Der Bürgermeister bezweifelt, dass er heute noch einmal den Mut haben würde, die Entscheidung für den Bau von “Elphi“ zu treffen.
Hamburg. Immer teurer, immer später: Überschattet von Kostenexplosionen und Terminverzögerungen hat die Stadt Hamburg am Freitag das Richtfest der Elbphilharmonie gefeiert. „Trotz aller Schwierigkeiten war es richtig, dass wir am Anfang dieses Jahrtausends diese Entscheidung getroffen haben“, sagte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) vor rund 1200 geladenen Gästen auf der Plaza in 37 Metern Höhe. Um 12.30 Uhr wurde die Richtkrone an die Spitze des 110 Meter hohen Gebäudes der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron hochgezogen. Der große Konzertsaal soll zu den zehn besten der Welt gehören und bietet 2150 Besuchern Platz. Die Kosten für den Steuerzahler für den 500-Millionen-Euro-Bau stiegen von 77 auf 323 Millionen Euro, die Eröffnung ist jetzt für 2013 geplant.
„Das ist kein einfaches Bauwerk, das wissen Sie alle. Und ich will auch nicht so tun, als sei alles wunderbar. Die Bauzeit hat sich verlängert, eigentlich wollten wir schon einweihen und nicht erst Richtfest feiern, die Kosten sind sprunghaft gestiegen“, sagte Beust. „Ich weiß nicht, ob wir in der jetzigen Finanzlage und in Kenntnis der tatsächlichen Kosten noch einmal den Mut gehabt hätten, die gleiche Entscheidung zu treffen. Ich bezweifele es sogar“, meinte der Bürgermeister, der einen Tag zuvor einen radikalen Sparkurs verkünden musste. „Aber ich sage auch den Kritikern: Seht nicht nur die Kosten, die da sind, sondern seht auch die enormen Vorteile, die diese Stadt, die ganz Norddeutschland mit dem Bauwerk haben wird.“
Der Intendant der Elbphilharmonie und Laeiszhalle, der Österreicher Christoph Lieben-Seutter, betonte, dass Hamburg den Vergleich mit anderen Musikmetropolen nicht zu scheuen brauche. „Der Erfolg unserer ersten Spielzeit zeigt, dass Hamburg ein großes Potenzial für gute Musik hat.“ Trotz aller Geburtswehen habe die Elbphilharmonie die Chance, „ein Weltklasse-Projekt zu werden“. Nach Ansicht des Schweizer Architekten Pierre de Meuron hat die Elbphilharmonie beste Chancen, „nicht nur in den Köpfen, sondern auch in der Realität zu einem Wahrzeichen der Stadt heranzuwachsen“. „Selbst wenn dieses Schiff derzeit große Wellen schlägt, selbst wenn raue Winde wehen und der Sturm gegen das Bauwerk peitscht, das Projekt wird Realität werden.“
Der Geschäftsführer der städtischen Realisierungsgesellschaft, Heribert Leutner, sagte:„Was uns alle vereint, trotz der manchmal schwierigen Zeiten und Aufgaben, ist die Einzigartigkeit des Gebäudes und der Stolz, ein Teil davon sein zu dürfen.“ Der Chef von Hochtief Construction, Henner Mahlstedt, betonte, dass sein Unternehmen als Generalunternehmer und Coinvestor ein hohes Interesse daran habe, dass die Kosten eingehalten werden. Danach hatten die Poliere Helmut Hesse und Werner Rininsland das Wort. Hoffentlich ist es kein böses Omen, dass bei dem Trinkspruch auf den Bauherrn ein Glas umfiel.
Kurz vor Beginn der Richtfestzeremonie hatten einige Demonstranten vor dem Prestigebau protestiert. Als Römer verkleidet feierten sie „Rom am Abgrund“ und forderten „eine Elphi reicht nicht für alle“. Mit Liedern besangen sie das „Denkmal für die Reichen“ und „ein Schandmal für unsere Stadt“ und verteilten mit 350.000.000 Euro bedruckte Geldscheine. „Es kann nicht sein, dass hier 500 Millionen Euro ausgegeben werden und woanders Projekte sparen müssen“, sagte Christine Ebeling von der Gängeviertel-Initiative. Auch auf der Elbe fuhren Demonstranten mit einer Barkasse um das spektakuläre Gebäude und forderten auf einem Plakat „Elphi entern“.
