4000 Mängel und Krach auf allen Ebenen. Die Diskussion der Streitparteien zeigt, woran es bei dem Großprojekt Elbphilharmonie hakt.
Hamburg. Wer eine Begründung dafür sucht, warum Hamburg an seinem Jahrhundertprojekt in diesen Tagen wenig Freude hat, findet sie auf Seite 16. Dort, in einer der unzähligen Drucksachen des Senats zu dem Thema, ist ein "Organisationsmodell für Bau und Betrieb der Elbphilharmonie" abgebildet. Es zeigt zehn Beteiligte, von "Freie und Hansestadt Hamburg" über scheinbar anonyme Akteure wie "Objektgesellschaft" und "Bank" bis hin zum "Parkhauspächter". 20 Pfeile, versehen mit Erklärungen auf elipsenförmigem Hintergrund, verbinden die Akteure miteinander.
Das Ganze sieht aus wie eine Flotte von Raumschiffen auf dem Weg zum Einsatz. Mit einem Unterschied: Beim Krieg der Sterne oder ähnlich tollkühnen Unternehmungen würden die beiden wichtigsten Akteure kaum am Rand der Flotte fliegen, noch dazu ohne Kontakt zueinander. Bei der Elbphilharmonie verhält es sich aber mitunter so - und das nicht nur auf dem Schaubild. Das Architektenteam aus Herzog & de Meuron (Basel) und Höhler+Partner (Hamburg) als Generalplaner auf der einen Seite und das Bauunternehmen Hochtief (Essen) auf der anderen haben weder eine direkte noch eine besonders herzliche Beziehung. Anders ausgedrückt: Kein Pfeil verbindet sie, Verträge existieren nur zwischen der Stadt und den beiden Parteien. Praktisch heißt das: Wenn die Architekten eine 39-seitige Mängelliste erstellen, landet die erst bei den Medien, dann bei Hochtief. So geschehen am Wochenende.
Deshalb, und weil von den bislang in der Bauphase aufgelaufenen 4000 Mängeln einige "gravierend" und "sicherheitsrelevant" sein sollen, ist die Stimmung angespannt an diesem Montagabend in der Laeiszhalle. Umso merkwürdiger wirken die Äußerungen der Herren auf dem Podium im "Studio E": Hochtief-Vorstandschef Herbert Lütkestratkötter, sein Hamburg-Chef Thomas Möller, der Architekt Ernst Höhler, der Chef der städtischen Realisierungsgesellschaft Heribert Leutner und sein Aufsichtsrat Eckart Kottkamp - sie alle betonen, dass eigentlich alles in Ordnung sei. Damit das klar ist, gibt Gastgeber Nikolaus W. Schües, Ex-Handelskammer-Präses und jetzt Vorsitzender des Freundeskreises Elbphilharmonie und Laeiszhalle, den Grundton vor: "Das ist kein Streitgespräch."
Na dann. Also sind die Kosten für die Stadt gar nicht explodiert, von 114 auf 323 Millionen Euro? Hat Hochtief nicht Anfang dieses Jahres eine erneute Verzögerung für die Fertigstellung des großen Saals um ein Jahr angekündigt? Stehen nicht weitere Mehrkosten-Forderungen von gut 40 Millionen Euro im Raum? Klagt die Stadt nicht gegen Hochtief wegen fehlender Terminpläne? Schiebt der Baukonzern nicht ständig den Schwarzen Peter den Architekten zu, weil deren Pläne nicht vollständig seien? Haben sich die Generalplaner nicht revanchiert, indem ihre Mängelliste öffentlich wurde? Sind die Probleme also nur eine Erfindung der Medien, wie einige auf dem Podium meinen?
Die Antworten liegen in der eindeutigen Zweideutigkeit vieler Aussagen an diesem Abend. "Wir sind stolz darauf, die Elbphilharmonie zu bauen", sagt Hochtief-Chef. Das mehrstufige Qualitätsmanagement suche seines Gleichen, und überhaupt: "Es lagen nie Sicherheitsmängel vor." Aber Lütkestratkötter sagt eben auch: "Warum wird der Mängelbericht erst an die Medien gegeben und erst danach, auf Nachfrage, an uns? Urteilen Sie selbst!" Spricht so einer, der Druck aus dem Kessel nehmen will? Und warum betont Hamburg-Chef Möller erst, dass man den Mängelbericht ernst nehme, um sich dann an den Architekten zu wenden: "Nehmen Sie bitte auch unsere Anmerkungen ernst!"
Oder der Architekt. Sicher, angesichts von 30.000 Planungsdokumenten seitens der Generalplaner und noch einmal 25.000 seitens der Baufirma relativiert sich die die Zahl der Probleme. Aber Ernst Höhler betont halt auch, dass ihn die Ankündigung von einem Jahr Verzögerung "überrascht" habe, er sehe nur einen "etwas verzögerten Bauablauf". Und er gehe davon aus, "dass es nicht zu weiteren bemerkenswerten Mehrkosten kommt". Fragt sich nur: Sind 40 Millionen schon bemerkenswert, bei einem Projekt, das inklusive Wohnungen und Hotel rund 500 Millionen Euro kostet? Heribert Leutner legt sich da fest: "Ich kann Ihnen zusagen", verspricht er den rund 100 Zuhörern, "diese Mehrkosten werden so nicht die Stadt treffen." Wen dann?
Über die Probleme möchte Leutner nicht so gerne sprechen, verrät nur: "Es gibt Mängel, die sind Besorgnis erregend. Aber Hochtief hat zugesagt, diese zu beseitigen." Ein Anwalt sitze im Publikum und wache darüber, dass er keine Interna verrate. Ganz entspannt, diese Podiumsdiskussion. Immerhin: Vor der Tür erklärt ein Hochtief-Sprecher, dass nur bei drei von 170 Federn für die beiden Säle etwas nicht stimme, das lasse sich leicht beheben. Dann seien da noch ein paar "Zementschleier" an der Außenseite des alten Kaispeichers und ein paar "minimale" Hohlräume im Beton. Auf einem Foto, das dem Abendblatt vorliegt, hat ein Hohlraum die Größe eines Vogelkäfigs.
"Im Grunde ist es ganz einfach", sagt Heribert Leutner und hält besagtes Organigramm hoch. "Die einen planen, die anderen bauen. Und wir stehen dazwischen." Er hätte auch sagen können: "Das ist das Problem. Die einen hatten eine Superidee, wir als Stadt wollen sie haben, ein Dritter baut sie jetzt - und wir stehen uns alle ständig im Weg."
Es war Nikolaus W. Schües, der einer realistischen Aussage am nächsten kam - aber nur aus Versehen. Als er eingangs den "Baukörper" vorstellen wollte, verhaspelte er sich und sprach vom "GAU-Körper". Doch Schües korrigierte sich rasch. Die Elbphilharmonie als "Größter Anzunehmender Unfall"? Das wäre dann doch übertrieben.