Laut Christoph Lieben-Seutter hat Hamburg mit der Elbphilharmonie eines der zehn besten Konzerthäuser der Welt bestellt.
Hamburg. Über die Baukosten und den Zeitpunkt der Fertigstellung wird zwischen der Stadt und der Baufirma Hochtief erbittert gestritten. "Reine Verhandlungstaktik" hatte Generalintendant Christoph Lieben-Seutter der Baufirma im Abendblatt vorgeworfen und bekräftigt: "Wir gehen weiter davon aus, dass wir im Mai 2012 die Eröffnung feiern werden." Derweil nähert sich die erste von ihm verantwortete Konzertsaison ihrer Halbzeit. Anlass für eine Zwischenbilanz: Wie läuft das Geschäft, wie funktioniert es mit den Mitspielern im Hamburger Musikleben, wie liegen die Ziele für die Zeit nach dem Start in der Elbphilharmonie?
Abendblatt: Ihre erst selbst geplante Spielzeit ist fast zu Hälfte gelaufen - wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Lieben-Seutter : Große Freude, super Akzeptanz, gute Auslastung, viele neue Leute im Konzert.
Abendblatt: Geht es auch konkreter?
Lieben-Seutter: Bisher haben wir rund 1200 Abonnements und 31 000Tickets verkauft. Momentan liegen wir mit den Einnahmen etwa zehn Prozent über unseren Prognosen.
Abendblatt: In der auswärtigen Klassik-Branche wundern sich viele, dass Sie Ideen anderer aufgreifen oder zweitverwerten. Müssten Sie nicht nach der Devise agieren: Wo ich bin, ist ganz weit vorn?
Lieben-Seutter: Wo ich bin, ist Musik auf höchstem Niveau. Wenn wir die Elbphilharmonie haben, können wir uns auch noch verstärkt Experimenten widmen. Jetzt gilt es, das Hamburger Publikum in die Konzerte zu locken und zu begeistern. Im Übrigen habe ich von der "auswärtigen Klassikbranche" nur Glückwünsche zum Programm bekommen.
Abendblatt: Es gibt Konzertveranstalter in der Stadt, die sich regelmäßig über Ihre Arbeit beschweren - besonders gern "ProArte"-Geschäftsführer Christian Kuhnt, der vorher das Programm in Ihrer Laeiszhalle mitgeplant hatte. Geht es anderen Konzerten schlechter, wenn es den Elbphilharmonie-Konzerten gut geht?
Lieben-Seutter: Was "ProArte" spürt, sind die eigenen Versäumnisse der letzten Jahre und die Rezession. Ich höre von vielen Veranstaltern, dass es in den letzten Monaten sehr zäh war an der Kasse.
Abendblatt: Sie gehen also davon aus, dass Sie im Wesentlichen neue Besucher gewonnen haben?
Lieben-Seutter: Kommen Sie in unsere Konzerte - da sehen Sie viele Gesichter, die Sie sicher nie bei "ProArte" gesehen haben. Natürlich wirkt sich ein erweitertes Konzertangebot auch auf andere Anbieter aus.
Abendblatt: Wenn die Elbphilharmonie steht, dann sind Sie der Mittelpunkt. Die anderen müssen ihren Platz drumherum finden .
Lieben-Seutter: Die Elbphilharmonie ist dann zwar der größte Veranstalter in der Stadt, aber immer noch nur für ein Drittel der Konzerte in den beiden Konzerthäusern verantwortlich. Die Angebote der lokalen Orchester und Veranstalter sind integraler Bestandteil und für ein hochkarätiges Gesamtangebot unverzichtbar. Elbphilharmonie-Konzerte veranstalten wir nicht, um anderen das Leben schwer zu machen, sondern um das Image eines neuen Konzerthauses auf internationalem Niveau aufzubauen. Wir stecken viel Geld in Vermittlung, Marketing und Kundenbindung.
Abendblatt: Und was ist ein Konzerthaus auf internationalem Niveau?
Lieben-Seutter: Hamburg hat eines der zehn besten Konzerthäuser der Welt bestellt. Also ist der Benchmark für mich die Carnegie Hall in New York oder das Concertgebouw in Amsterdam. Ich schau mir an, wie die funktionieren, wie sie sich finanzieren, was für Leute da hingehen. Wie halten sie es mit Sponsoren oder mit privaten Veranstaltern? Dass die Laeiszhalle international bislang keine Rolle spielt, liegt ja nicht an ihrer Architektur oder an der Akustik, sondern am bisherigen Betriebskonzept als reine Miethalle.
Abendblatt: Wenn Hamburg noch ein Klassik-Schwellenland ist, muss es für Sie doch angenehm sein, falls sich die Eröffnung tatsächlich um ein weiteres Jahr verzögert.