Seit Jahren sorgt die Elbphilharmonie für Schlagzeilen. Immer höhere Kosten, die Eröffnung erneut um ein Jahr verschoben und dann auch noch angebliche Baumängel: Längst ist das Prestige-Projekt für alle Beteiligten zum Alptraum geworden, und die Architekten, die Stadt Hamburg und der Baukonzern Hochtief schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Erst vor wenigen Tagen hat ein Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft seine Arbeit aufgenommen. Auch die Opposition kritisiert das „Millionengrab des schwarz-grünen Senats“, dem die Bürgerschaft einst einstimmig zugestimmt hatte.
Hamburgs teuerste Baustelle feiert heute Richtfest. Das Abendblatt hat die Uraufführung dieser Tragikomödie in Worte gefasst.
Richtfest-Dramolett: Eine elbphilharmonische Tragikomödie
Vorspiel
Ein Hamburger Maimorgen am Elbufer, leichter Regen. Ein Regenbogen verziert den Himmel. Eifrige Rathaus-Bedienstete rollen knöcheltiefe rote Teppiche Richtung Elbphilharmonie-Baustelle aus. Fachkräfte der Justizbehörde verteilen dezent Maulkörbe an Mitarbeiter der städtischen Realisierungsgesellschaft ReGe, die vor ihren Büros in einem Nachbargebäude Akten mit der Aufschrift "Senatskanzlei" in einen mobilen Reißwolf werfen. Die drei Maurer, die Hochtief noch auf der Baustelle duldet, um den gerichtlich angeordneten Anschein von Arbeitseifer zu wahren, stehen entspannt und sehr dekorativ neben den frisch angelieferten Federpaketen für die Aufhängung des Großen Konzertsaals. Einer von ihnen entfernt routiniert die Warn-Banderole "Vor Nässe schützen!", bevor sie der Regen durchweicht. Es soll doch alles hübsch sein heute, am großen Tag.
+++ Dossier: Die Elbphilharmonie +++
8.11 Uhr
Auftritt Chor der Kulturbehördensprecherinnen. Mit dem Chor der Elbphilharmonie-Pressesprecherinnen üben sie in einer dunklen Ecke des späteren Parkhauses im Kaispeicher A ein letztes Mal ihre Standardfloskel "Was weiß denn ich! Rufen Sie mich nächsten Dienstag wieder an!" für die Baustellen-Führung der auswärtigen Medienvertreter. Einige Meter weiter fällt Licht durch die klaffenden Spalten in der historischen Backsteinfassade. Einer der drei Hochtief-Maurer versucht mit einer ordentlichen Ladung frischem Zementschlamm zu retten, was zu retten ist. Es soll doch alles hübsch sein heute, am großen Tag.
9.50 Uhr
Der Bürgermeister fährt vor. Nach einem Blick auf das Musikprogramm raunt ihm seine Referentin zu, dass man bei Klassik zwischen den Sätzen nicht klatscht. Er hebt kurz erstaunt eine Augenbraue, lässt sich ansonsten aber nichts anmerken.
Vor dem Eingang zur Baustelle: Hunderte Mitglieder des Kunsthallen-Freundeskreises demonstrieren. Sie tragen schwarze Armbinden und bewerfen die geladenen Gäste mit Zuckerwürfeln, weil diese an die Form der zwangsgeschlossenen Galerie der Gegenwart erinnern.
Ex-Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner kreuzt mit einer gekaperten Barkasse vor dem Kaispeicher auf der Elbe und feuert die Protestler per Megafon an.
Gaßner trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Unser letztes Hemd für die Elbphilharmonie!".
Freundeskreisler rufen wütend: "Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!"
Eine Abordnung aus dem Gängeviertel ist auch da. Sie hat von einer militanten Sympathisantengruppe aus der Museumsszene (ihr Name: "Recht auf Kunst") die ersten ausgetauschten Brandschutzklappen aus der Galerie der Gegenwart zugespielt bekommen. Daniel Richter, Schirmherr des Gängeviertels, hat vier von ihnen bemalt. Junge Künstlerkollegen bieten die Kunstwerke den verdutzten Ehrengästen zum Kauf an. Gesamtpreis: 200 000 Euro - aber nur, wenn man weiß, wie oft 200 000 in 500 Millionen Euro passen. Verwirrte Reeder-Gesichter. Der Chor der Elbphilharmoniesprecherinnen berät sich mit dem Chor der Kulturbehördensprecherinnen. Panische Blicke, hektische Handy-Telefonate.
Die Kultursenatorin huscht vorbei.
Karin von Welck (verzückt, aber auch um Contenance bemüht): "Vertragt euch! Vertragt euch!" Mit einem "Wunderbar ..." auf den Lippen verschwindet sie in der Menge. Der Chor der Kulturbehördensprecherinnen folgt devot.
