Sprüche gefallen, die wirklich ekelhaft waren“
Das Etikett des Ungewöhnlichen bleibt kleben, niemand schreibt „Männerband“ oder „Rockband mit Powermann“.
Seit wir das erste Mal ins Studio gegangen sind, habe ich mich gefragt, ob und wie Musik diverser werden kann. Ich war immer mit Jungs unterwegs, im Studio, auf Tour, umgeben von Crews. Da sind Sprüche gefallen, die wirklich ekelhaft waren. Ich habe mich zwar immer gewehrt, aber es macht dich auch mürbe. Und es schränkt einen auch im Ausdruck ein. Rock muss nicht gut sein, solange er hart ist. Hart, hart, hart. Hast du Gefühle, bist du ein Lappen. Aber auch das ändert sich gerade.
Trotz langer Albumpause waren Sie regelmäßig live auf der Bühne. Ist Juli eher eine Liveband als eine Studioband?
Wir sind jedenfalls auf der Bühne eine ganz andere Band als im Studio. Wir sind zwei Bands.
Was können wir also erwarten am 20. Mai im Gruenspan?
Hits, Hits, Hits. Hitgewitter. Aber auch viel vom neuen Album, wir sind gerade in den Proben und schauen, wie lang wir konditionell durchhalten. Mein heimlicher Wunsch ist, dass wir alles geben und die Leute alles geben. Wenn man ins Berghain geht, schaut der Türsteher ja ganz genau: „Hast du Bock hier heute etwas beizutragen“, und diese innere Einstellung wünsche ich mir auch für uns.
Bevor es wie an der Berghain-Tür „Heute nicht“ heißt: Gibt es denn einen Dresscode?
All black (lacht).
Juli: „Der Sommer ist vorbei“ Album (Universal) ab 28.4. im Handel; Konzert: Sa 20.5., Gruenspan (S Reeperbahn), Große Freiheit 58, Karten zu 44,45 im Vorverkauf; www.juli.tv