Lieben-Seutter: Nein. Sie hat sich schon um zwei Jahre verschoben. Das hat sich aber unterm Strich für uns nicht schlecht ausgewirkt, weil wir mehr Zeit haben, gut funktionierende Strukturen zuschaffen. Wenn wir das Gebäude übergeben bekommen, sind wir ein eingespieltes Team.
Abendblatt: Was ist mit den vielen Programm-Leckerlis, die Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit angekündigt haben: neue Festivals, Alte Musik ...
Lieben-Seutter: Mit den Elbphilharmonie-Konzerten bringen wir doch schon jede Menge Leckerlis in die Stadt. Wenn es uns damit - wie es den Anschein hat - gelingt, ein Vertrauensverhältnis mit dem Publikum aufzubauen, können wir die nächsten Schritte machen.
Abendblatt: Die Festivals machen zur Zeit andere - Thalia, Kampnagel ...
Lieben-Seutter: Wieso? Wir bieten mit dem Akkordeon-Festival, den "Ostertönen" und den "Türkischen Nächten" bis Sommer drei Festivals an.
Abendblatt: Da hält sich die überregionale Wahrnehmung in Grenzen.
Lieben-Seutter: Um die geht es auch nicht. Bis zur Eröffnung ist unser Programm vorrangig für das Hamburger Publikum gedacht. Nicht zuletzt, um zu beweisen, dass es das Potenzial für zwei Konzerthäuser gibt.
Abendblatt: Woran krankt eigentlich die hiesige Festival-Debatte?
Lieben-Seutter: Die Festival-Debatte krankt vielleicht daran, dass es nicht genügend öffentliche Mittel gibt, nachhaltig. Hamburg ist ja stolz auf sein bürgerliches Engagement, das bedeutet, dass oft große Ideen angestoßen werden. Aber wenn sich in der Realisierung dann kleinere Problemchen zeigen, wird es ein bisschen kurzatmig. Um ein internationales Festival zu positionieren, braucht man ein paar Jahre.
Abendblatt: Haben Sie einen Plan?
Lieben-Seutter: Wenn die Elbphilharmonie mal offen ist, soll aus dem vierwöchigen Eröffnungsfestival von Mitte Mai bis Mitte Juni 2012 eine jährliche Einrichtung werden. Was noch schöner wäre: Wenn daraus ein Hamburg-weites Kulturfestival wird. Diskussionen dazu gibt es bereits.
Abendblatt: Stört das dann nicht die Kreise des Schleswig-Holstein Musik Festivals? Sie würden dann ja bei Publikum, Sponsoren und Spielflächen des SHMF wildern ...
Lieben-Seutter: Das SHMF ist für Schleswig-Holstein zuständig und findet im Sommer statt, wenn wir Pause machen. Das ist eine gute zeitliche Abgrenzung. Ich habe auch von Herrn Beck noch nie ein böses Wort über die Idee eines Hamburger Frühlingsfestivals im Mai gehört.
Abendblatt: Kürzlich saßen wir auf Kampnagel bei einer Elbphilharmonie-Veranstaltung neben einem Japaner, der sehr verwirrt und enttäuscht war, weil er glaubte, das finde schon im neuen Konzerthaus statt.
Lieben-Seutter: Ich kann nichts dafür, dass die Elbphilharmonie landauf, landab als neues Wahrzeichen kommuniziert wird, Reiseführer schmückt und in Stadtplänen eingezeichnet ist - das Bild hat sich längst verselbstständigt. Es ist kein Wunder, dass viele Touristen erwarten, das Ding sei schon fertig.
Abendblatt: Sie sind seit 2007 in Hamburg. Hat Sie jemals der Verdacht beschlichen, dass so ein Konzept in einer Stadt wie Hamburg vielleicht gar nicht funktionieren könnte?
Lieben-Seutter: Im Gegenteil, es wird gut funktionieren. Es hat sich nur der Verdacht bestätigt, dass es viele Nörgler gibt. Was die Kostensteigerungen betrifft, zu Recht, die sind ja wirklich völlig unerfreulich. Aber wenn es dann dasteht und funktioniert, werden alle begeistert sein und sagen: Wir haben schon immer gewusst, dass das eine tolle Sache ist. Die Elbphilharmonie ist für Hamburg ein sehr ungewöhnliches und für den hanseatischen Kaufmannsgeist sehr gewagtes Unternehmen, das aber - wenn alles gut geht - einen Mehrwert und eine Umwegrentabilität erzeugen wird über die Jahre, die die Baukosten vergessen machen werden.
Abendblatt: Und Sie sind weiter dabei?
Lieben-Seutter: Bis zum 31. Juli 2015 bestimmt, so lang läuft mein Vertrag.