10.14 Uhr
Auf der Elbphilharmonie-Plaza, knapp 40 Meter über der Elbe.
Ole von Beust (sieht den Hochtief-Chef und klopft ihm jovial auf die Schulter): "Moin, Herr Lütkestratkötter! Mensch, Sie auch hier? Wie geht's uns denn so?"
Herbert Lütkestratkötter blickt angesäuert, doch bevor er reagieren kann, fällt ihm einer der 158 Hochtief-Anwälte ins Wort, die der Baukonzern zum Selbstschutz unter die 1200 geladenen Gäste geschmuggelt hat.
Anwalt Nr. 76 (zischt Lütkestratkötter von rechts ins Ohr): "Pah! Jetzt nichts sagen! Wir müssen solche Fragen überhaupt nicht beantworten!"
Von links nähert sich der Chor der Kulturbehördensprecherinnen.
Die Kultursenatorin huscht vorbei. Blitzlichter spiegeln sich in ihrer Brosche.
Karin von Welck (verzückt, immer noch um Contenance bemüht): "Vertragt euch! Vertragt euch!" Mit einem "Wunderbar ..." auf den Lippen verschwindet sie in der Menge. Der Chor der Kulturbehördensprecherinnen folgt ihr gehorsam.
10.32 Uhr
Der Bürgermeister trifft in der Menschenmenge die Elbphilharmonie-Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron.
Ole von Beust (jovial): "Grüezi miteinand! Wie geht's uns denn so?"
Die Architekten lächeln tapfer, kämpfen mit den Tränen und verschwinden schnell wieder in der Gästemenge. Man hört leises Raunen, das nach Fluchen in Schwyzerdütsch klingt.
Die Kultursenatorin huscht vorbei.
Karin von Welck (verzückt, mehr und mehr um Contenance bemüht): "Vertragt euch! Vertragt euch!" Mit einem "Wunderbar ..." auf den Lippen verschwindet sie in der Menge. Der Chor der Kulturbehördensprecherinnen beschimpft Journalisten, um im Training zu bleiben.
10.49 Uhr
Der Bürgermeister trifft in der Menschenmenge den ReGe-Chef Heribert Leutner.
Ole von Beust (jovial): "Moin, Leutner! Wie geht's uns denn so?"
Leutner (stammelnd, bleich und verängstigt): "Ist das ... (schluckt zweimal) eine Fangfrage, Herr Bürgermeister ...?"
Hochtief-Anwalt Nr. 43 wittert den städtischen Angstschweiß und zieht so unauffällig wie möglich immer engere Kreise um die beiden. Beusts Referentin geht im letzten Moment dazwischen und drängt den Juristen geschickt in Richtung Sektbüfett ab.
11.24 Uhr
Der Bürgermeister trifft in der Menschenmenge auf Generalintendant Christoph Lieben-Seutter.
Ole von Beust (jovial): "Na servus! Wie geht's uns denn so? Wann geht's denn eigentlich los hier?"
Der Konzerthausmanager lächelt tapfer, kämpft mit den Tränen und verschwindet schnell wieder in der Gästemenge. Man hört leises, frustriertes Geraune im Wiener Dialekt.
Ole von Beust (flüstert seiner Referentin ins Ohr): "Verdammich, was haben die denn alle hier? Ich hab doch gar nichts gemacht ..."
(Regieanweisung: ReGe-Mitarbeiter verteilen diskret kleine Handzettel unter den geladenen Gästen: "Wir freuen uns über Ihren Besuch, bitten Sie aber im Namen von Hochtief: Vermeiden Sie hastige Bewegungen und verteilen Sie sich möglichst gleichmäßig auf der Baustelle. Menschenansammlungen an Kanten sind unbedingt zu vermeiden. Vielen Dank, ein schönes Richtfest und auf Wiedersehen irgendwann nach 2015.")
11.13 Uhr
Der Bürgermeister trifft im Trubel auf den SPD-Politiker Olaf Scholz.
Ole von Beust (jovial): "Moin! Wie geht's uns denn so?"
Scholz (breit grinsend): "Bestens! Und selbst?"
(Regieanweisung: 40 Meter tiefer, im Hintergrund, werden weiterhin Senatsakten im mobilen Reißwolf vernichtet.)
Die Kultursenatorin huscht vorbei.
Karin von Welck (verzückt und um einen letzten Rest von Contenance bemüht): "Vertragt euch! Vertragt euch!" Der Chor der Kulturbehördensprecherinnen beschimpft den Chor der Elbphilharmoniesprecherinnen.
Der Bürgermeister lächelt tapfer, kämpft mit den Tränen und verschwindet in der Gästemenge.