Das akademische Viertel ist belebt. Egal, wie spät es ist. Die Uhren gehen ohnehin anders in dieser Gegend, die auf der Karte Grindelviertel heißt, und in den Köpfen Uni-Viertel. Nur hier, wo vor allem Mittzwanziger unterwegs sind, den Aktenordner unterm Arm, die Laptoptasche über der Schulter, den Thermobecher in der Hand, bedeutet 9 Uhr eigentlich 9.15 Uhr.
Doch die Zeiger rücken dieser Tage auf fünf vor zwölf vor. Sehr langsam und auch nur metaphorisch. Doch das Herz des Viertels könnte transplantiert, die Universität Hamburg, die fünftgrößte Hochschule der Republik, auf den Kleinen Grasbrook umgesiedelt werden. Über den Plan von Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach diskutieren viele angehende Akademiker, vielleicht führen sie auch wissenschaftliche Beweise für ihren Standpunkt und den Standort an. Manchmal ist die These aber auch ganz geradeheraus, wie auf einem Plakat am Allende-Platz: "Uni-Umzug. Für den Arsch."
Na ja, schade wäre es schon, wenn die Uni ginge. Und mit ihr 40 000 Studierende, allesamt potenzielle Kunden, auf die er sein Sortiment abgestimmt habe, sagt Jürgen Tessmer, Filialleiter der Wohlthat'schen Buchhandlung an der Grindelallee. Mindestens ein Drittel seiner Kunden komme aus dem "Uni-Umfeld." In seinem modernen Antiquariat mit 3000 Titeln gibt es reichlich Bildung. Als Titel von Dietrich Schwanitz. Aber auch als Schillers gesammelte Werke oder Hesse für die Ohren. "Das Viertel lebt von der Uni - und wir Geschäftsleute besonders."
So wie Jürgen Tessmers Sortiment zur studentischen Klientel passt, tut es auch der Name von Dirk Deblers Laden. "Gute Köpfe" heißt die konzeptionelle Melange aus Kaffeehaus und Friseurladen. Vorne wird in der Vorlesungspause der Magen gefüllt, hinten wird den Studierenden der Kopf gewaschen. Ob die Uni wirklich wegziehe, das sei doch abzuwarten, sagt Dirk Debler. Überhaupt sei alles frühestens in acht Jahren spruchreif. Bis dahin fließe noch viel Wasser die Elbe hinunter. "Reine Spekulation, aber sollte die Universität wegziehen, fallen hier vielleicht die Mietpreise." Derzeit seien eine Wohnung oder ein Ladenlokal am Grindel begehrt, aber kaum bezahlbar.
Mit der Vision vom Sprung über die Elbe habe er sich auch schon beschäftigt, sagt Dirk Debler. In Wilhelmsburg habe er sich ein Ladenlokal angeschaut, doch die Zeit sei noch nicht reif. "Klar, das ist bestimmt ein spannendes, lebendiges Viertel - in etwa zehn bis 15 Jahren." Dann steht die Uni Hamburg vielleicht auch auf dem Kleinen Grasbrook.
Bis Vorlesungen und Seminare womöglich dort abgehalten werden, sind die drei Freundinnen, die in einem der Grindel-Cafés eine Lernpause einlegen, längst fertig mit dem Studium. "Zum Glück, dann müssen wir nicht mehr ansehen, wie unsere Uni im Hafen absäuft", sagt eine der jungen Frauen augenzwinkernd. "Die Lage hier ist doch sowieso viel zentraler." Eigentlich sei dieser Umzug für sie überhaupt kein Thema. Dieser Tage gehe es um die Bologna-Reform, um die Kritik am Bachelor-Studiengang und an Dieter Lenzen, dem neuen Uni-Präsidenten.
Das universitäre Leben spielt sich nicht allein auf dem Campus ab, sondern auch drum herum. Zum Beispiel im Abaton, wo demnächst Fatih Akins "Soul Kitchen" läuft. Gewissermaßen auch eine "Seelenküche" ist das Locanda 33 von Wirt Francesco Chirivi, ein universitäres Lehrerzimmer. "Bei mir treffen sich abends oft Professoren zu einer Besprechung in kleinerer Runde." Er frage sich, wie der riesige Campus genutzt werden solle, wenn die Uni wirklich wegziehe. Wahrscheinlich, meint er, würden dann Luxuswohnungen gebaut. "Wie viele Millionen Steuergelder sind denn bisher in die Uni-Gebäude hier geflossen?", fragt er. Das könne sich doch noch nicht amortisiert haben. Das sei doch alles ein Machtspiel, Lobbyarbeit. Es gehe den Planern darum, den Hafen attraktiver zu machen. "Das Ergebnis: Der Hafen lebt, der Grindel stirbt."