Bis zu 21,4 Milliarden Euro mehr als offiziell angegeben müssen demnach zurückgezahlt werden. Die Bank dementiert.
Hamburg. 2,8 Milliarden Euro. So groß sollte der Verlust der HSH Nordbank 2008 sein. Umso erstaunter waren selbst Finanzpolitiker, als die Bank im Februar verkündete, einen "Bilanzgewinn" ausweisen zu wollen, um diesen an Anleger ausschütten zu können. Die EU stoppte das letztlich, aber spätestens jetzt war klar, dass die offiziellen Zahlen nicht zwingend die wahre Lage widerspiegeln. Es stellte sich also die Frage, wie es der Bank wirklich geht. Reichen, wie HSH-Chef Dirk Jens Nonnemacher beteuert, die drei Milliarden Euro, die Hamburg und Schleswig-Holstein im Frühjahr in ihre Landesbank nachschießen mussten - plus zehn Milliarden, die sie an Garantien gewähren? Oder müssen sich die beiden Länder, denen 85,5 Prozent des Instituts gehören, auf weitere Horrormeldungen einstellen?
Ergänzend zur Arbeit der politischen Untersuchungsausschüsse in Hamburg und Kiel sowie den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben jetzt Bilanzexperten des Vereins Cleanstate ("sauberer Staat") auf Anregung des früheren schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministers Werner Marnette (CDU) die offiziellen Zahlen der Bank unter die Lupe genommen. Mit dieser "Risikoanalyse" liegt nun erstmals eine öffentlich zugängliche Studie über die Lage des Instituts vor - das Abendblatt hat sie analysiert und die Bank damit konfrontiert.
Stichwort Verbindlichkeiten: "Im ungünstigsten Fall muss die HSH Nordbank ... 21,4 Milliarden Euro mehr zurückzahlen, als in der Bilanz ... ausgewiesen", heißt es im Cleanstate-Bericht. Das liege daran, dass die Bank nicht den Rückzahlungsbetrag ausweise - also die Summe, die sie tatsächlich zahlen muss -, sondern einen niedrigeren "Buchwert". Nach den internationalen IFRS-Bilanzierungsregeln ist das erlaubt.
Auf Abendblatt-Anfrage weist die Bank die Annahmen als "unsinnig" zurück. Cleanstate stelle die Buchwerte sogenannten "Restlaufzeitengliederungen" gegenüber, die auch in Folgejahren fällig werdende Zinsen enthalten. Zukünftige Zahlungsverpflichtungen aus Zinsen dürften aber - ebenso wie künftige Zinserträge - nicht bilanziert werden.
Stichwort Abzinsung: Nach Angaben der HSH Nordbank sind ihre Verbindlichkeiten im ersten Halbjahr 2009 um 9,3 Milliarden Euro gesunken, Cleanstate zufolge aber nur um 3,7 Milliarden. Der Unterschied von mehr als fünf Milliarden entsteht nach Recherche der Vereinsexperten "rein bilanziell" durch "Abzinsung". Das funktioniere so: Die Bank habe langfristige Anleihen ausgegeben, deren Rückzahlung der SoFFin, der Bankenrettungsfonds des Bundes, garantiert. Mit dem Geld, insgesamt 17 Milliarden, seien kurzfristige Schulden getilgt und durch langfristige ersetzt worden - weil diese nach IFRS mit einem Abschlag ("Abzinsung") in die Bilanz eingehen dürfen. Mit anderen Worten: Die Höhe der Schulden bleibt, aber die Bilanz sieht besser aus.
Auch das bestreitet die Bank: "Die 9,3 Milliarden resultieren aus einem Stichtagsvergleich der Bilanz zum 30.6.2009 und zum 31.12.2008. Hierbei handelt es sich um ,echte' Tilgungen. Eine Umwandlung würde lediglich zu einem Passivtausch führen und die Positionen insgesamt nicht vermindern."
Stichwort Finanzinstrumente: Dahinter verbergen sich diverse Posten, klassische zur Absicherung von Währungs- oder Rohstoffrisiken ebenso wie hochkomplizierte Derivate. Die HSH hat solche Instrumente im Umfang von 54,7 Milliarden Euro in der Bilanz. Für 45,8 Milliarden Euro davon gibt es aber laut Cleanstate derzeit gar keinen Markt - die Wertermittlung beruhe einzig auf "subjektiven Annahmen des Vorstands". Das geschieht entweder nach der "Mark-to-Matrix"-Methode, wobei der Wert eines Produktes ermittelt wird, indem man es mit ähnlichen vergleicht, oder nach der "Mark-to-Model"-Methode, die komplett auf Finanzmathematik setzt. Konkret bedeutet das: Die HSH Nordbank hält Papiere, von denen sie nur annimmt, dass sie mehr als Doppelte der Jahreshaushalte von Hamburg und Schleswig-Holstein (zusammen etwa 22 Milliarden) wert sind - wissen tut sie das aber nicht. Was ist, wenn die Werte nur um wenige Prozent nach unten abweichen? "Aus dieser Position resultieren erhebliche Verlustrisiken durch zukünftig erforderliche Wertberichtigungen", folgert Cleanstate daraus.
Dazu die HSH Nordbank: "Nicht für alle Instrumente existiert ein aktueller Marktpreis. Entsprechend muss der Fair-Value über marktübliche Methoden ermittelt werden. Eine andere Lösung gibt es schlichtweg nicht. Dies gilt für die HSH Nordbank wie weltweit für jedes andere Institut auch."
Stichwort Aufsichtsrat: Cleanstate zufolge sind die Kontrolleure ihrer "Sorgfaltspflicht nicht in angemessener Weise nachgekommen". Das weist die Bank zurück: "Der neu konstituierte und völlig unabhängige Aufsichtsrat hat gerade der Bank auf seiner letzten Sitzung ein ,ausgereiftes Konzept' bescheinigt."
Fazit: Selbst den Cleanstate-Experten zufolge ist es "schwierig, sich ein objektives Bild über die Lage der HSH Nordbank zu verschaffen". Da selbst Insider die IFRS-Regeln für "nahezu unverständlich" hielten, rät der Verein der Bank, ihren Konzernabschluss nach den deutlich konservativeren Regeln des deutschen Handelsgesetzbuches (HGB) aufzustellen - das fordert auch Ex-Minister Marnette. Die HSH verweist gegenüber dem Abendblatt darauf, dass sie gemäß EU-Verordnung verpflichtet sei, nach IFRS zu bilanzieren. Diese Standards gewährleisteten "ein Höchstmaß an Transparenz".