Altena/Hagen. Das geplante Kernnetz geht an weiten Teilen Südwestfalens vorbei. Die Wirtschaft appelliert an Noch-Wirtschaftsminister Habeck.
Die Versorgung mit Wasserstoff ist nach heutigem Stand für Unternehmen in Südwestfalen utopisch teuer und - weil Versorgungsnetze fehlen - in den kommenden Jahren auch nicht in Sichtweite. „Ohne ein staatliches Netz geht es nicht“, sagt Ralf Stoffels, Präsident der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer. Eine Übernahme der Netzausbaukosten für Stromleitungen und Wasserstoff-Pipelines würde nicht nur Unternehmen, sondern auch allen Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen, sagt Stoffels.
„Ohne ein staatliches Netz geht es nicht.“
Die nationale Wasserstoffstrategie mit dem gerade genehmigten Aufbau eines bundesweiten Wasserstoff-Kernnetzes (H2-Kernnetz) berücksichtigt in Nordrhein-Westfalen zwar die Regionen Rheinland und Ruhrgebiet mit den dort ansässigen großen Konzernen, den Mittelstand in Südwestfalen mindestens auf Jahre aber nicht.
Brandbrief an Habeck noch vor dem „Ampel-Knall“
Die Spitze der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK) hat deshalb Ende Oktober einen Erinnerungsbrief mit vier wichtigen Punkten an Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck gesendet - weit vor dem großen Ampel-Knall in der vergangenen Woche. Eine Reaktion aus Berlin gebe es noch nicht. Während in Berlin derzeit weitgehend Stillstand herrscht, laufen Zeit und Kosten den Unternehmen weiter davon.
Mittelständisches Drahtunternehmen mit Energieverbrauch einer Kleinstadt
Wenn bei Lüling-Draht in Altena die Produktion auf Hochtouren läuft, dann verbraucht das mittelständische Unternehmen so viel Energie wie alle Einwohner der Kleinstadt an der Lenne zusammen, sagt Stefan Pelka. Eine Menge Strom wird benötigt, vor allem aber Erdgas, um die Glühöfen zur Drahtverarbeitung zu befeuern. Im Sinne einer Klimawende ist das nicht. Der CO₂-Fußabdruck ist hoch - zu hoch, um in der Zukunft wettbewerbsfähig bleiben zu können, denn ab 2025 verlangen die Kunden beispielsweise in der Automobilbranche bei jeder Lieferung genaue Angaben, wie klimaschädlich die Produkte sind.
„Beide Technologien, Strom und Wasserstoff, wären für uns möglich. Aber beide Technologien nebeneinander zu entwickeln, wäre zu teuer.““
Dass die Produktion umgestellt werden muss, weiß man bei Lüling seit langem. Seit 2018 arbeitet das Unternehmen an Konzepten dafür, die Produktion möglichst CO₂-neutral hinzubekommen. Es gibt zwei Alternativen zum Erdgas: Komplett auf Strom setzen oder Wasserstoff als Ersatz. „Beide Technologien wären möglich, aber wir können nicht beide Technologien nebeneinander entwickeln. Das wäre zu teuer“, sagt Pelka. Lülings Hoffnung, im Lennetal irgendwie an das gerade beschlossene Wasserstoff-Kernnetz in Deutschland angeschlossen zu werden, sind vorerst geplatzt. Ein entsprechender Antrag sei nicht berücksichtigt worden.
Bereits 2023 war dem Mittelständler klar, dass es mit Erdgas auf Dauer nicht weitergehen könne. Heute, ein Jahr später, ist der Weg in die Klimaneutralität nach wie vor ungeklärt. „Immerhin wissen wir jetzt, was ein Umstieg kosten würde.“ Beim Strom würden die Energiekosten demnach um Faktor um 4,3 steigen, bei Wasserstoff sogar um Faktor 8,7. „So sind die Marktpreise. Und der Wasserstoff wäre nicht einmal grün, sondern grau. Dadurch würde unser CO₂-Fußabdruck nicht kleiner“, sagt Projektingenieur Pelka.
Ob Strom oder Wasserstoff. Das Problem ist bei beiden Szenarien die Leitungen, die das Unternehmen auf eigene Kosten legen lassen müsste. Für Lüling wäre es ein Alleingang. Für die Anbindung der Standorte in Altena und Iserlohn mit Wasserstoff ab etwa 2030 rechnet der Ingenieur mit rund elf Millionen Euro - wäre der Antrag des Mittelständlers berücksichtigt worden. Ist er aber nicht.
Projekt „Zukunft RuH2r“ in Hagen liegt auf Eis
Im Raum Hagen hat daher ein Konsortium von Unternehmen entlang der Lenneschiene das Projekt „Zukunft RuH2r“ um die Hagener Unternehmen C.D. Wälzholz, Bilstein Group (beide Kaltwalzer), Premium Pulp & Paper (Papierhersteller) sowie Thyssenkrupp Hohenlimburg (Stahl-Mittelband) vor ein paar Wochen auf Eis gelegt. Ohne Förderung beziehungsweise Entlastung bei den Netzentgelten sei die eigentlich dringend notwendige Anbindung ans H2-Kernnetz finanziell zu risikoreich beziehungsweise nicht wirtschaftlich darstellbar.
Projekt „Hydronet“ in Arnsberg lässt hoffen
Eines der wenigen aktuell realistischen H2-Projekte in der Region Südwestfalen ist „Hydronet“ im Raum Arnsberg bis Balve. Nach langen Verhandlungen und einer Förderabsage der schwarz-grünen Landesregierung hatte das Habeck-Ministerium im vergangenen Monat Unterstützung in Höhe von 18 Millionen Euro von der Bundesregierung gegeben. 75 Millionen Euro ist das Gesamtvolumen von Hydronet. Zwischen Arnsberg und Balve wird eine alte, elf Kilometer lange Gasleitung zur Wasserstoffleitung umgewidmet. Bis 2029 soll die erste Projektphase realisiert sein, sodass Unternehmen in der Region testweise mit Wasserstoff versorgt werden könnten. Zur dauerhaften Versorgung bis zum H2-Kernnetz klafft zwar auch hier eine Lücke, aber nach derzeitigem Planungsstand beträgt die laut Westenergie, der Muttergesellschaft des Projektbetreibers Westnetz, nur rund zwei Kilometer.
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Norwegen stellt Pipelinebau vorerst ein
Deutschland wird sich absehbar nicht mit ausreichend Wasserstoff selbst versorgen können. Importe sollen über Häfen der Niederlande (Amsterdam und Rotterdam) sowie Belgien (Antwerpen) nach Nordrhein-Westfalen laufen. Von Norden hatte man lange auf Belieferungen aus Norwegen gesetzt, was ganz aktuell erst einmal geplatzt ist. Der norwegische Energiekonzern Equinor hat den Bau einer Pipeline Richtung Deutschland gestoppt. Begründung: Zu hohe Kosten bei zu wenig gesicherter Nachfrage.