Viele Stadtplaner wollen das Hafen-Areal verändern. Nicht nur der Uni-Neubau, sondern auch ein Wissenschaftspark ist jetzt im Gespräch.
Michael Sieck hat sich seine dicke Windjacke übergeworfen, eilt voraus durch die langen Reihen mit fabrikneuen Mercedes und Audi, vorbei an zwei riesigen RoRo-Schiffen, die am Kai festgemacht haben, bis ganz an die Spitze der Hafen-Halbinsel Kleiner Grasbrook. Dann dreht er sich plötzlich um, breitet die Arme aus und ruft fröhlich: "Willkommen auf meinem Brachland". Ein sarkastischer Scherz, den sich der Geschäftsführer des Hafenbetriebs Unikai gerne mal in letzter Zeit erlaubt. Vor allem, wenn Architekten-Gruppen über das Firmengelände streifen - was in letzter Zeit oft geschieht, weil der Kleine Grasbrook plötzlich eine der begehrtesten Flächen der Stadt geworden ist. Die Wissenschaftsbehörde überlegt bekanntlich, ob dort die Universität Hamburg komplett neu gebaut werden könnte. Star-Architekt Teherani will hier seine Wohnbrücke "Living Bridge" bauen - und aktuell planen die Hamburger SPD und auch Stadtplaner der HafenCity-Universität einen riesigen "Wissenschaftspark" auf dem Areal.
Als Mann des Hafens ist Sieck daher alles andere als fröhlich gestimmt, wenn er hier auf Architekten - oder auch nur über die Elbe blickt: Nur knapp 300 Meter sind es bis an das andere Ufer. Dort, wo die Glasfassaden der HafenCity wachsen. Eine kurze Distanz nur noch zwischen Stadt und Hafen. Auf der einen Seite künftiges Zentrum, auf der anderen ein Areal, auf dem Export-Pkw abgestellt sind. Das ist für Stadtplaner tatsächlich so etwas wie Brachland, das es zu erschließen gilt. Mehr als 150 Hektar, so groß wie das HafenCity-Areal, ist das Gebiet groß. Eine riesige Fläche in Sichtweite zum Rathaus und auch noch mit attraktiver Wasserlage - welche Metropole hat das schon?
Gegen die Neubaupläne für die Uni regt sich zwar Widerstand in allen politischen Lagern der Hansestadt, aus dem Schneider wäre Unikai-Geschäftsführer Sieck aber nicht, wenn dieses Vorhaben platzt: Grundsätzlich plädiere die Stadtentwicklungsbehörde dort für eine "städtebauliche Entwicklung", sagt Behördensprecher Enno Isermann. "Wir warten erst einmal ab, was die Untersuchungen der Wissenschaftsbehörde ergeben."
Unabhängig davon gibt es längst andere Pläne. In der SPD-Bürgerschaftsfraktion wird beispielsweise gerade ein Strategiepapier diskutiert, das ebenfalls den Kleinen Grasbrook ins Auge genommen hat. Autor ist der Bürgerschaftsabgeordnete und Stadtentwicklungssprecher seiner Fraktion, Andy Grote. "Es ist nicht eine Frage, ob der Kleine Grasbrook in Anspruch genommen wird, sondern es geht darum, wann und wie", sagt er.
Doch Grote und Mitstreiter wollen keinen Uni-Neubau auf dem Hafengelände. Ihm schwebt eher ein neues Areal vor, wo Wissenschaft und Wirtschaft eng verzahnt forschen und entwickeln können. Ein Wissenschaftspark, so wie ihn Städte wie Barcelona, Stockholm oder auch Bremen längst haben. Forschungsinstitute neben Entwicklungsabteilungen von Unternehmen würden dort in Neubauten arbeiten, so die Idee. Platz wäre für Existenzgründer, Hochschul-Einrichtungen und Bildungsstätten für die maritime Wirtschaft. Arbeitstitel des Papiers: "Wissenshafen Hamburg". "Hier wird nach der HafenCity der nächste große Schritt in der Entwicklung der Stadt passieren", sagt der SPD-Politiker.
