Nach harscher Kritik des Rechnungshofs stoppen CDU und GAL die Drucksache. Jetzt gerät der ganze Zeitplan in Gefahr. Opposition: Senatorin ist überfordert.
Selbst gestandene Finanzpolitiker konnten sich an keinen vergleichbaren Fall erinnern. "Großes Kino", sagten viele, "das war wirklich großes Kino." Ein ungewöhnliches Urteil über eine Sitzung des Haushaltsausschusses der Bürgerschaft. "Hauptdarsteller" des Abends war Joachim Mose, Direktor des Rechnungshofes. Der hatte auf eigene Initiative die Drucksache der Wissenschaftsbehörde zum Bau der HafenCity-Universität (HCU) derart auseinandergenommen, dass es nicht nur der anwesenden Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU), sondern auch der CDU/GAL-Mehrheit die Sprache verschlug: Statt die Drucksache zu dem 84-Millionen-Euro-Projekt durchzuwinken, forderte der Ausschuss die Behörde zum Nachsitzen auf. In vier Wochen könne man noch einmal über das Thema beraten. Damit gerät sogar der geplante Baubeginn im September in Gefahr.
"Eine Ohrfeige für die Wissenschaftssenatorin - und die Quittung für unausgegorene Bauabsichten", sagte die SPD-Hochschulsprecherin Dorothee Stapelfeldt. Diese Meinung zog sich durch alle Fraktionen: "Der Haushaltsausschuss hat eine Kontrollfunktion und dient nicht nur der Durchsetzung politischer Entscheidungen", sagte der Vorsitzende Rüdiger Kruse (CDU). Joachim Bischoff (Linkspartei) ging noch einen Schritt weiter: "Die Senatorin sollte der Stadt und sich selbst weitere Blamagen ersparen und von dem sie überfordernden Amt zurücktreten."
Die Kritik des Rechnungshofs:
1.) Standort Obwohl per Gesetz verpflichtend, ist laut Rechnungshof für den geplanten Standort am Magdeburger Hafen keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchgeführt worden, also die Begründung, warum es unbedingt dieser (teure) Standort sein muss. Auch Zielvorgaben, die eine Erfolgskontrolle möglich machen, gebe es nicht. Mose: "Keine dieser elementaren Forderungen hat die Behörde erfüllt." Auch der Hinweis der Behörde, die Sanierung des jetzigen HCU-Standorts an der Hebebrandstraße (City Nord) koste bis zu 40 Millionen Euro, ein Neubau dort sogar bis zu 61 Millionen, wischte der Rechnungshof beiseite: Er kommt nur auf Sanierungskosten von 15 Millionen und betont: "Der Rechnungshof ist nicht davon ausgegangen, dass die Behörde die Gebäude an der Hebebrandstraße über Jahre so hat verkommen lassen, dass sie abgängig sind und nur mit einer einem Neubau gleichkommenden Sanierung hergerichtet werden könnten."
2.) Bau- und Betriebskosten Der Rechnungshof kritisiert den hohen Anteil der Verkehrsflächen (etwa Flure und Treppenhäuser) und fordert eine Reduzierung der Glasflächenanteile. Auf beide Punkte sei die Behörde jedoch trotz mehrfacher Aufforderung nicht eingegangen.
3.) Energieeffizienz Laut Rechnungshof würde die HCU sechsmal so viel Heizungsenergie verbrauchen wie der geplante Neubau der Umweltbehörde. Mose: "Dass die Wirtschaftlichkeit gerade für ein Gebäude, in dem Architekten zukunftsweisend ausgebildet werden sollen, keine Rolle spielt, ist bedauerlich."
Die Wissenschaftsbehörde wurde nach Aussage ihres Sprechers Timo Friedrichs von der Heftigkeit der Kritik überrascht. "Die genannten Punkte waren uns so nicht bekannt." Das wiederum verwundert, denn der Rechnungshof hatte die HCU-Pläne schon mehrfach kritisiert, unter anderem in seinen Jahresberichten 2008 und 2009. Die an Deutlichkeit kaum zu überbietende Stellungnahme im Haushaltsausschuss dürfte auch der Tatsache geschuldet sein, dass sich die obersten Aufseher über Hamburgs Finanzen von der Behörde nicht ernst genommen fühlten.
Umgekehrt gibt es leise Kritik, der Rechnungshof mische sich in die Politik ein. Friedrichs: "Die HCU in der HafenCity zu bauen, ist eine politische Entscheidung." Das sei bewusst so gewollt, daher mache es keinen Sinn, andere Standorte, etwa in Wilhelmsburg, zu prüfen. Das sieht auch GAL-Fraktionschef Jens Kerstan so: "Ich habe die Kritik des Rechnungshofes als politisch wahrgenommen." Gleichwohl nehme man die Sache ernst.
Das Projekt an sich steht noch nicht in Frage. Aber ob der geplante Baubeginn im September und die Aufnahme des Betriebs zum Wintersemester 2012 gehalten werden können, ist jetzt wieder offen. Denn zunächst muss die Drucksache überarbeitet werden, muss durch den Haushaltsausschuss und die Bürgerschaft. Und in vier Wochen beginnt die Sommerpause.