Womit er möglicherweise recht hat: Denn auch die Stadtplaner der HafenCity-Universität haben den Kleinen Grasbrook im Visier. Eine Projektgruppe des Stadtplanungs-Professors Jürgen Pietsch hat dazu bereits eine Studie entwickelt. Der Endbericht samt Finanzierungskonzept und Zeitplan soll der Hamburger Politik in diesen Tagen vorgestellt werden. Im Kern geht es dabei auch um einen Wissenschaftspark. Wirtschaft, Universitäten und andere staatliche Einrichtungen würden dort neuen Platz finden und neue Arbeitsplätze für Wissenschaftler entstehen lassen, schlägt Pietsch vor. "Eine komplette Verlagerung der Universität macht keinen Sinn - aber in Hamburg fehlen neue Wissens-Standorte, um im Zukunftswettbewerb der Regionen bestehen zu können", sagt er.
Viel Vision also für den Kleinen Grasbrook. Doch wie sieht es dort aus, gibt es überhaupt Ausweichmöglichkeiten für Sieck und seinen florierenden Hafenterminal? Zudem ist der Kleine Grasbrook keine einheitliche Fläche, sondern geteilt in drei Halbinseln: Ganz im Osten nahe der Freihafenbrücken liegt das Überseequartier. Etwa 205 000 Quadratmeter groß und schon einmal als Standort für ein Olympiastadion verplant. Aus der Olympia-Bewerbung Hamburgs wurde nichts, trotzdem können die Flächen dort kurzfristig gekündigt werden und wären bebaubar.
Anders die Situation auf der mittlern Halbinsel, die etwa dreimal so groß wie die Binnenalster ist. Dort verschifft Unikai, eine Tochter der städtischen HHLA, knapp 150 000 Pkw pro Jahr; neue wie gebrauchte. Auch Lkw und Maschinenteile aber auch Früchte wie Bananen werden hier umgeschlagen. 600 große Schiffe landen jedes Jahr an. Ein Spezialhafen mit mehr als 1000 Jobs. Und das mit guten Aussichten, trotz Krise: Direkt gegenüber der HafenCity plant Unikai einen weiteren Liegeplatz für Seeschiffe sowie ein großes Parkhaus. "Uns kann man nicht einfach verlagern - den Platz gibt es im Hafen nicht mehr", sagt Unikai-Geschäftsführer Sieck. Da ist etwas dran. Denn selbst wo es noch Ausweichflächen im Hafen gibt, wie etwa am sogenannten Reiherstiegknie in Wilhelmsburg, haben Stadtplaner schon andere Ideen in der Schublade.
In seinem Diskussionspapier plädiert der SPD-Politiker Grote daher für eine "hafenverträgliche und schrittweise Umnutzung". Für jeden verlagerten Betrieb müssten neue Fläche zur Verfügung stehen. Grote: "Und dies wird im Zweifel bedeuten, dass die Hafenerweiterung in Moorburg realisiert werden muss."
Stadtplanungs-Professor Pietsch will sogar noch mehr Flächen vom Hafen abknapsen. Für seinen Science-Park plant er ein weiteres Areal gegenüber von Unikai gleich mit ein. Dort, auf der dritten Halbinsel des Kleinen Grasbrooks, haben vor allem viele Lagerhalter ihre Betriebe. So wie Unternehmer Michael Bruhns beispielsweise. In seinen großen Hallen lagert er vor allem Gewürze, Nelken, Pfeffer oder auch Kardamom. Erst 1997 ist der traditionelle Hafenbetrieb von der Speicherstadt dorthin gezogen. Damals begann in der Speicherstadt die Umwandlung zu einem neuen Stadtteil. Bruhns hörte damals von Stadtplanern ein Argument, das Unikai-Geschäftsführer Siek heute bekannt vorkommen muss: Sein Betrieb liege doch nur 200 Meter vom Hauptbahnhof entfernt - ein Standort, viel zu schade, um dort nur Waren aus dem Hafen zu lagern.